Dr. Simon Weiler Notar
§§ 72a, 72b UmwG-E
Ist das im Verschmelzungsvertrag zugrunde gelegte Umtauschverhältnis nicht angemessen, können die Aktionäre gemäß § 15 Abs. 1 UmwG Ausgleich durch bare Zuzahlung verlangen. Diese potentiellen Zuzahlungsansprüche führen für die übernehmende Aktiengesellschaft zum Risiko eines Liquiditätsabflusses in ungewisser Höhe.
Vor diesem Hintergrund betritt der Gesetzgeber mit §§ 72a, 72b UmwG-E Neuland. Die Gesellschaften können sich künftig im Verschmelzungsvertrag aussuchen, ob sie den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft statt einer baren Zuzahlung (bei Aufbesserung des Umtauschverhältnisses im Spruchverfahren) weitere Aktien an der Übernehmerin gewähren wollen. [6] Auf diese Weise kann für den Fall, dass sich das Umtauschverhältnis nach den Feststellungen des für das Spruchverfahren zuständigen Gerichts als nicht angemessen herausstellen sollte, das Risiko einer ungewissen Liquiditätsbelastung begrenzt werden. Gleichzeitig wird den Interessen der Aktionäre Rechnung getragen: Die anspruchsberechtigten Aktionäre werden durch Gewährung zusätzlicher Aktien so gestellt, als wenn der Verschmelzung von Beginn an ein angemessenes Umtauschverhältnis zugrunde gelegt worden wäre. [7] Das Wahlrecht hierbei steht nur den beteiligten Gesellschaften zu und ist später nicht mehr änderbar. [8]
Da bare Zuzahlungen immer mit Blick auf die Kapitalschutzvorschriften problematisch werden können (§ 57 AktG) [9], schafft die Vorschrift Rechtssicherheit für beide Seiten. Die Festlegung bereits im Verschmelzungsvertrag schafft im Übrigen Planungssicherheit. Das Gesetz gibt den betroffenen Aktionären zudem genau das, was sie wollen (sollten), nämlich Aktien am übernehmenden Rechtsträger im (im Spruchverfahren) gefundenen richtigen Umtauschverhältnis. [10]
Der Gesetzgeber beschränkt den Anwendungsbereich der Vorschrift auf AG/KGaA/SE. [11] Für andere Gesellschaftsformen einschließlich der überwiegend personalistisch geprägten Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) besteht aus Sicht des Gesetzgebers kein vergleichbarer praktischer Bedarf an der Gewährung zusätzlicher Anteile. [12] Das ist bedauerlich. [13] Zum einen gibt es nicht nur kapitalistisch geprägte GmbH, sondern sogar kapitalistisch geprägte Personengesellschaften (insbesondere in Form der Publikums-KG). Zum anderen lässt sich anhand der „Prägung“ nicht beurteilen, ob Gesellschafter das Umtauschverhältnis für unangemessen halten. Eine bare Zuzahlung kann Gesellschaften jeglicher Rechtsform vor Liquiditätsprobleme stellen, bei der GmbH können sich ebenfalls Fragen der Kapitalerhaltung stellen (§§ 30, 31 GmbHG). Nur der Treuhänder erscheint jedenfalls bei der GmbH verzichtbar. Ansonsten wären den §§ 72a und 72b UmwG-E entsprechende Vorschriften mindestens für die GmbH aus praktischer Sicht wünschenswert. [14] Eine analoge Anwendung auf die GmbH scheidet jedenfalls aufgrund der klar zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willens mangels Regelungslücke aus.
