Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR

Berücksichtigung von „Schwarzgeld“ bei der Testamentsauslegung

Verfügt ein Erblasser in einem Testament über einzelne Vermögensgegenstände, die nach seiner Vorstellung sein wesentliches Vermögens ausmachen, so kann in Ermangelung von sonstigen Anhaltspunkten für eine individuelle Auslegung in Abweichung von der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB grundsätzlich von einer Erbeinsetzung ausgegangen werden. 

Von einer solchen Verfügung über das wesentliche Vermögen kann aber nicht mehr ausgegangen werden, wenn nach der Vorstellung des Erblassers der Wert der zugewendeten Gegenstände weniger als 80 % seines gesamten Vermögens beträgt.

Verfügt der Erblasser im Testament ausdrücklich über Geldanlagen bei zwei namentlich bezeichneten inländischen Banken, während auf einem Konto im Ausland angelegtes „Schwarzgeld“ in erheblicher Höhe nicht erwähnt wird, kann ohne weitere konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, dass der Erblasser dieses dennoch stillschweigend von seiner Verfügung umfasst sehen wollte und nur deshalb nicht erwähnt hat, weil er das Konto im Ausland auch nach seinem Tod möglichst geheim halten wollte.

 

Bei der Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis kommt es im Wesentlichen darauf an, ob der Erblasser dem Bedachten eine möglichst starke Stellung, also unmittelbare Rechte am Nachlass verschaffen und ihn mit der Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses betrauen wollte oder ob er den Bedachten von der unmittelbaren Herrschaft über den Nachlass ausschließen und auf einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben beschränken wollte (BGH, NJW-RR 2017, 1035; BayObLG, FamRZ 1986, 604; OLG Hamburg, FamRZ 2016, 1808; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2087 Rn. 4). Wichtiger Anhaltspunkt für die Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis kann auch sein, wer nach dem Tode des Erblassers für Bestattung und Grabpflege sorgen soll, weil nach der Lebenserfahrung der Erblasser regelmäßig will, dass dies vom Erben übernommen wird (BayObLG, NJW-RR 2001, 656; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2087 Rn. 4).
Die Zuwendung eines einzelnen Gegenstandes ist entgegen der Auslegungsegel des § 2087 Abs. 2 BGB dann als Erbeinsetzung anzusehen, wenn er praktisch den ganzen Nachlass ausmacht oder das übrige Vermögen im Wert so erheblich übertrifft, dass der Erblasser ihn offensichtlich als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat (BGH, NJW-RR 2017, 1035; OLG München, FGPrax 2020, 141; OLG Düsseldorf, FamRZ 2014, 1943; OLG Naumburg, FamRZ 2007, 943; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2087 Rn. 4). Insbesondere wenn ein Grundstück oder eine Eigentumswohnung den wesentlichen Teil des Vermögens bildet, liegt es nahe, in seiner Zuwendung eine Alleinerbeinsetzung des Bedachten zu sehen (OLG München, FamRZ 2008, 725), so dass ihm in dieser Eigenschaft auch die nicht ausdrücklich erwähnten Nachlassgegenstände zufallen (MüKo/Rudy, BGB, § 2087 Rn. 9).
Ab wann ein einzelner Gegenstand als wesentlicher Teil des Nachlasses anzusehen ist, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern muss jeweils nach den Umständen des Einzelfalles entschieden werden; einen festen Schwellenwert gibt es nicht (OLG Schleswig, FamRZ 2016, 406). Als absolute Untergrenze für das Wertverhältnis zwischen dem zugewendeten Gegenstand zum Gesamtvermögen wird wohl ein Anteil von 80 % anzusehen sein (Staudinger/Otte, BGB, § 2087 Rn. 21).

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30.04.2022

Informationen

OLG Frankfurt a.M
Urteil/Beschluss vom 01.07.2021
Aktenzeichen: 20 W 75/19

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