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Cornel Pottgiesser FA f. Handels- u. GesR

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in digitalen Ökosystemen – EuGH-Urteil C‑233/23 („Android Auto“)

Mit Urteil vom 25. Februar 2025 (Rs. C‑233/23 – „Android Auto“) hat der Gerichtshof der Europäischen Union wesentliche Leitlinien zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in digitalen Ökosystemen entwickelt. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob ein Plattformbetreiber verpflichtet sein kann, Drittanbietern Zugang zu technischen Schnittstellen (APIs) zu gewähren. Nachfolgend fassen wir die wesentlichen Inhalte und Praxisauswirkungen für Unternehmen zusammen:
 

1. Sachverhalt und Entscheidung
Im Ausgangsfall verweigerte Google einem europäischen Softwareanbieter die technische Integration seiner Navigations-App in das System „Android Auto“. Google begründete die Weigerung mit Sicherheitsanforderungen. Der EuGH stellte klar, dass eine solche Weigerung einen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darstellen kann, wenn der Zugang zur Plattform objektiv unerlässlich ist und seine Verweigerung jeden wirksamen Wettbewerb ausschließt.
 

2. Wesentliche Erwägungen des EuGH
Der Gerichtshof überträgt die sog. Essential-Facility-Doktrin ausdrücklich auf digitale Infrastrukturen. Eine technische Schnittstelle kann eine „wesentliche Einrichtung“ darstellen, wenn ohne Zugang dazu kein wirtschaftlich sinnvoller Markteintritt möglich ist. Sicherheits- oder Qualitätsargumente können eine Zugangsbeschränkung nur rechtfertigen, wenn sie objektiv belegt und verhältnismäßig sind. Pauschale Hinweise auf Systemintegrität genügen nicht.
 

3. Praktische Konsequenzen
Das Urteil verdeutlicht, dass marktbeherrschende Plattformen nicht frei über den Zugang zu ihren technischen Infrastrukturen entscheiden können. Besteht ein faktisches Gatekeeper-Monopol, kann nach Art. 102 AEUV ein Zugangsanspruch bestehen. Für Unternehmen bedeutet dies zweierlei: Zum einen sollten Plattformbetreiber ihre Zugangsbeschränkungen dokumentieren und begründen. Zum anderen können Drittanbieter den Zugang zu wesentlichen digitalen Infrastrukturen nunmehr kartellrechtlich durchsetzen.
 

 

 

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Überprüfung bestehender Plattformverträge auf API-Zugangsregelungen
• Dokumentation technischer Rechtfertigungen für Zugangsbeschränkungen
• Prüfung kartellrechtlicher Ansprüche bei verweigertem Zugang
• Nutzung technischer Gutachten zur Begründung der Unerlässlichkeit
• Kombination mit Beschwerdemöglichkeiten nach dem Digital Markets Act (DMA)
 

Checkliste: Zugangsanspruch nach Art. 102 AEUV
 

Prüfschritt   LeitfrageAnmerkung
1. MarktbeherrschungIst der Plattformbetreiber marktbeherrschend?Berücksichtigung von Netz-werkeffekten, Datenmacht, Lock-in-Effekten
2. UnerlässlichkeitIst der Zugang objektiv er-forderlich?Keine realistische oder wirt-schaftlich zumutbare Alternative
3. Ausschlusswirkung Führt die Weigerung zum Marktausschluss Dritter?Erforderlich ist tatsächlicher Wettbewerbsverlust
4. RechtfertigungBesteht ein objektiver Grund für die Weigerung?Nur belegbare, verhältnis-mäßige Gründe zulässig
5. Milderes MittelKönnte der Zugang unter Auflagen gewährt werden?Nur vollständige Verweige-rung ohne Alternativen missbräuchlich
6. BeweisführungSind technische Belege vorhanden? Frühzeitige Dokumentation erforderlich

 

 

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13.10.2025

Informationen

EuGH
Aktenzeichen: C-233/23

Fachlich verantwortlich

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