Prof. Roland Kesselring FA f. Bau- u. ArchitektenR

Architekten- und Ingenieurverträge - Vergütung für Architekten und Ingenieure: die HOAI „lebt“ – für Altfälle (EuGH 2)

„Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, …“

 

Kernaussage der zweiten EuGH-Entscheidung vom 18.01.2022 zur HOAI:
„es (das Preisrecht) ist noch nicht vorbei“: die nicht umgesetzte EU-Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) entfaltet keine unmittelbare Rechtswirkungen auf nationale Sachverhalte, die HOAI-Mindestpreise können – unter europarechtlichen Gesichtspunkten - auf „Altfälle“ (Vertragsschluss vor dem 01.01.2021) nach wie vor angewendet werden….
Der zugrundeliegende Sachverhalt:
Vorlage des BGH in einem laufenden Honorarstreit: BGH, VII ZR 174/19 und VII ZR 205/19
Der Vorlage zugrundeliegender (typischer) HOAI-Lebenssachverhalt (weitere Einzelheiten s. Pressemitteilungen
des BGH Nr. 159/2019 und 10/2020):
• Ingenieurvertrag 2016 über Leistungen, die vom Anwendungsbereich der HOAI erfasst waren
(Deutscher AG, Bauvorhaben in Berlin)
• Vereinbarung eines Pauschalhonorars hierfür, das deutlich unterhalb der HOAI-Mindestsätze lag
• Vorzeitige Vertragsbeendigung, Schlussrechnung auf der Grundlage des HOAI-Mindestsatzhonorars
• Wirtschaftlich: Pauschale ca. 55.000 €, HOAI-Mindestsatz über 100,000 €.
• In zwei Instanzen: HOAI-Honorar weitgehend zugesprochen
Die Entscheidung des EuGH:
Der Europäische Gerichtshof ist vom BGH (in einem laufenden Honorarstreit: BGH, VII ZR 174/19 und VII ZR 205/19) angerufen worden, um vorab unmittelbare europarechtliche Wirkungen auf den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt klären zu lassen. Denn die HOAI-Mindestsätze sind bereits 2019 vom EuGH für europarechtwidrig erklärt worden (EuGH, 04.07.2019 – C-377/17), weil der deutsche Gesetzgeber/Verordnungsgeber europäisches Recht vereinbarungswidrig nicht in nationales Recht umgesetzt hatte.
Also stellte sich europarechtlich die Frage, ob entweder die EU-Dienstleistungsrichtlinie aus 2006 oder der EU-Vertrag unmittelbare Rechtswirkungen auf nationale Lebenssachverhalte entfalten könne. Der EuGH hat dies 2022 verneint!
Mit anderen Worten:
• EU-Recht wirkt NICHT UNMITTELBAR auf die Rechtsgrundlagen nationaler Lebenssachverhalte bzw. Streitigkeiten,
• … und zwar weder die EU-Richtlinie(n) noch der EU-Vertrag selbst,
• … deshalb gibt es auch keine Pflicht nationaler Gerichte des Mitgliedsstaats, eigene nationale Regelungen unangewendet zu lassen, selbst wenn sie EU-rechtswidrig sein sollten
• Die Mindestpreisregelungen der HOAI können als fortgeltendes nationales Recht – unter EU-rechtlichen Gesichtspunkten – weiterhin angewendet werden.

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30.04.2021

Informationen

EuGH
Urteil/Beschluss vom 18.01.2022
Aktenzeichen: C.261/20

Quelle

amtliche Leitsätze

Fachlich verantwortlich

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