Gesetzliche Grundlage für transnationale Umwandlungen und mehr – Neuerungen durch das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) – Teil 1 - Hintergrund

§ 1 Abs. 1 UmwG begrenzt nach seinem Wortlaut den Anwendungsbereich auf „Rechtsträger mit dem Sitz im Inland“, weshalb eine Beschränkung von Umwandlungsmaßnahmen nach dem UmwG auf reine Inlandssachverhalte nahe zu liegen scheint.  In Zusammenschau mit § 1 Abs. 2 UmwG, der Umwandlungen außerhalb des Umwandlungsgesetzes nur erlaubt, wenn sie in einem anderen Gesetz vorgesehen sind, wurde daraus dementsprechend ein Verbot grenzüberschreitender Umwandlungen gefolgert. 

 

 

 

Die Spielregeln für transnationale Umwandlungen grundlegend geändert hat die Entscheidung des EuGH in Sachen „SEVIC-Systems“ vom 13.12.2005.  Im zugrundeliegenden Fall sollte das Vermögen der Security Vision Concept S.A., einer Aktiengesellschaft mit Satzungs- und Verwaltungssitz in Luxemburg mittels Verschmelzung auf ihre deutsche Mutter, die SEVIC-Systems AG übertragen werden (Hineinverschmelzung). Der EuGH stellt in dieser Entscheidung klar, dass alle Maßnahmen, die den Zugang zu einem an-deren Mitgliedstaat dadurch ermöglichen oder nur erleichtern, dass sie eine Teilnahme am Wirtschaftsleben dieses Mitgliedstaats zu den dort für inländische Wirtschaftsbeteiligte geltenden Bedingungen gestatten, in den Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV (Ex-Art. 43, 48 EG) fallen.  Transnationale Verschmelzungen entsprächen den Zusammenarbeits- und Umwandlungsbedürfnissen von Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten und stellten für das reibungs-lose Funktionieren des Binnenmarkts eine wichtige Modalität der Ausübung der Niederlassungs-freiheit dar. Damit gehören sie zu den von Art. 49, 54 AEUV geschützten Tätigkeiten und zwingen zu einer europarechtskonformen Auslegung des deutschen Umwandlungsrechts. 

 

 

 

Der Sachverhalt in Sachen „SEVIC“ bezog sich – aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung – auf eine klassische Hineinverschmelzung. Auf Fragen der Hinausverschmelzung musste der EuGH deshalb nicht eingehen. Zudem war auch nicht zu klären, ob auch andere grenzüberschreitende Strukturmaßnahmen wie Spaltungen und Formwechsel in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit einbezogen sind.  Richtigerweise konnte man jedoch schon diese Entscheidung dahingehend verstehen, dass auch diese Maßnahmen von der Niederlassungsfreiheit garantiert sind. Der EuGH differenziert nicht zwischen Hinein- und Hinausverschmelzungen, sondern spricht in der Entscheidung durchgehend von grenzüberschreitenden Verschmelzungen. Zudem führt der EuGH wörtlich aus, dass auch „andere Gesellschaftsumwandlungen den Zusammenarbeits- und Umgestaltungs-bedürfnissen von Gesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten“ entsprechen und „wichtige Modalitäten der Ausübung der Niederlassungsfreiheit“ darstellen.  Folglich liegt es in der Konsequenz des SEVIC-Urteils, dass auch die in Deutschland ohne Weiteres mögliche (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) Verschmelzung von Personenhandelsgesellschaften grenzüberschreitend zwischen den Mitgliedstaaten möglich sein muss. 

 

 

 

 

Auch wenn die EuGH-Entscheidung in Sachen „SEVIC“ klargestellt hat, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen de lege lata materiell zulässig sind, lässt sie doch offen, wie das Verfahren einer solchen Strukturmaßnahme abläuft.  Das auf grenzüberschreitende Verschmelzungen anzuwendende Verfahren war zunächst Gegenstand der am 15.12.2005 in Kraft getretenen Richtlinie des Europäischen Rats und des Parlaments betreffend grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften,  die im deutschen Umwandlungsrecht in den §§ 122a ff. UmwG umgesetzt wurde. Zwischenzeitlich ist diese in der im Juli 2017 in Kraft getretenen Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts aufgegangen, mittels derer – ohne inhaltliche Änderungen – mehrere wichtige Richtlinien  im Sinne von Rechtsklarheit und Transparenz zu einer einheitlichen „Gesellschaftsrechtsrichtlinie“ (nachfolgend „GesRRL“) zusammengefasst wurden. 

