Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe
Bei arbeitsteiliger Organisation eines Gläubigers, der sowohl eine Leistungs- wie eine Regressabteilung unterhält, kommt es in subjektiver Hinsicht allein auf die Kenntnis bzw. die Sorgfaltspflichten der Rgressabteilung an. Im Hinblick auf den hierarchischen Aufbau einer Behörde gelten dabei allerdings – wie der BGH im folgenden Fgall deutlich macht – Besonderheiten, die breit wirkenden Obliegenheiten entgegenstehen.
Die materiell voll einstandspflichtige Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers beruft sich nach Klageerhebung 2018 auf Verjährung. Gegenstand der Klage sind Regressansprüche des zuständigen Landesamts für Finanzen im Hinblick auf von ihr aufgrund eines Verkehrsunfalls im Jahr 2011 gewährte Leistungen gegenüber dem Landesbamten B der Dienststelle D des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. Das Landesamt unterhält sowohl eine Leistungsabteilung (L) wie eine Regressabteilung (R).
Das OLG hatte Ansprüche wegen durch L grob fahrlässig verursachter Verjährung verneint. Da Beamte einen Unfall häufig nicht auch an R meldeten, habe das PP Oberbayern Süd die Dienststellenleiter hieran gezielt erinnert. Im konkreten Fall habe B weder gegenüber R noch auch nur L Meldung gemacht, sondern einen ersten Beihilfeantrag erst im Juni 2016 gestellt, nachdem die Bekl. Haftpflichtversicherung Direktzahlungen eingestellt hatte. Zudem sei B weder der Aufforderung zu einer Unfallschilderung durch L im Jahr 2013 nachgekommen, noch habe der Leiter seiner Dienststelle D auf einem seinerzeit verwendeten Formular eine Meldung an R angekreuzt.
Dem ist der BGH entgegengetreten.
1. Bei Behörden und öffentlichen Körperschaften beginne die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst dann zu laufen, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren sei.
Seien in einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig, komme es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Bediensteten der Leistungsabteilung sei demgegenüber regelmäßig unerheblich und zwar auch dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten seien, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine schuldhafte Verursachung des Schadens durch Dritte oder eine Gefährdungshaftung ergäben.
2. Die Obliegenheiten der Regressabteilung eines Leistungsträgers ergäben sich aus deren Aufgabe:
„Der Regressabteilung ist die Durchsetzung der […] übergegangenen Schadensersatzansprüche übertragen. Sie hat diese Ansprüche im Anschluss an die Leistungen, die der Dienstherr seinem geschädigten Beamten gewährt hat, zügig zu verfolgen. Dazu hat sie insbesondere ihr zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Ferner ist es Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise sicherzustellen, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen können […].
Die Verletzung dieser Obliegenheiten kann im Einzelfall als grob fahrlässig zu bewerten sein. So kann es sich verhalten, wenn ein Mitarbeiter der Regressabteilung aus ihm zugeleiteten Unterlagen in einer anderen Angelegenheit ohne Weiteres hätte erkennen können, dass die Möglichkeit eines Regresses in einem weiteren Schadensfall in Betracht kommt, und er die Frage des Rückgriffes auf sich beruhen lässt, ohne die gebotene Klärung der für den Rückgriff erforderlichen Umstände zu veranlassen. Gleiches gilt, wenn die Mitarbeiter der Regressabteilung erkennen mussten, dass Organisationsanweisungen notwendig sind oder vorhandene Organisationsanweisungen von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam […]. Auch in diesen Fallgestaltungen ist jedoch zu berücksichtigen, dass die (bloße) nachlässige Handhabung der vorbeschriebenen Obliegenheiten zur Begründung grober Fahrlässigkeit nicht genügt. Wie ausgeführt erfordert die Annahme grober Fahrlässigkeit die Feststellung eines schweren Obliegenheitsverstoßes; der Gläubiger muss die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt haben“.