Technisch werden die zusätzlichen Aktien regelmäßig über eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage geschaffen und dann über einen Treuhänder an die Berechtigten ausgekehrt, siehe § 72b UmwG-E. In der Praxis bietet sich jedoch an, schon vorher, zB im Rahmen der Hauptversammlung, die über die Verschmelzung Beschluss fasst, ein genehmigtes Kapital zu schaffen, das für die Ausgabe neuer Aktien nach § 72a UmwG-E verwendet werden kann. So wird zum einen eine Sachkapitalerhöhung in einer gesonderten Hauptversammlung mit den entsprechenden Anfechtungsrisiken vermieden, zum anderen legt die Gesellschaft, was die Anzahl neuer Aktien betrifft, ihre „Karten noch nicht auf den Tisch“. Sofern ein etwaiges Spruchverfahren innerhalb der nächsten fünf Jahre abgeschlossen werden kann, ist dieses genehmigte Kapital im Rahmen des § 72a UmwG-E verwendbar.[15]
Ausnahmsweise ist den anspruchsberechtigten Aktionären gemäß § 72a Abs. 3 UmwG-E anstelle zusätzlicher Aktien Ausgleich durch eine bare Zuzahlung zu gewähren, soweit das angemessene Umtauschverhältnis trotz Gewährung zusätzlicher Aktien nicht hergestellt werden kann oder wenn die Gewährung zusätzlicher Aktien unmöglich geworden ist, z.B. weil die übernehmende AG unmittelbar nach der Verschmelzung im Wege des Formwechsels eine Rechtsform erhalten hat, in der die Beteiligung nicht in Gestalt von Aktien oder Kommanditaktien besteht. Dies ist beispielsweise beim Formwechsel in eine GmbH der Fall. Weitere Fälle wären die rechtsformwechselnde Verschmelzung oder Spaltung in eine übernehmende GmbH. Unmöglichkeit kann auch bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung vorliegen, sofern das Recht des Zielrechtsträgers die Gewährung zusätzlicher Aktien nicht zulässt. Im Rahmen einer Auf- oder Abspaltung kann die Gewährung zusätzlicher Aktien auch teilweise unmöglich werden, wenn einzelne der übernehmenden oder neuen Rechtsträger nach ihrer Rechtsform keine zusätzlichen Aktien gewähren können
Die Möglichkeit zur Gewährung zusätzlicher Aktien wird auch im Rahmen einer Verschmelzung durch Neugründung einer Aktiengesellschaft bestehen (§ 73 UmwG). Über die Verweisnorm § 125 Satz 1 UmwG-E wird die Möglichkeit auch für Spaltungsvorgänge zur Übernahme durch oder Neugründung von Aktiengesellschaften eröffnet sein. Der neue § 248aUmwG-E bestimmt schließlich, dass die §§ 72a und 72b UmwG-E für einen Formwechsel in eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien entsprechend gelten und dass der Formwechselbeschluss die Erklärung gemäß § 72a Absatz 1 Satz 1 zu enthalten hat.
Die prozessuale Durchsetzung des Anspruchs auf Gewährung zusätzlicher Aktien und der auf Grundlage der Kompensationstatbestände zu gewährenden Leistungen regelt § 10a SpruchG.
§ 142a UmwG-E
Neu ist in diesem Kontext ist §142a UmwG-E. Die Ansprüche auf Gewährung zusätzlicher Aktien aus § 72a UmwG-E werden gemäß § 142a UmwG-E bei der Vermögensaufteilung also zwingend derjenigen Gesellschaft zugeordnet, der auch die insoweit anspruchsberechtigten Aktionäre angehören sollen. Die Vorschrift bezweckt, zu verhindern, dass die spaltungsbeteiligten Gesellschaften die Verbindlichkeiten nach § 72a UmwG-E abweichend von der Aufteilung der Anteile der anspruchsberechtigten Aktionäre im Rahmen der nachgelagerten Spaltung zuordnen und damit den Anspruch ganz oder teilweise verunmöglichen. Die Verpflichtungen der Gesellschaft aus § 72a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 UmwG sind damit einer abweichenden Vermögenszuordnung im Spaltungs- und Übernahmevertrag oder Spaltungsplan entzogen.
Da die Verbindlichkeiten zwingend entsprechend der Aufteilung der Anteile übergehen, können sie auch nicht im Wege der Ausgliederung übertragen werden. Bei einer verhältniswahrenden Spaltung entspricht die Zuweisung der Verpflichtungen dem Verhältnis der Anteile der berechtigten Aktionäre an den neuen Gesellschaften beziehungsweise der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft. Im Falle einer nicht verhältniswahrenden Spaltung sind sie zudem durch § 128 UmwG und § 326 Abs. 3 UmwG-E geschützt.
[6] RegE UmRUG, Begründung zu § 72a UmwG.
[7] Vgl. RegE UmRUG, Begründung zu § 72a UmwG.
[8] Kritisch insoweit Widmann/Mayer/Vossius in Widmann Mayer aktuell, April 2022, Abschnitt A.I.1.c.
[9] So schon Widmann/Mayer/Vossius in Widmann Mayer aktuell, April 2022, Abschnitt A.I.1.c.
[10] Vgl. Widmann/Mayer/Vossius in Widmann Mayer aktuell, April 2022, Abschnitt A.I.1.c.
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