Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR

Widerruf eines Testaments durch Durchstreichen

Wird ein privatschriftliches Testament in der Wohnung des Erblassers gefunden und kann ausgeschlossen werden, dass Dritte ungehinderten Zugriff darauf hatten, ist davon auszugehen, dass Veränderungen an der Urkunde vom Erblasser selbst vorgenommen wurden.

 

Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände kann davon ausgegangen werden, dass großflächige Durchstreichungen, die sich über die gesamte Urkunde erstrecken, in Widerrufsabsicht angebracht worden sind.

Anmerkung für die Praxis:

Nach § 2255 S. 1 BGB kann der Widerruf eines Testaments auch durch Vernichtung der Testamentsurkunde oder durch Vornahme von Veränderungen an ihr erfolgen, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt. Eine solche Veränderung kann insbesondere durch Einreißen, Einschneiden, Durchstreichen, Unleserlichmachen oder Anbringen eines Ungültigkeitsvermerks erfolgen, nicht jedoch durch bloßes Wegwerfen ohne zusätzliches Zerknüllen der Urkunde

(Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2255 Rn. 1).

Hat der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet oder verändert, so wird nach § 2255 S. 2 BGB vermutet, dass er die Aufhebung des Testaments beabsichtigt hat. Dafür, dass die Vernichtung oder Veränderung vom Erblasser selbst vorgenommen wurde, gibt es hingegen keine Vermutung. Die Feststellungslast trägt im Erbscheinsverfahren derjenige, der sich auf die Widerrufshandlung beruft (BayObLGZ 1983, 204; OLG Köln, NJW-RR 2004, 1015; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2255 Rn. 11). Erst wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Erblasser das Testament selbst vernichtet oder verändert hat, greift die gesetzliche Vermutung des § 2255 S. 2 BGB ein.

Befand sich die veränderte Urkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers und liegen keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vor, dass die Veränderungen von Dritten vorgenommen wurden, dürfen die Anforderungen an den Beweis, dass die Veränderung der Urkunde auf eine Handlung des Erblassers zurückzuführen ist, aber nicht zu hoch angesetzt werden (BayObLGZ 1983, 204; OLG Stuttgart, FamRZ 2021, 312; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2255 Rn. 11). In einem solchen Fall kann schon der erste Anschein dafür sprechen, dass die Veränderungen vom Erblasser selbst vorgenommen worden sind (BayObLGZ 1983, 204).

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05.02.2024

Informationen

OLG München
Urteil/Beschluss vom 13.10.2023
Aktenzeichen: 33 Wx 73/23 e

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