Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR

Anspruch auf Wertermittlung auch nach Veräußerung eines Nachlassgegenstands

Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB steht nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall veräußert wurde.

 

Maßgeblich für die Pflichtteilsberechnung ist der Bestand und Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls (sog. Stichtagsprinzip, § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umge-setzt worden. Soweit erforderlich, ist der Wert durch Schätzung zu ermitteln (§ 2311 Abs. 2 S. 1 BGB). Weil Schätzungen mit Unsicherheiten verbunden sind, hat sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind, grundsätzlich am tatsächlich erzielten Verkaufspreis zu orientieren, sofern keine außergewöhnlichen Verhältnisse vorliegen (BGH, NJW-RR 1991, 900; NJW-RR 1993, 131; NJW 2011, 1004; FamRZ 2015, 1023; Staudinger/Herzog, BGB, § 2311 Rn. 206; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2311 Rn. 6). Selbst bei größerem zeitlichem Abstand zwischen Erbfall und Verkauf ist der tatsächlich erzielte Verkaufserlös maßgeblich, wenn die Marktverhältnisse seit dem Erbfall im Wesentlichen unverändert geblieben sind und auch hinsichtlich des betreffenden Gegenstandes keine wesentliche Veränderung eingetreten ist (BGH, NJW-RR 1993, 131; NJW 2011, 1004). Diese Grundsätze gelten jedoch nicht für die auf Auskunft und Wertermitt-lung gerichtete erste Stufe einer Pflichtteilsstufenklage, sondern nur für die konkrete Berechnung des Pflichtteils-anspruchs auf der dritten Stufe. Der Wertermittlungs-anspruch (§ 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB) dient gerade nicht dazu, für den Pflichtteilsberechtigten und den Erben den Wert des Nachlassgegenstands im Zeitpunkt des Erb-falls verbindlich festzulegen, sondern soll dem Pflichtteils-berechtigten die Beurteilung des Risikos eines Rechtsstreits über den Pflichtteil erleichtern (BGHZ 107, 200 = NJW 1989, 2887; OLG Frankfurt, ZEV 2011, 379). Dem Wertermittlungsanspruch steht deshalb auch nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall veräußert wurde (OLG Frank-furt, ZEV 2011, 379; OLG Köln, ZEV 2014, 660; Staudin-ger/Herzog, BGB, § 2314 Rn. 263; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2314 Rn. 14). Dies rechtfertigt sich daraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten anderenfalls der Nachweis verwehrt oder zumindest erschwert würde, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht.

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28.02.2022

Informationen

BGH
Urteil/Beschluss vom 29.09.2021
Aktenzeichen: IV ZR 328/20

Quelle

amtliche Leitsätze

Fachlich verantwortlich

Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR

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