Cornel Pottgiesser FA f. Handels- u. GesR
In seinem Beschluss vom 26.11.2024 (1 ABR 3/23) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass ein Betriebsrat keinen Anspruch auf die nachträgliche Einleitung eines Beteiligungsverfahrens nach dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) hat, wenn bei der Gründung einer europäischen Gesellschaft (SE) keine Arbeitnehmer vorhanden waren. Es handelt sich um eine Grundsatzentscheidung mit erheblicher Praxisrelevanz, insbesondere für grenzüberschreitende Holding- und Strukturierungskonzepte in der Unternehmensgruppe.
Hintergrund
Der Betriebsrat einer SE & Co. KG wollte erreichen, dass ihm nachträglich Beteiligungsrechte eingeräumt werden. Konkret verlangte er, dass der Verwaltungsrat der als persönlich haftende Gesellschafterin eingesetzten SE (die bei ihrer Gründung keine Arbeitnehmer hatte) ihn zur Wahl eines besonderen Verhandlungsgremiums auffordert. Der Vorwurf: Durch die Gründung dieser "leeren" Tochter-SE sei die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in unzulässiger Weise umgangen worden.
Die Kernaussagen des BAG
Das BAG hat die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen und seine Entscheidung auf drei zentrale Argumentationslinien gestützt:
1. Keine gesetzliche Grundlage für Nachholung
Weder § 4 noch § 18 SEBG eröffnen eine Möglichkeit, ein Beteiligungsverfahren nach der Gründung einer SE nachzuholen. § 4 SEBG betrifft ausdrücklich nur die Phase vor Eintragung der SE. Auch § 18 SEBG, der Wiederaufnahmeverhandlungen regelt, setzt voraus, dass bereits ein besonderes Verhandlungsgremium gebildet wurde – was hier nicht der Fall war.
2. Keine analoge Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke
Der Gesetzgeber habe sich – so das BAG unter Verweis auf den EuGH (Urt. v. 16.05.2024 – C-706/22) – bewusst dagegen entschieden, bei arbeitnehmerlosen Gründungen eine spätere Mitbestimmung „nachzuholen“. Es liege also kein unbeabsichtigtes Regelungsdefizit vor, das eine Analogie rechtfertigen würde.
3. Kein Anspruch aus dem Missbrauchsverbot des § 43 SEBG
§ 43 SEBG untersagt zwar den Missbrauch der SE zur Umgehung von Arbeitnehmerrechten, regelt aber keine konkreten Rechtsfolgen wie eine nachträgliche Beteiligung. Der Gesetzgeber habe sich vielmehr bewusst dafür entschieden, Missbrauch nicht mit einer Pflicht zur späteren Durchführung des Verfahrens zu sanktionieren, sondern u.a. über Strafnormen (§ 45 SEBG) präventiv zu wirken.
Das BAG setzt mit dieser Entscheidung ein deutliches Signal an die Unternehmenspraxis: Wer eine SE über eine arbeitnehmerlose Tochtergesellschaft gründet, muss keine spätere Beteiligung der (fremden) Konzernarbeitnehmer befürchten – selbst, wenn diese später mittelbar betroffen sind. Das unternehmerische Strukturierungsmodell über die "leere" Tochter-SE bleibt damit rechtssicher.
Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist daher keine Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Rom I-VO. Sie entfaltet ihre Wirkung ausschließlich im Rahmen der auf das Gesellschaftsstatut anwendbaren Rechtsordnung und verfolgt keine darüber hinausreichenden Schutzinteressen im Sinne einer zwingenden Ordnungsvorschrift. Weder beansprucht sie unmittelbare Geltung für ausländische Gesellschaften noch erfüllt sie die unionsrechtlichen Anforderungen an eine Maßnahme zur Wahrung der öffentlichen Ordnung. Ihre Anwendung bleibt vielmehr auf inländische Gesellschaftsformen beschränkt.
Gesellschaftsrechtlich saubere SE-Gründungen ohne Arbeitnehmer lassen sich auch weiterhin nutzen, um eine Mitbestimmung „von vornherein zu vermeiden“, ohne dass daraus rückwirkende Beteiligungsansprüche erwachsen. Entscheidend ist jedoch, dass der Aufbau nicht rechtsmissbräuchlich im engeren Sinne erfolgt. Eine saubere gesellschaftsrechtliche und arbeitsorganisatorische Trennung bleibt – wie immer – das A und O.
Diese Entscheidung dürfte auch in der Diskussion um die Reichweite der Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Strukturmaßnahmen (z.B. nach dem MgFSG) leitbildprägend sein. Der Gesetzgeber hat unterschiedliche Sanktionsmechanismen bewusst gewählt – und das BAG wird sie auch künftig strikt auseinanderhalten.
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