Mit den §§ 122a ff. UmwG in ihrer gegenwärtigen Fassung ist – basierend auf der ursprünglichen GesRRL – lediglich die transnationale Verschmelzung in Europa geregelt. Es bestand jedoch Einigkeit, dass darüberhinausgehend auch transnationale Spaltungen und Formwechsel innerhalb von EU und EWR von der Niederlassungsfreiheit geschützt sind (Art. 49, 54 AEUV; Art. 31, 34 EWR-Vertrag). Seit den EuGH-Entscheidungen Sevic , Cartesio , VALE  und Polbud  konnte als geklärt gelten, dass zumindest diejenigen Mitgliedstaaten, die (wie Deutschland) innerstaatliche Spaltungs- und Formwechselvorgänge ermöglichen, aufgrund der Niederlassungsfreiheit dazu verpflichtet sind, auch grenzüberschreitende Spaltungen innerhalb der EU und des EWR grundsätzlich zuzulassen.  Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 UmwG, nach der nur Rechtsträger mit (Satzungs-) Sitz in Deutschland an Umstrukturierungen nach dem UmwG beteiligt sein können, muss daher in unionsrechtskonformer Rechtsfortbildung insbes. auf Spaltungen und Formwechsel unter Beteiligung von Rechtsträgern aus anderen Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR ausgedehnt werden (unionsrechtskonforme Auslegung). 

Unbeschadet dieses Schutzes durch die Niederlassungsfreiheit waren grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel bisher nicht sekundärrechtlich geregelt. Diese Regelungslücke wurde – entsprechend einer in der deutschen Literatur verbreiteten Forderung  – zumindest teilweise durch die am 1.1.2020 in Kraft getretene sog. Umwandlungsrichtlinie (RL (EU) 2019/2121; nachfolgend „UmwRL“)  beseitigt. Dabei handelt es sich um eine Änderungsrichtlinie zur GesRRL, die – neben einer Überarbeitung der bereits bestehenden Vorschriften zur grenzüberschreitenden Verschmelzung – erstmals Richtlinienbestimmungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel und zur grenzüber-schreitenden Spaltung vorsieht. Die Richtlinie sorgt darüber hinaus für eine Vereinheitlichung beim Schutz der betroffenen Interessengruppen wie Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern. 

Die Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie durch den deutschen Gesetzgeber hat ausweislich deren Art. 3 Abs. 1 S. 1 bis spätestens zum 31.01.2023 zu erfolgen.  

 

 

[1] Vgl. zum Meinungsstand ua Widmann/Mayer/Heckschen § 1 UmwG Rn. 89 ff.

[2] Ausweislich der Gesetzesmaterialien des Umwandlungsgesetzes 1994 sollte die Anwendbarkeit tatsächlich auf rein innerstaatliche Vorgänge beschränkt werden, wenn es dort etwa heißt, dass die grenzüberschreitende Fusion „gegenwärtig zivilrechtlich nicht durchführbar“ sei. Vgl. BT-Drucksache 12/7945, S. 17.

[3] EuGH v. 13.12.2005, C-411/03, NZG 2006, 112; dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2006, 210.

[4] EuGH v. 13.12.2005, C-411/03, NZG 2006, 112, 113 (Rn. 18).

[5] Dazu ua Bayer/Schmidt J. ZIP 2006, 210; Geyrhalter/Weber DStR 2006, 145; Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 234; Spahlinger/Wegen NZG 2006, 721; Meilicke/Rabback GmbHR 2006, 123, 126.

[6] EuGH v. 13.12.2005, C-411/03, NZG 2006, 112, 113 (Rn. 19).

