Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR
Ein notarielles Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf diesen einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.
Anmerkung für die Praxis:
Die Erblasserin war 92 Jahre alt, krank und verwitwet. Sie lebte in den letzten Jahren bei ihrer einzigen Tochter, die sich um sie kümmerte und versorgte. Nachdem die Tochter verstarb, wurde für die Erblasserin auf Anregung der behandelnden Ärzte eine ihr bis dahin unbekannte Berufsbetreuerin bestellt. Zwei Wochen nach Einrichtung der Betreuung beauftragte die Betreuerin einen Notar, der für die Erblasserin während eines Krankenhausaufenthalts ein Testament zugunsten der Betreuerin beurkundete. Als Grund für die Erbeinsetzung war dort die Dankbarkeit über die Pflege durch die Betreuerin angegeben.
Trotz erheblicher Kritik in der Literatur (siehe u.a. Litzenburger, FD-ErbR 2021, 437206; Graf Wolffskeel v. Reichenberg, NJW 2021, 1686) hält das OLG Celle in dieser Entscheidung an seiner bisherigen Rechtsprechung (OLG Celle, NJW 2021, 1681) fest und geht davon aus, dass das Testament wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, weil die Betreuerin die gesteigerte Beeinflussbarkeit der hilflosen und vereinsamten Erblasserin zu ihrem eigenen Vorteil in anstößiger Weise ausgenutzt hat. Von Bedeutung war insbes., dass der Notar von der Betreuerin selbst beauftragt wurde und dass zwischen ihrer Bestellung und der Beurkundung des Testaments nur rund zwei Wochen lagen, in denen sich die Erblasserin überwiegend im Krankenhaus aufhielt und deshalb auch nicht gepflegt worden sein konnte.
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