Dr. Markus Schäpe FA f. VerkR

BVerfG: Führt die Nichtspeicherung von Rohmessdaten zur Unverwertbarkeit der Messung?

Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.2020

(2 BvR 1616/18) wurde festgestellt, dass der Betroffene und sein Verteidiger einen Anspruch auf Überlassung erhobener und gespeicherter, aber nicht bei der Akte befindlicher Rohmessdaten haben, wenn der Antrag auf Überlassung frühzeitig gestellt wurde und eine Relevanz für das konkrete Verfahren erkennen lässt.

 

Offen ist seither die Frage, was die Rechtsfolge einer fehlenden Speicherung von Rohmessdaten ist, also ob aufgrund reduzierter Verteidigungsmöglichkeiten ein Verwertungsverbot der Messdaten besteht, oder anders formuliert: Folgt aus dem Anspruch auf Herausgabe vorhandene Rohmessdaten auch eine Pflicht zu deren Speicherung?

 

Sachverhalt

Dem Betroffenen wurde eine mittels Leivtec XV3 festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen. Er legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte ein Sachverständigengutachten zur Feststellung der Tatsache, dass die Messung mangels Rohmessdatenspeicherung nicht überprüfbar sei. Der Antrag wurde vom Amtsgericht abgelehnt und der Betroffene verurteilt. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen. Dagegen wandte sich der Betroffene mit der Verfassungsbeschwerde: Er sei in seinem Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren verletzt, da mangels Rohmessdaten eine Überprüfung nicht möglich sei. Daraus resultiere, dass nur Messgeräte verwendet werden dürften, die diese Daten speichern.

 

Entscheidung

Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 1167/20 wurde durch Beschluss vom 20.06.2023 nicht zur Entscheidung angenommen. Nach Ansicht der Richter war nicht hinreichend dargelegt, inwieweit aus dem Recht auf Einsicht in vorhandene Behördendaten ein Recht erwachse, dass nur Messgeräte eingesetzt werden, die solche Daten speichern und liefern.

 

Die Richter argumentierten, dass der Gedanke der Informationsparität, den das Bundesverfassungsgericht beim Anspruch auf Datenüberlassung zugrunde gelegt hatte, nicht verletzt sei. Die Forderung, dass nur Geräte eingesetzt werden dürfen, die Rohmessdaten abspeichern, sei ein Anspruch, der über das Recht hinausgehe, die nicht bei der Akte befindlichen Daten einzusehen. Denn nicht gespeicherte Daten lägen auch den Bußgeldstellen nicht vor, so dass kein „Wissensvorsprung“ gegeben sei.

 

Weiterhin sei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 auch nicht zu entnehmen, dass es eine staatliche Pflicht gebe, potenzielle Verteidigungsmittel vorzuhalten oder zu schaffen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rohmessdatenherausgabe nur auf die standardisierten Messverfahren bezogen hatte. Das Messgerät Leivtec XV3 habe zu Zeitpunkt der Messung den Vorgaben des standardisierten Messverfahrens entsprochen. Daher sei davon auszugehen, dass bei herstellerkonformem Einsatz die Messung korrekt sei.

 

Die mit der jetzigen Verfassungsbeschwerde erhobene Forderung, aus dem Gedanken des fairen Verfahrens die Speicherung verpflichtend vorzuschreiben, sei eine Erweiterung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens. Dass eine Standardisierung dann nur noch bei Speicherung von Daten zu bejahen sei, ist dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2020 aber nicht zu entnehmen. Vielmehr habe das Verfassungsgericht in dieser Entscheidung deutlich gemacht, dass die begehrten Informationen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen erkennbar eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen müssen. Daraus lasse sich aber nicht herleiten, dass es eine Pflicht gebe, Rohmessdaten zu speichern; vielmehr müssten Bußgeldstellen bzw. Fachgerichte im Einzelfall unter diesen Aspekten entscheiden, ob vorhandene Rohmessdaten herauszugeben sind.

 

Auswirkungen

Nach der nunmehr ergangenen Entscheidung wird es wohl dabei bleiben, dass die Geschwindigkeitsmessgeräte keine Rohmessdaten speichern müssen, um gerichtsverwertbar zu sein. Aufgrund der klaren Positionierung des BVerfG kommt der Entscheidung trotz Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erhebliche Bedeutung zu. Der Kampf vor den Amtsgerichten zur Unverwertbarkeit mangels Datenspeicherung scheint nun vergebens und die außerhalb des Saarlandes durchgängige Rechtsauffassung der Oberlandesgerichte inhaltlich bestätigt. Interessant ist dabei, ob zukünftig weitere Hersteller von der Speicherung der Rohmessdaten absehen, um eine Überprüfung durch Sachverständige und damit Streit bei Gericht zu vermeiden; das BVerfG setzt dem wohl nichts entgegen. Zudem bleibt abzuwarten, wie das Landesverfassungsgericht des Saarlandes sich nunmehr in dieser Frage neu positionieren wird.

 

 

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06.10.2023

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