Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR

Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung

Nach § 133 BGB kommt es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, ohne dass an dem von ihm buchstäblich gewählten Sinn des Ausdrucks zu haften ist. Das Schriftstück muss nicht die Bezeichnung „Testament“, „letzter Wille“ oder „letztwillige Verfügung“ enthalten.

 

Im Zweifel ist die Auslegung gemäß § 2084 BGB so vorzunehmen, dass die Verfügung Erfolg haben kann. Damit kommt eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis auch dann in Betracht, wenn der Erblasser für den Fall seines plötzlichen Ablebens seinen Hausanteil „verschenken“ wollte; dies ist nicht als Schenkung im Rechtssinn zu verstehen.

 

Gemäß § 2087 Abs. 2 BGB ist die Zuwendung einzelner Gegenstände im Zweifel nicht als Erbeinsetzung aufzufassen. Die Vorschrift kommt jedoch erst dann zur Anwendung, sofern im Wege der individuellen Auslegung kein anderer Erblasserwille festgestellt werden kann.

 

Für die Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis ist auf die Wertverhältnisse der verteilten Gegenstände am Tag der Testamentserrichtung abzustellen. Die Rechtsprechung geht regelmäßig von einem „Gesamtverfügungswillen“ aus, wenn der Erblasser über mindestens 80 % seines gesamten Vermögens verfügt hat.

Anmerkung für die Praxis:

Bei der Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis kommt es im Wesentlichen darauf an, ob der Erblasser dem Bedachten eine möglichst starke Stellung, also unmittelbare Rechte am Nachlass verschaffen und ihn mit der Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses betrauen wollte oder ob er den Bedachten von der unmittelbaren Herrschaft über den Nachlass ausschließen und auf einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben beschränken wollte (BGH, NJW-RR 2017, 1035; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2087 Rn. 4). Wichtiger Anhaltspunkt für die Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis kann auch sein, wer nach dem Tode des Erblassers für Bestattung und Grabpflege sorgen soll, weil nach der Lebenserfahrung der Erblasser regelmäßig will, dass diese Aufgaben der Erbe übernimmt (OLG Hamburg, FamRZ 2016, 1808; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2022, 1021; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2087 Rn. 4).

 

Die Zuwendung eines einzelnen Gegenstandes ist entgegen der Auslegungsegel des § 2087 Abs. 2 BGB dann als Erbeinsetzung anzusehen, wenn er praktisch den ganzen Nachlass ausmacht oder das übrige Vermögen im Wert so erheblich übertrifft, dass der Erblasser ihn offensichtlich als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat (BGH, NJW-RR 2017, 1035; OLG München, FGPrax 2020, 141; OLG Düsseldorf, FamRZ 2014, 1943; OLG Naumburg, FamRZ 2007, 943; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2087 Rn. 4). Insbesondere wenn Hauptnachlassgegenstand das Grundstück oder die

Eigentumswohnung des Erblassers ist, liegt es nahe, in seiner Zuwendung eine Alleinerbeinsetzung des Bedachten zu sehen (OLG München, FamRZ 2008, 725).

Bislang ging man davon aus, dass die Frage, ab wann ein einzelner Gegenstand als wesentlicher Teil des Nachlasses anzusehen ist, jeweils nach den Umständen des Einzelfalles entschieden werden muss, weil es keinen festen Schwellenwert gibt. Das OLG Brandenburg nimmt nun erstmals an, dass ein solcher „Gesamtverfügungswille“ vorliegt, wenn der Erblasser über mindestens 80 % seines Vermögens verfügt hat.

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12.07.2023

Informationen

OLG Brandenburg
Urteil/Beschluss vom 20.02.2023
Aktenzeichen: 3 W 31/22

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