Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR
Eine Vor- und Nacherbschaft kann – unabhängig von der Begriffswahl – von Ehegatten nur dann gewollt sein, wenn sie die Vorstellung haben, dass beim Tod des längerlebenden Ehegatten das Gesamtvermögen getrennt nach dem Vermögen des Vorverstorbenen und dem Eigenvermögen des Überlebenden vererbt werden und als getrennte Vermögensmassen auf die Erben übergehen soll.
Wollen Ehegatten sicherstellen, dass ihr Vermögen nach dem Tode des Erstversterbenden zunächst in der Hand des überlebenden Ehegatten verbleibt und nach dessen Ableben auf die Kinder übergeht, sind drei unterschiedliche Gestaltungen denkbar:
• Die Ehegatten können sich gegenseitig als alleinige Vollerben einsetzen und bestimmen, dass nach dem Tode des Überlebenden der beiderseitige Nachlass auf die Kinder als Schlusserben übergehen soll (sog. Einheitslösung).
• Jeder Ehegatte kann den anderen Ehegatten als Vorerben und die Kinder als Nacherben und zugleich als Ersatzerben für den Fall des eigenen Überlebens einsetzen (sog. Trennungslösung).
• Jeder Ehegatte kann die Kinder unmittelbar als Erben einsetzen und dem anderen Ehegatten für den Fall, dass er zuletzt verstirbt, den Nießbrauch am Nachlass oder an den Erbteilen der Kinder zuwenden (sog. Nießbrauchslösung).
Gewichtiges Indiz für eine von den Ehegatten gewollte Trennungslösung kann sein, wenn der wesentliche Teil des beiderseitigen Vermögens nur von einem Ehegatten stammt und dieser Wert darauf legt, dass die Substanz seines Vermögens unvermindert auf die Drittbedachten übergeht (BayObLGZ 1966, 49; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2269 Rn. 7). Auch die Formulierung, wonach das den wesentlichen Teil des Vermögens des Erstverstorbenen ausmachende Grundstück nicht verkauft werden darf und von einem der Kinder übernommen werden soll, kann eine Auslegung i.S.d. Trennungslösung rechtfertigen (OLG Hamm, FamRZ 2003, 1503). Die Vermögenslosigkeit des überlebenden Ehegatten allein zwingt jedoch nicht zur Annahme von Vor- und Nacherbschaft, weil nicht ausgeschlossen ist, dass die Ehegatten ihr Vermögen gleichwohl als Einheit betrachtet haben (BayObLGZ 1966, 49; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2269 Rn. 7). Auch die Verwendung der Begriffe „Vorerbe“ und „Nacherbe“ macht allein den Testamentsinhalt nicht eindeutig, weil Ehegatten diese Begriffe vielfach in rechtlich unzutreffender Weise verwenden (BayObLG, FamRZ 1992, 1476; OLG Schleswig, FamRZ 2017, 403; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2269 Rn. 6).
Kann auch nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen nicht eindeutig geklärt werden, wie die Ehegatten ihre Verfügung tatsächlich verstanden haben, ist nach der Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB im Zweifel die Einheitslösung als gewollt anzusehen (OLG Bamberg, ErbR 2013, 397).
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