[7] Dazu bereits Sinewe DB 2005, 2061; Haritz/Wolff GmbHR 2006, 340, 341

[8] Vgl. Bayer/Schmidt J. ZIP 2006, 210, 212; zur Durchführung transnationaler Umwandlungsvorgänge außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 122a ff. UmwG ausf. Widmann/Mayer/Heckschen § 1 UmwG Rn. 264 ff.

[9] Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 310 v. 25.11.2005, S. 1 ff. Sie gab den Mitgliedstaaten wesentliche Teile des auf grenzüberschreitende Verschmelzungen anzuwendenden Verfahrens vor.

[10] Spaltungsrichtlinie v. 17.12.1982 (82/891/EWG, ABl.EG Nr. L 378, 47 v. 31.12.1982, abgedruckt in Band 1 des Widmann/Mayer, Fach EG-Richtlinien → Spaltungsrichtlinie), Zweigniederlassungsrichtlinie v. 21.12.1989 (89/666/EWG, ABl.EG Nr. L 395/36 v. 30.12.1989), Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften v. 26.10.2005 (2005/56/EG, ABl.EU Nr. L 310, 1 v. 25.11.2005, abgedruckt in Band 1 des Widmann/Mayer, Fach EG-Richtlinien → Internationale Verschmelzungsrichtlinie), Publizitätsrichtlinie v. 16.9.2009 (2009/101/EG, ABl.EU Nr. L 258, 11 v. 1.10.2009), Verschmelzungsrichtlinie v. 5.4.2011 (2011/35/EU, ABl.EU Nr. L 110, 1 v. 29.4.2011, abgedruckt in Band 1 des Widmann/Mayer, Fach EG-Richtlinien → Verschmelzungsrichtlinie) und Kapitalrichtlinie v. 25.10.2012 (2012/30/EU, ABL.EU Nr. L 315, 74 v. 14.11.2012, abgedruckt in Band 1 des Widmann/Mayer, Fach EG-Richtlinien → Kapitalrichtlinie (Zweite Richtl)). Der Kodifizierungsvorschlag wurde auf der Grundlage einer vorläufigen konsolidierten Fassung dieser Richtlinien und der sie ändernden Rechtsakte ausgearbeitet.

[11] Richtlinie 2017/1132/EU v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl.EU Nr. L 169, 46 v. 30.6.2017.

[12] EuGH v. 13.12.2005, C-411/03, NJW 2006, 425.

[13] EuGH v. 16.12.2008, C-210/06, NJW 2009, 569.

[14] EuGH v. 12.7.2012, C-378/10, NJW 2012, 2715.

[15] EuGH v. 25.10.2017, C-106/16, NJW 2017, 3639.

[16] Siehe nur Widmann/Mayer/Heckschen, Vor §§ 122a ff. UmwG Rn. 96 ff.

[17] Vgl. Habersack/Wicke/Verse § 123 Rn. 27 f.; Henssler/Strohn/Decker § 1 UmwG Rn. 12; Lutter/Bayer Einl. I Rn. 46; Semler/Stengel/Leonard/Drinhausen Einl. C Rn. 24 ff., 33; Lutter/Drygala § 1 UmwG Rn. 19; BeckNotar-HdB/Heckschen § 24 Rn. 5, 183; MünchHdBGesR/Hoffmann Bd. 6, § 56 Rn. 23 ff.; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl § 1 Rn. 47 ff.; Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 234; Kleba RNotZ 2016, 273, 275 f.; MünchHdBGesR/Kraft/Redenius-Hövermann Bd. 8, § 30 Rn. 11 ff.; Lutter/Bayer/Schmidt J., Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 105; Kallmeyer/Marsch-Barner/Wilk Vor §§ 122a-122m UmwG Rn. 12; Schmidt J., Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate?, 2016, 11 f.; Veith in BeckHB Umwandlungen International, 1. Aufl. 2013, 3. Teil Rn. 12, 199; Habersack/Verse/Verse, EuropGesR, § 8 Rn. 59; Vetter AG 2006, 613 (Fn. 21); aA MüKoBGB/Kindler IntGesR Rn. 860 ff.

[18] Siehe zB Bayer/Schmidt J. BB 2013, 3, 14 f.

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31.10.2022

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