Dr. Markus Schäpe FA f. VerkR
Das OLG Karlsruhe hat – als erstes Obergericht – durch Beschluss vom 22.03.2022 (2 ORbs 35 Ss 125/23) entschieden, dass die Formvorschriften der §§ 110c Satz
1 OWiG, 32d Satz 2 StPO nicht für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid gelten. Die aktive Nutzungspflicht von beA besteht also gegenüber der Bußgeldbehörde nicht.
Im Verfahren vor dem Amtsgericht Heidelberg wurde der Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu der Geldbuße von 400 € und einem einmonatigen Fahrverbot. Damit hing die Rechtsbeschwerde nicht von deren Zulassung ab. Gerügt wurden mit der Rechtsbeschwerde Verfahrensfehler bei der Identifizierung des Betroffenen; im Rahmen der außerdem erhobenen Sachrüge wurde die fehlende Möglichkeit der Überprüfung der Messwertbildung mangels Speicherung von Rohmessdaten beanstandet.
Damit hat sich das OLG Karlsruhe aber nicht weiter beschäftigt, sondern zunächst die Frage geklärt, ob das Amtsgericht überhaupt entscheiden durfte: Wenn nämlich kein wirksamer Einspruch eingelegt wurde, ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden. Zu klären war daher zunächst, ob ein Verfahrenshindernis durch den unanfechtbaren Bußgeldbescheid vorliegt oder ob der Weg zum Amtsgericht durch einen wirksam eingelegten Einspruch eröffnet wurde. Aus den Akten, die dem Senat bei der Prüfung von Verfahrenshindernissen uneingeschränkt zugänglich sind, ergibt sich, dass der Verteidiger gegen den Bescheid fristgerecht Einspruch einlegte, der als Telefax eingereicht wurde.
In der Instanzrechtsprechung wie auch der Literatur war bisher unterschiedlich beurteilt worden, ob die strengen Formvorschriften der §§110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO auch für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid gelten. Dies hätte zur Folge, dass die Einlegung durch Rechtsanwälte nur durch Einreichung als elektronisches Dokument zugelassen ist und ansonsten die Erklärung unwirksam wäre.
Dies ist vom Amtsgericht Hameln (DAR 2022, 284) verneint worden, das Einspruch per Fax genügen lässt; dem stimmen Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 67 Rn. 21a; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl./32. Lfg., § 110c Rn. 24 und wohl auch KK-Graf, OWiG, 5. Aufl., § 110c Rn. 49, 53 zu. Seine Auffassung begründet es im Wesentlichen mit einer Analogie zum Einspruch gegen einen Strafbefehl, der – insofern unstrittig – mangels Aufzählung in § 32d Satz 2 StPO form- und fristgerecht mit Telefax eingelegt werden kann. Wie der Einspruch gegen einen Strafbefehl eröffnet der Einspruch nach § 67 OWiG dem Gericht die Gelegenheit, ohne Bindung an die Tatsachenfeststellungen oder deren Bewertung durch die Vorinstanz die Tat zu beurteilen. Das OWiG trägt dieser Verwandtschaft Rechnung, indem es gemäß § 71 Abs. 1 OWiG für das Verfahren nach zulässigem Einspruch grundsätzlich die Regelungen der StPO nach Einspruch gegen einen Strafbefehl analog gelten lässt.
Das Formerfordernis des beA und damit das Verbot des Einlegung des Einspruchs durch Fax des Verteidigers bekräftigt dagegen das Amtsgericht Tiergarten (DAR 2022, 353) unter Hinweis auf die Regelung in § 335 Abs. 2a HGB und die Entstehungsgeschichte; es wird dabei von Stahnke in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 110c Rn. 25 unterstützt. Der Gesetzgeber habe den Einspruch im Bußgeldverfahren schon deshalb als Anwendungsfall der zwingenden Formvorschrift gesehen, weil er explizit von diesem Formzwang eine Ausnahme formulierte: In § 335 Abs. 2a HGB ist niedergelegt, dass auf die elektronische Kommunikation mit dem Bundesamt § 110c Satz 1 OWiG entsprechend anzuwenden ist, jedoch nicht in Verbindung mit § 32d StPO. Eine Ausnahme des Gesetzgebers von der Anwendung einer Formvorschrift sei nur dann erforderlich, wenn es jene Formvorgabe tatsächlich gibt. Die Gesetzesbegründung nehme auf diese Anwendungspflicht Bezug: Denn in der Drucksache 18/9416 vom 17.08.2016 - Seite 36 - sei niedergelegt, dass durch die Vorschriften des neuen Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden verpflichtet werden, sofern es keine Ausnahmeregelung in bestimmten Fällen gibt (so in § 335 HGB).
Diese Rechtsfrage wird bewusst offen gelassen von Krenberger/Krumm, OWiG, § 110c Rn. 13 sowie BeckOK-OWiG/Valerius, 37. Ed., § 110c Rn. 1.1.
Der originär zuständige Einzelrichter hat die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern im Hinblick auf die umstrittene, durch obergerichtliche Rechtsprechung noch nicht geklärte Frage übertragen, ob für die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid durch einen Rechtsanwalt die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO gelten. Der Senat schließt sich der vom Amtsgericht Hameln vertretenen Auffassung an; die hiergegen in der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.
Der Bußgeldbescheid des Landratsamts ist nicht bestandskräftig geworden, weshalb das Amtsgericht nicht am Erlass des angefochtenen Urteils gehindert war. Soweit dabei an Materialien zum Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 29/28399) angeknüpft wird, geht dies schon deshalb fehl, weil die Vorschriften des § 110c OWiG und § 32d StPO gar nicht Gegenstand dieses Gesetzes waren. In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, mit dem die genannten Vorschriften eingeführt wurden, heißt es hingegen zur maßgeblichen Bestimmung des § 32d StPO unmissverständlich: „Satz 2 sieht demgegenüber eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll. “
(BR-Drs. 236/16 S. 49 f.)
Mit dieser bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für das Enumerationsprinzip ist es unvereinbar, die Rechtspflicht des § 32d Satz 2 StPO auf dort nicht genannte Rechtshandlungen bzw. über § 110c OWiG ihre Entsprechungen im Bußgeldverfahren auszudehnen. Da § 110c OWiG die entsprechende Anwendung von § 32d Satz 2 StPO anordnet, aber § 32d Satz 2 StPO die Rechtspflicht zur Einreichung als elektronisches Dokument nicht für eine dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid entsprechende Handlung im Strafverfahren vorschreibt, wird danach der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid von diesen Vorschriften nicht erfasst.
Infolge der somit wirksamen rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs ist der Bußgeldbescheid nicht in Bestandskraft erwachsen. Auch im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.
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