Dr. Markus Schäpe FA f. VerkR

Update mit Thermofenster unzulässig

Das Verwaltungsgericht Schleswig hat am 20.02.2023 ein wichtiges Urteil im Dieselskandal gesprochen (Az. 3 A 113/18). Hintergrund des Urteils sind Klagen der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) gegen die Genehmigungen von Software-Updates durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA). Das KBA hatte im Zuge des Dieselskandals 2015 von VW verlangt, die Software zu aktualisieren und dabei eine manipulative Prüfstandserkennung zu entfernen. Dabei stufte das KBA in Freigabebescheiden andere Abschalteinrichtungen von VW als zulässig ein, auch die sogenannten Thermofenster:

Dabei handelt es sich um eine Software, die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung bei Temperaturen von unter 10 Grad heruntergeregelt wird, wodurch bestehende Grenzwerte für saubere Luft überschritten werden.

 

Die DUH griff die Freigabebescheide des KBA an und verlangte von der Behörde, die Entfernung von Abschalteinrichtungen anzuordnen. Dem kam das KBA nicht nach, woraufhin die DUH Klage beim VG Schleswig einreichte. Nachdem die Richter in Schleswig zunächst eine Klage der DUH für unzulässig erklärten, legte das Gericht in einem erneuten Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen vor.

 

Der EuGH bejahte im Vorabentscheidungsverfahren die Klagebefugnis der DUH (Urteil vom 8.11.2022 in der Rechtssache C-873/19). Zudem stellte der EuGH wiederholt fest, dass eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen aus Motorschutzgründen eng auszulegen sei und sich auf plötzlich auftretende Schäden am Motor selbst beschränke.

 

Eine Notwendigkeit zur Abschaltung käme zudem nur in Betracht, wenn keine andere technische Lösung vorliege, die solche Motorschutzschäden abwenden könne. Zudem stellte der EuGH klar, dass die Ausnahme (Abschalten der Abgasreinigung) nicht häufiger auftreten dürfe als das Verbot. Daher wäre eine Abgasreinigung, die nicht während des überwiegenden Teils des Jahres funktioniere, auf jeden Fall rechtswidrig.

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04.04.2023

Informationen

Urteil/Beschluss vom 14.07.2022
Aktenzeichen: C-128/20, C-134/20 und C-145/20)

Sonstiges

Das VG Schleswig folgte in seinem Urteil dieser engen Auslegung des EuGH und verneinte bereits die Frage, ob Abschalteinrichtungen notwendig seien, um Beschädigungen am Motor zu verhindern. Der EuGH erfasse mit "Motor" nur die Kraftmaschine; andere Bauteile seien nur relevant, wenn von deren Beschädigung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigungen oder Unfällen ausgehen und dies dann auch noch eine unmittelbare Bedrohung für die Betriebssicherheit beinhalte. Ein solche Gefahr bestehe nicht, der Vortrag von VW und dem KBA hierzu betreffe Extremszenarien, bei denen sich das Schadensereignis schon vorher abzeichne. Das VG ließ sowohl die Berufung als auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zu.Für die Bewertung der Auswirkungen dieses Urteils ist zu unterscheiden zwischen den verwaltungsrechtlichen Folgen einer Anfechtung von KBA-Bescheiden (drohende Stilllegung von Dieselfahrzeugen) und den zivilrechtlichen Erfolgsaussichten von Klagen auf Schadensersatz gegen Hersteller.