3. Nach diesen Grundsätzen erweise sich die Annahme grober Fahrlässigkeit seitens der Mitarbeiter der Regressabteilung des Kl. als rechtsfehlerhaft:
a) Das Berufungsgericht hätte der im Streitfall zuständigen Regressabteilung beim Landesamt für Finanzen die Kenntnis der Zeuginnen H. und J. von einer unzureichenden organisatorischen Sicherstellung der frühzeitigen Information der Regressabteilung nicht ohne Weiteres zurechnen dürfen:
„Die Zeuginnen H. und J. sind Verwaltungsbeamte beim Polizeipräsidium Oberbayern Süd. Da nach den oben unter II.1. ausgeführten Grundsätzen schon eine Wissenszurechnung zwischen den Bediensteten der Leistungs- und der Regressabteilung derselben Behörde nicht stattfindet, gilt dies erst recht für Kenntnisse von Bediensteten unterschiedlicher Behörden wie hier dem Polizeipräsidium Oberbayern Süd und dem Landesamt für Finanzen. Auch der Umstand, dass das Polizeipräsidium Oberbayern Süd die Bediensteten der ihm nachgeordneten Dienststellen wegen der Erkenntnisse der Zeuginnen H. und J. mit Präsidialschreiben vom 18. Oktober 2011 auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, bei Privatunfällen die Regressstelle beim Landesamt für Finanzen zu unterrichten, rechtfertigt für sich genommen eine Zurechnung an diese nicht.
Das Berufungsgericht hat diese rechtsfehlerhafte Wissenszurechnung zum "Ausgangspunkt" seiner tatrichterlichen Beurteilung, ob dem Kl. der Vorwurf grober Fahrlässigkeit im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB zu machen ist, genommen und diese auch im Folgenden maßgeblich hierauf gestützt. Diese Beurteilung kann daher auch unter Berücksichtigung des insoweit eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs […] keinen Bestand haben.“
b) Auch soweit das Berufungsgericht ergänzend auf die vom Kl. ergriffenen organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung eines funktionierenden Informationsflusses eingegangen sei, seies den Anforderungen an die Annahme eines schweren Obliegenheitsverstoßes nicht gerecht geworden:
„Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Kl. bereits vor dem Unfall des in seinem Dienst stehenden Beamten L. vom 9. Oktober 2011 dienstliche Anweisungen dahingehend getroffen, dass in entsprechenden Fällen eine Unterrichtung der zuständigen Regressstelle auf drei Informationswegen, nämlich über die sachbearbeitende Beihilfestelle, über die Dienststelle des betroffenen Beamten und über den betroffenen Beamten selbst erfolgen sollte. Die Vorgaben über die beiden letztgenannten Informationswege hat das Polizeipräsidium Oberbayern Süd mit seinem Präsidialschreiben vom 18. Oktober 2011 lediglich in Erinnerung gerufen; der Inhalt des Präsidialschreibens war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit den auf den Intranet-Seiten des Landesamtes für Finanzen bereits einsehbaren Regelungen vergleichbar. Allein der Umstand, dass das Polizeipräsidium Oberbayern Süd sein Präsidialschreiben nicht an die Bediensteten persönlich, sondern an die jeweiligen Dienststellen geschickt hat, spricht angesichts des hierarchischen Aufbaus der Innenverwaltung ebenso wenig für einen ungewöhnlich groben Sorgfaltspflichtverstoß wie die unterlassene Anforderung einer digitalen Lesebestätigung. Ohnehin hat das Berufungsgericht insoweit aus dem Blick verloren, dass es maßgeblich auf einen Sorgfaltspflichtverstoß der Bediensteten der Regressabteilung, nicht jedoch auf einen solchen der vorgesetzten Dienststelle des verunfallten Beamten ankommt.“
Die Revision weise in diesem Zusammenhang auf Vortrag des Kl. dahingehend hin, dass die über die Dienststelle des L. vorgesehene Meldung an die Regressabteilung aufgrund individuellen Versagens des Dienststellenleiters unterblieben sei, der das entsprechende Textfeld auf dem von ihm ausgefüllten Formular nicht angekreuzt habe. Ein solches individuelles Versagen des Dienststellenleiters im Einzelfall könne der Annahme eines schweren organisatorischen Obliegenheitsverstoßes von Bediensteten der Regressabteilung entgegenstehen. Das Berufungsgericht werde deshalb Gelegenheit haben, sich auch mit diesem Vortrag des Kl. im neu eröffneten Berufungsverfahren zu befassen.
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