Cornel Pottgiesser FA f. Handels- u. GesR

Wirksame Gerichtsstandsvereinbarung durch Hyperlink auf Geschäftsbedingungen

„Art. 23 Abs. 1 und 2 des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 genehmigt wurde, ist dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsklausel wirksam vereinbart ist, wenn sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist, auf die ein schriftlich abgeschlossener Vertrag durch Angabe des Hyperlinks zu einer Website hinweist, über die es möglich ist, diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis zu nehmen, herunterzuladen und auszudrucken, ohne dass die Partei, der diese Klausel entgegengehalten wird, aufgefordert worden wäre, diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Anklicken eines Feldes auf dieser Website zu akzeptieren.“

  

Der Europäische Gerichtshof bestätigt seine liberale Rechtsprechung zu Gerichtsstandsvereinbarungen mit Urteil vom 24. November 2022 (C‑358/21 - Tilman SA).

  

Internationaler Handel ist eine gute Sache. Wird ein Handelsvertrag aber unzureichend ausgeführt, will die benachteiligte Vertragspartei regelmäßig Schadensersatz erhalten, oft auch (Nach-)Erfüllung. Hierfür braucht diese Partei normalerweise ein Urteil, aus dem sie in das Vermögen des Schuldners gegebenenfalls vollstrecken kann. Ein ausländisches Urteil hat oft den Nachteil, dass es in einem weiteren Verfahren vor Ort anerkannt werden muss. Urteilsstaat und Staat, in dem das Vermögen des Schuldners belegen ist, sollten also möglichst übereinstimmen. Hierfür bietet sich eine Gerichtsstandsvereinbarung an, die am einfachsten in Geschäftsbedingungen enthalten ist.

 

Der Europäische Gerichtshof hat mit der vorliegenden Entscheidung die Verwendung solcher Geschäftsbedingungen vereinfacht. Zwar erging die Entscheidung zum Lugano II-Übereinkommen, doch laufen die unionsrechtlichen Vorschriften gleich. Bisher wussten wir, dass AGB durch einen Hyperlink aufrufbar sein und ihre Geltung durch das Anklicken einer Checkbox akzeptiert werden müssen (C‑322/14 - El Majdoub). Für wechselseitig unterzeichnete Verträge lässt der Gerichtshof nun sogar den ausschließlichen Verweis auf den Hyperlink ausreichen, zumal in der vorliegenden Entscheidung der Hyperlink nur zu einer Übersichtsseite führte, von der aus erst die Geschäftsbedingungen referenziert waren.

  

Unabhängig von dieser Entscheidung wird sich wahrscheinlich der ausschließliche Verweis mittels Hyperlink bei Vertragsschlüssen gleich welcher Art durchsetzen. Das gilt für die Rechtswahl nach Art. 3 Rom-I-VO, möglicherweise aber auch bei Geltung der UN-Kaufrechtskonvention.

 

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 genehmigt wurde (ABl. 2009, L 147, S. 1, im Folgenden: Lugano‑II-Übereinkommen).

 

Art. 23 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) des Übereinkommens bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:

 

„(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.

 

(2) Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.“

 

Am 22. November 2010 schlossen die Parteien Tilman und Unilever einen ersten Vertrag, nach dem sich Tilman verpflichtete, für Rechnung von Unilever Teebeutelschachteln zu einem bestimmten Preis zu verpacken und zu befüllen.

 

Durch einen am 6. Januar 2011 geschlossenen zweiten Vertrag wurde der vereinbarte Preis geändert. In diesem Vertrag hieß es, dass er, wenn nichts anderes bestimmt sei, den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Kauf von Unilever-Erzeugnissen unterliege. Diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die mittels eines Hyperlinks auf einer Website eingesehen und heruntergeladen werden konnten, sahen vor, dass jede Vertragspartei „unwiderruflich für die Beilegung jedes Rechtsstreits, der seinen Ursprung unmittelbar oder mittelbar im Vertrag hat, der ausschließlichen Gerichtsbarkeit der englischen Gerichte unterliegt“.