 

1. Drohende Stilllegung durch Anfechtung von KBA-Bescheiden

Sollte das Urteil in dieser oder einer nachfolgenden Instanz mit diesem Inhalt rechtskräftig werden, könnte dies Auswirkungen für praktisch alle Hersteller von Dieselfahrzeugen haben, da in fast allen Fahrzeugen sog. Thermofenster verbaut sind. Es könnten Rückrufe für Millionen Dieselfahrzeugen zur Nachrüstung oder gar die Stilllegung drohen. Die vorliegende Entscheidung bezieht sich zwar nur auf den Motortyp EA189 von VW. Laut Medienberichten sind aber mindestens 118 weitere Klagen der DUH gegen KBA-Bescheide anhängig. Dabei geht es nicht nur um Abschalteinrichtungen von VW, Audi, Seat und Skoda, sondern weitere in- und ausländische Autohersteller wie Mercedes oder Peugeot. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche weitere Anfechtungsklagen der DUH gegen KBA-Bescheide folgen werden.

 

Die DUH fordert die Nachrüstung der Hardware. Sofern keine Nachrüstung erfolgt, müssten nach Ansicht der DUH betroffene Fahrzeuge stillgelegt werden. Dieser Forderung ist bislang weder das Verkehrsministerium (BMDV) noch das für die konkrete Durchsetzung zuständige KBA gefolgt. Auch nach dem aktuellen Urteil sieht das Verkehrsministerium bislang noch keinen Handlungsbedarf: Man wolle die Urteilsgründe abwarten und das weitere Vorgehen prüfen. Sollten die Freigabebescheide des KBA keinen Bestand haben, so ist davon auszugehen, dass die Hersteller von Diesel-Fahrzeugen aufgefordert werden, eine andere Lösung in Form eines Software- oder Hardware-Updates zu entwickeln, ggf. werden verpflichtende Rückrufe vom KBA angeordnet. Dies könnte zu einer Rückrufwelle wie beim VW-Dieselskandal in den Jahren 2016/2017 führen – diesmal aber möglicherweise bei mehr Herstellern.

 

Eine zeitnahe Stilllegung von betroffenen Fahrzeugen ist nicht zu erwarten. Nur bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen (Rechtskraft des Urteils, Anordnung von verpflichtenden Rückrufen) könnte es bei „unbehandelten Kfz“ ggf. zu Problemen bei der Hauptuntersuchung (HU) und schlimmstenfalls zu einer Betriebsuntersagung kommt. Es müssten im jeweiligen Einzelfall ein unzulässiger Eingriff nachgewiesen werden und zudem die Wirkung der Servicemaßnahmen und das daraus resultierende Verhalten des Kraftfahrtbundesamtes bekannt sein.

 

2. Erfolgsaussichten von Schadensersatzklagen

Das Urteil des Verwaltungsgericht Schleswig hat keinen direkten Einfluss auf die Frage, ob Autokäufer gegen die Hersteller einen Anspruch auf Schadenersatz haben, wenn in ihrem Wagen ein Thermofenster verbaut ist. Die europarechtlichen Beanstandungen des EuGH reichen den nationalen Gerichten in Deutschland bislang nicht aus, um Kundenklagen gegen die Hersteller auf Schadensersatz in Deutschland zum Erfolg zu verhelfen, da hierfür der Bundesgerichtshof eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung des Herstellers gegenüber den Kunden verlangt und diese bisher ablehnt.

 

Der Europäische Gerichtshof hat für den 21.03.2023 eine weitere Grundsatzentscheidung angekündigt („Rantos III“). In diesem Verfahren vertritt der der Generalanwalt Rantos die Auffassung, dass jeder Verstoß gegen Abgasvorschriften eine Verpflichtung zum Schadensersatz wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB ergebe. Sollte der EuGH dem folgen, müssten Autohersteller nicht mehr vorsätzlich sittenwidrig gehandelt haben, sondern fahrlässiges Handeln würde ausreichen, um schadensersatzpflichtig zu werden.

 

Der BGH hat in Erwartung dieser Entscheidung des EuGH für den 08.05.2023 eine Grundsatzentscheidung terminiert. Danach dürfte Klarheit darüber bestehen, ob Dieselklagen in Deutschland gegen eine Vielzahl von Herstellern wegen des sog. Thermofensters Erfolgsaussichten haben.

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