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Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG - Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung

Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Ver-fahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbe-hinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung iSv. § 22 AGG*, dass der/die erfolglosen schwerbehinderten Bewerber/in im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinde-rung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbe-hinderung benachteiligt wurde. Zu diesen Vorschriften ge-hört § 165 Satz 1 SGB IX**, wonach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzei-tig freiwerdende und neu zu besetzende sowie neue Ar-beitsplätze melden. Um dieser Bestimmung zu genügen, reicht allein die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit nicht aus.

 


Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte Landkreis verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG*** wegen einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu zahlen.

 


Im November 2017 veröffentlichte der beklagte Landkreis über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit ein Stel-lenangebot. Danach sollte zum 1. Februar 2018 ein „Ar-beitsplatz als Führungskraft“, nämlich die Stelle als „Amts-leiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)“ besetzt werden. In der Stellenausschreibung hieß es ua., dass das Aufgabengebiet die Leitung des Rechts- u. Kommunal-amts mit seinerzeit ca. 20 Bediensteten umfasse und dass ein abgeschlossenes weiterführendes wissenschaftli-ches Hochschulstudium (Master oder gleichwertiger Ab-schluss) in der Fachrichtung Rechtswissenschaften bzw. 2. juristisches Staatsexamen (Volljurist/in) sowie mehrjähri-ge einschlägige Berufserfahrung und mehrjährige ein-schlägige Führungserfahrung vorzugsweise in einer ver-gleichbaren Führungsposition hinsichtlich der Führungs-spanne und des Aufgabenbereichs im kommunalen Be-reich erwartet würden.

 


Der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Kläger be-warb sich im November 2017 unter Angabe seiner Schwerbehinderung ohne Erfolg auf die ausgeschriebene Stelle. Zu einem Vorstellungsgespräch wurde er nicht ein-geladen. Mit Schreiben vom 11. April 2018 wurde ihm mitgeteilt, dass sich der beklagte Landkreis für einen an-deren Bewerber entschieden habe. Daraufhin wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 14. April 2018 unter dem Betreff „Beschwerde nach § 13 AGG und Entschädigungs-anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG“ an den beklagten Land-kreis. Mit der Beschwerde beanstandete er, als schwerbe-hinderter Bewerber bereits im Vorverfahren des Bewer-bungsverfahrens nicht berücksichtigt worden zu sein. Zu-dem machte der Kläger mit diesem Schreiben – erfolglos – einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Der Kläger erhielt auf die Beschwerde vom beklagten Landkreis keine Antwort.

 


Mit seiner Klage verfolgt der Kläger gegenüber dem be-klagten Landkreis einen Anspruch auf Zahlung einer Ent-schädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter. Er hat die Auf-fassung vertreten, der beklagte Landkreis habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies folge ua. da-raus, dass der beklagte Landkreis den freien Arbeitsplatz nicht den Vorgaben von § 165 Satz 1 SGB IX entspre-chend der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet habe und dass er ihn, den Kläger, entgegen § 165 Satz 3 SGB IX** nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen ha-be, obwohl ihm – entgegen der Annahme des beklagten Landkreises – die fachliche Eignung nicht offensichtlich gefehlt habe. Zudem begründe die unterlassene Beant-wortung seiner Beschwerde nach § 13 Abs. 1 AGG**** die Vermutung, dass er wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt worden sei. Der beklagte Landkreis hat Klageabweisung beantragt. Er schulde dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

 


Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der beklagte Landkreis den Klä-ger wegen der Schwerbehinderung benachteiligt und schuldet ihm deshalb die Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Der beklagte Land-kreis hatte es entgegen § 165 Satz 1 SGB IX unterlassen, den ausgeschriebenen, mit schwerbehinderten Menschen besetzbaren Arbeitsplatz der zuständigen Agentur für Ar-beit zu melden. Die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit stellt keine Meldung iSv. § 165 Satz 1 SGB IX dar. Der Umstand der unterlassenen Meldung begründet die Vermutung, dass der Kläger im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren we-gen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und da-mit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Danach kam es nicht mehr darauf an, ob weitere Verstöße gegen die zugunsten schwerbehinderter Menschen ge-troffenen Verfahrens- und/oder Förderpflichten vorlagen. Ebenso dahinstehen konnte, ob die unterbliebene Beant-wortung der Beschwerde des Klägers durch den beklagten Landkreis ein Indiz nach § 22 AGG für eine Benachteili-gung des Klägers wegen der Schwerbehinderung sein konnte.

 

*§ 22 AGG
Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteili-gung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestim-mungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
** § 165 SGB IX
1 Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes freiwerdende und neu zu besetzende sowie neue Ar-beitsplätze (§ 156). … 3Haben schwerbehinderte Menschen sich um ei-nen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vor-geschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingela-den. 4Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offen-sichtlich fehlt. …
***§ 15 Abs. 2 AGG
Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteili-gungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
****§ 13 Abs. 1 AGG
Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Ar-beitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Be-schäftigten mitzuteilen.
 

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28.02.2022

Informationen

BAG
Urteil/Beschluss vom 25.11.2021
Aktenzeichen: 8 AZR 313/20

Vorinstanzen

Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil/Beschluss vom 11.03.2020
Aktenzeichen: 5 Sa 414/18

Quelle

Pressemitteilungen des Bundesarbeitsgerichts

Fachlich verantwortlich

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