 

Infolge einer Änderung der Abrechnungsmodalitäten kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien in Bezug auf die Erhöhung des in Rechnung gestellten Preises, und Unilever zahlte die von Tilman ausgestellten Rechnungen nur teilweise. Tilman verklagte Unilever.

 

Nach verschiedenen Gerichtsentscheidungen legt der belgische Kassationshof vor und fragt nach der Wirksamkeit der Gerichtsstandsklausel.

 

Der Europäische Gerichtshof erläutert: Da Art. 23 Abs. 1 und 2 des Lugano‑II-Übereinkommens mit Art. 23 Abs. 1 und 2 der Brüssel‑I-Verordnung identisch ist und Art. 23 Abs. 1 dieser Verordnung selbst nahezu denselben Wortlaut hat wie Art. 17 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens, ist bei der Auslegung von Art. 23 Abs. 1 und 2 des Lugano‑II-Übereinkommens die Auslegung der entsprechenden Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung durch den Gerichtshof zu berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteile vom 7. Februar 2013, Refcomp, C‑543/10, EU:C:2013:62, Rn. 18 und 19, sowie vom 21. Mai 2015, El Majdoub, C‑322/14, EU:C:2015:334, Rn. 27 und 28). Da Art. 25 Abs. 1 und 2 der Brüssel‑Ia-Verordnung mit im Wesentlichen gleichlautender Formulierung Art. 23 Abs. 1 und 2 der Brüssel‑I-Verordnung ersetzt hat, ist auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur ersten dieser Bestimmungen zu berücksichtigen.

 

Dem Erfordernis der Schriftlichkeit nach Art. 17 Abs. 1 Brüsseler Übereinkommens eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Partei enthaltene Gerichtsstandsklausel genügt grundsätzlich, wenn diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der Rückseite des Vertrags abgedruckt sind und wenn dieser ausdrücklich auf die genannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt oder wenn die Parteien im Text ihres Vertrags auf ein Angebot Bezug genommen haben, das seinerseits ausdrücklich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinweist, sofern diesem deutlichen Hinweis von einer Partei bei Anwendung der normalen Sorgfalt nachgegangen werden kann und feststeht, dass die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der anderen Partei tatsächlich zugegangen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 1976, Estasis Saloti di Colzani, 24/76, EU:C:1976:177, Rn. 10 und 12).

 

Gemäß Art. 23 Abs. 2 der Brüssel‑I-Verordnung, der gegenüber Art. 17 des Brüsseler Übereinkommens eine neue Bestimmung darstellt, die eingefügt wurde, um die Entwicklung neuer Kommunikationstechniken zu berücksichtigen, kann die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden u. a. davon abhängen, ob eine dauerhafte Aufzeichnung möglich ist (Urt. v. 21. 05. 2015, El Majdoub, C‑322/14, EU:C:2015:334, Rn. 32).

 

Eine Auslegung des Wortlauts dieser Vorschrift ergibt somit, dass es „ermöglicht“ werden muss, die Gerichtsstandsvereinbarung dauerhaft aufzuzeichnen, und dass es nicht darauf ankommt, ob der Text der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Käufer nach oder vor Anklicken des Feldes mit der Erklärung, dass er diese Bedingungen akzeptiert, tatsächlich dauerhaft aufgezeichnet wurde (Urt. v. 21. 05. 2015, El Majdoub, C‑322/14, EU:C:2015:334, Rn. 33).

 

Ziel dieser Vorschrift ist es nämlich, bestimmte Formen der elektronischen Übermittlung der Schriftform gleichzustellen, um den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Wege zu erleichtern, da die Übermittlung der betreffenden Informationen auch dann erfolgt, wenn diese über einen Bildschirm sichtbar gemacht werden können. Damit die elektronische Übermittlung dieselben Garantien, insbesondere im Beweisbereich, bieten kann, genügt es, dass es „möglich“ ist, die Informationen vor Vertragsschluss zu speichern und auszudrucken.

(Urt. v. 21. 05 .2015, El Majdoub, C‑322/14, EU:C:2015:334, Rn. 36).

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22.02.2023

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