Cornel Pottgiesser FA f. Handels- u. GesR

Ein bisschen mehr Europa: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Beschl. v. 28.10.2021 – 11 SV 41/21) erlaubt Gerichtsstandsvereinbarungen deutscher Personengesellschaften mit ausländischen Nichtkaufleuten

Brüssel-la-VO Art. 25; HGB § 128; ZPO §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 36 Abs. 3, 38

Gerichtsstandsvereinbarungen deutscher Personengesellschaften mit ausländischen persönlich haftenden Gesellschaftern sind an Art. 25 Brüssel-la-VO (Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) zu messen. § 38 ZPO findet keine Anwendung.


Das Oberlandesgericht Frankfurt wendet auf eine Gerichtsstandsvereinbarung für eine Gesellschaft, an der ausländische Gesellschafter beteiligt sind, ohne weiteres Art. 25 Brüssel-la-VO an. Die Qualifikation der Gesellschafter als Nichtkaufleute lässt es außen vor, da Art. 25 Brüssel-la-VO allgemein § 38 ZPO, der bekanntlich grundsätzlich Kaufmannseigenschaft für Gerichtsstandsvereinbarungen voraussetzt, insoweit insgesamt ausschließe. Die Frage der teleologischen Reduktion auf internationale Sachverhalte bleibt offen, da es sich um österreichische, also ausländische Gesellschafter handelt. Die Entscheidung ist zu begrüßen, auch wenn ein Gerichtsstand auch gemäß § 38 Abs. 2 S. 1 ZPO vereinbar gewesen wäre wegen des fehlenden allgemeinen Gerichtsstands im Inland. Auf die Kaufmannseigenschaft wäre auch dann nicht zu rekurrieren gewesen.

Art. 25 Brüssel-la-VO: „Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, …“

§ 38 ZPO: „Zugelassene Gerichtsstandsvereinbarung


(1) Ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszuges wird durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind.


(2) Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges kann ferner vereinbart werden, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat…“

Die Klägerin wurde von der aus den Beklagten zu 2) und 3) bestehenden Beklagten zu 1), einer als GbR auftretenden Bau-ARGE, mit Arbeiten an den Gewerken Erdbau, Oberbau und Entwässerung für das öffentliche Bauvorhaben … „X“ beauftragt. Sie macht gegen die Beklagte zu 1) als Auftraggeberin und gegen die Beklagten zu 2) und 3) als Gesellschafter der Beklagten zu 1) Nachtragsvergütungsansprüche geltend. Der zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) geschlossene Bauvertrag enthält eine Vereinbarung zu Frankfurt am Main als Gerichtsstand.

Das Landgericht Frankfurt am Main sah sich als örtlich unzuständig. Ausschließlich zuständiges Gericht sei das Landgericht Neuruppin als Gericht des Erfüllungsortes. Nach Rückverweisung hat das Landgericht Frankfurt am Main die Sache sodann dem Oberlandesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 I Nr. 6 ZPO vorgelegt, das zu dem Ergebnis kommt, dass das Landgericht Frankfurt am Main örtlich zuständiges Gericht sei. Dies folge für alle Beklagten aus der Gerichtsstandsvereinbarung des Bauvertrages.

Die Gerichtsstandsvereinbarung sei entgegen der Auffassung der beiden Landgerichte nicht an § 38 ZPO, sondern an der vorrangigen (BeckOK ZPO/Gaier, 42. Ed. 1.9.2021, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 8) Bestimmung des Art. 25 der Brüssel-Ia-VO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) zu messen.

Art. 25 Brüssel-Ia-VO setzt nach seinem Wortlaut keinen Auslandsbezug voraus. Sie ist aber möglicherwiese teleologisch zu reduzieren und nur dann anwendbar, wenn für den jeweiligen Fall aus der Sicht des einzelnen Mitgliedstaats eine Auslandsbeziehung gegeben ist. Damit sollen reine Inlandsfälle aus dem Anwendungsbereich herausgenommen und weiter dem nationalen Recht unterstellt werden. Ein nach nationalem Verfahrensrecht zu behandelnder Inlandssachverhalt soll insbesondere dann vorliegen, wenn zwei Parteien mit Sitz oder Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat die Zuständigkeit von Gerichten dieses Mitgliedstaates vereinbaren (BeckOK ZPO/Gaier, 42. Ed. 1.9.2021, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 15, 16). Demgegenüber ist der Auslandsbezug ohne weiteres gegeben, wenn die Parteien ihren Sitz in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten haben.

Im Streitfall folgt der möglicherweise erforderliche Auslandsbezug jedenfalls daraus, dass die Gerichtsstandsklausel aufgrund des materiellen deutschen Gesellschaftsrechts, nach dem die Gesellschafter sowohl einer GbR als auch einer oHG analog bzw. gemäß § 128 HGB akzessorisch für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, auch für den Prozess gegen diese Gesellschafter gilt (BGH, NJW-RR 1991, 423 für die oHG; hinsichtlich einer allenfalls weniger verselbständigten GbR kann nichts anderes gelten; Staudinger/Hausmann (2016) Verfahrensrecht für internationale Verträge Internationale Zuständigkeit für Vertragsklagen; Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, Rn. 401; MüKo-ZPO/Gottwald, Art. 25 Brüssel-Ia-VO, Rn. 61) und die Beklagte zu 3) ihren Sitz in Österreich hat.

Art. 35 Brüssel-Ia-VO setzt nicht voraus, dass die Parteien der Gerichtstandsvereinbarung Kaufleute oder Handelsgesellschaften sind. Die Vereinbarung wurde durch die Beklagte zu 1) und die Klägerin schriftlich geschlossen.
 

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01.12.2022

Informationen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Urteil/Beschluss vom 28.10.2021
Aktenzeichen: 11 SV 41/21

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