Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Zeitfaktor Patientenaufklärung - 1. Verspätete Aufklärung am Vortag?

Von Ärzten häufig als 24-Stunden-Regel verstanden, greift selbst der Grundsatz der Vortagsregel regelmäßig nicht, sobald der Patient bereits vorab informiert worden ist, und sei es auch nur durch bloße Vorgespräche.

 

Der Fall:

Der Kl. verlangt von der Bekl. Schadensersatz im Zusammenhang mit einer endovaskulären Stentimplantation. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dabei u.a. einen Aufklärungsfehler verneint. Hiergegen wendet sich der Kl. mit seiner Berufung, da er weder über das Risiko einer Querschnittslähmung bzw. spinalen Ischämie noch über das eines Punktionsaneurysmas im Bereich der arteria brachialis aufgeklärt worden sei. Die Angaben des Zeugen Dr. S seien nicht glaubhaft, da dieser erst auf Vorhalt erklärt habe, mit ihm auch über das Risiko einer spinalen Ischämie gesprochen zu haben. Selbst wenn aber unterstellt werde, dass er über das Risiko am Vortag der Operation von dem Assistenzarzt K aufgeklärt worden wäre, sei dies als verspätet anzusehen. Denn bei schwierigen Risikoeingriffen müsse das Aufklärungsgespräch bereits in der Sprechstunde erfolgen, in der der spätere Eingriff verabredet und der Termin dafür festgelegt werde.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG ließ den Einwand einer verspäteten Aufklärung am Vortag der Operation nicht durchgreifen. Eine detaillierte Aufklärung am Vortag der Operation könne zum einen als rechtzeitig anzusehen sein, wenn es sich um einen risikobehafteten Eingriff handele. Hier sei zudem unstreitig, dass der Kl. unabhängig von diesem Aufklärungsgespräch umfassend durch den Chefarzt Dr. S über die in Betracht kommenden Therapieverfahren aufgeklärt worden ist. Insbesondere belegten die Angaben des Zeugen ohne Weiteres, dass er noch sehr detaillierte Erinnerungen an die mit dem Kl. geführten Gespräche gehabt habe. Ferner habe er nicht erst auf Nachfrage bekundet, dass er im Rahmen dieser Gespräche auch eine Risikoaufklärung vorgenommen hat, sondern bereits eingangs seiner Vernehmung ausgeführt, dass in dem ersten Termin mit dem Kl. noch keine Entscheidung über die Operationsmethode getroffen worden sei und daher dort auch noch keine Details besprochen worden seien. Das nähere Eingehen auf die Operationsmethode und deren Risiken erfolge regelmäßig in einem weiteren Termin. Allein der Umstand, dass der Zeuge dann erst auf Nachfrage konkret angegeben habe, den Kl. dabei auch über das Risiko einer spinalen Ischämie aufgeklärt zu haben, führe vor dem Hintergrund seiner gesamten Aussage deshalb nicht dazu, dass die Glaubhaftigkeit dieser Angaben in Zweifel gezogen werden müsse. Außerdem habe eine zu spät erfolgte Aufklärung aber auch nicht automatisch die Unwirksamkeit der Einwilligung zur Folge. Der Umstand, dass der Patient unter psychischem Druck stehe, reiche nicht generell zu der Annahme aus, er habe keine Freiheit mehr, sich gegen den Eingriff zu entscheiden. Es bedürfe vielmehr konkreter vom Patienten substantiiert vorzutragender Tatsachen, etwa die besondere Art des Risikos oder die besonders eingeschränkte Entschlusskraft des Patienten. Solche seien hier nicht dargetan.

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04.04.2023

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 12.08.2022
Aktenzeichen: 4 U 583/22

Fachlich verantwortlich

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