Cornel Pottgiesser FA f. Handels- u. GesR

Verstoß gegen ordre public ist immer staatlicher Kontrolle unterworfen – Schiedssprüche unterliegen im Hinblick auf die Anwendung der §§ 19 bis 21 GWB in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer uneingeschränkten Kontrolle durch das ordentliche Gericht

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin ist Eigentümerin eines Steinbruchs, den sie an die Antragstellerin verpachtet hat. Ein zweiter Steinbruch in der Nähe ist an die E. verpachtet. Durch eine Kündigung des Pachtvertrags versuchte die Antragsgegnerin, die Antragstellerin in ein Gemeinschaftsunternehmen mit E. zu drängen. Das Bundeskartellamt verhängte daraufhin gegen die Antragsgegnerin Geldbußen wegen Verstoßes gegen §§ 1, 21 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 2 GWB.

 

Während eines Schiedsverfahrens kündigte die Antragsgegnerin erneut. Sie wollte den Preiskampf zwischen den beiden Pächtern beenden, um so höhere Pachteinnahmen zu erzielen. Das Schiedsgericht sah in der erneuten Kündigung keinen Verstoß gegen § 21 Abs. 3 Nr. 2, § 19 Abs. 2 Nr. 1, § 1 GWB. Es gab der Räumungsklage statt und wies die auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Verlängerung des Pachtvertrags gerichtete Widerklage der Antragstellerin ab.

Mehr aus diesem Rechtsgebiet lesen

04.04.2023

Informationen

BGH
Urteil/Beschluss vom 27.09.2022
Aktenzeichen: KZB 75/21

Sonstiges

Rechtslage

Der Bundesgerichtshof urteilt:

Die zulässige Rechtsbeschwerde wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Oberlandesgerichts, die Verurteilung der Antragstellerin zur Räumung und Herausgabe des Steinbruchs durch das Schiedsgericht verstoße nicht gegen den ordre public (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO). Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist daher insoweit aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil sie zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

 

Ein Schiedsspruch kann nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO aufgehoben werden, wenn seine Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht, also mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Das ist der Fall, wenn der Schiedsspruch eine Norm verletzt, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens regelt, oder wenn er zu deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen in einem untragbaren Widerspruch steht. Der Schiedsspruch muss mithin die elementaren Grundlagen der Rechtsordnung verletzen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 2020 - I ZB 88/19, SchiedsVZ 2021, 46 Rn. 16; vom 4. November 2021 - I ZB 54/20, NJW 2022, 245 Rn. 19 mwN).

Zu den elementaren Grundlagen des deutschen Rechts gehören die Verbote nach §§ 19, 20, 21 GWB (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 1966 - KZR 7/65, BGHZ 46, 365, 367 [juris Rn. 40] - Schweißbolzen). Dies hat auch das Oberlandesgericht nicht verkannt.

 

Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde jedoch gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, das ordentliche Gericht sei nur zu einer stark eingeschränkten Überprüfung der Vereinbarkeit des Schiedsspruchs mit den §§ 19, 20, 21 GWB befugt. Der Schiedsspruch unterliegt einer uneingeschränkten Kontrolle durch das ordentliche Gericht im Hinblick auf die Anwendung dieser Normen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Dies hat der Senat zur früheren Rechtslage (§ 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in der bis zum 31. August 1986 geltenden Fassung) bereits entschieden (vgl. BGHZ 46, 365, 370 [juris Rn. 40] - Schweißbolzen; Urteil vom 27. Februar 1969 - KZR 3/68, WuW/E BGH 1000, 1001 - Fruchtsäfte).

 

Für eine umfassende Überprüfbarkeit der hier in Rede stehenden Verbote nach §§ 19, 20, 21 GWB spricht auch, dass sie nicht nur dem Interesse der Parteien der Schiedsabrede dienen, sondern der Wahrung des öffentlichen Interesses an einem funktionierenden Wettbewerb (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1991 - KZR 26/89, BGHZ 114, 218, 224 [juris Rn. 23] - Einzelkostenerstattung).

 

Die uneingeschränkte Kontrolle des Schiedsspruchs hinsichtlich solcher kartellrechtlichen Normen, die zu den elementaren Grundlagen des deutschen Rechts gehören, entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. § 91 Abs. 1 Satz 1 GWB in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I, 3224, im Folgenden: Schiedsverfahren-Neuregelungsgesetz) geltenden Fassung sah vor, dass Schiedsverträge über künftige Rechtsstreitigkeiten aus den dort im Einzelnen genannten Verträgen oder Beschlüssen nichtig sind, wenn sie nicht jedem Beteiligten ein Wahlrecht zwischen Schiedsgericht und ordentlichem Gericht einräumen. Ein Grund für die Aufhebung der Regelung war, dass das Schiedsgericht die (zwingenden) Vorschriften des Kartellrechts in gleicher Weise zu beachten habe, wie das staatliche Gericht und dass der Schiedsspruch im Rahmen des Aufhebungs- und des Vollstreckbarerklärungsverfahrens einer Kontrolle durch die staatlichen Gerichte im Hinblick auf die Einhaltung dieser Vorschriften unterliege. Daher führe die Streichung des § 91 GWB nicht zu einer Durchbrechung der generellen Ziele des GWB, nämlich der Sicherstellung des Wettbewerbs und der Beseitigung wirtschaftlicher Macht, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs beeinträchtigt (vgl. Gesetzentwurf zum Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz vom 12. Juli 1996, BT-Drucks. 13/5274, S. 71).

Fachlich verantwortlich

Cornel Pottgiesser FA f. Handels- u. GesR

Seminare im Fokus

Unten finden Sie eine Auswahl von Fortbildungen zum Rechtsgebiet Internationales Wirtschaftsrecht. 

Alle Onlineseminare zu Internationales Wirtschaftsrecht finden Sie hier

ARBER-Info

Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung

FAQ

Fragen und Antworten