Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Auswahl und Abschluss der Sachverständigen-Begutachtung – 2. Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Gutachten / a. Prozessobliegenheit zur Klarstellung der Existenz von (weiteren) Privatgutachten

Prozessobliegenheit zur Klarstellung der Existenz von (weiteren) Privatgutachten

    

Eine Pflicht zur Auseinandersetzung mit weiteren (Privat-) Gutachten besteht von vornherein nur dann, wenn die sich hierauf beziehende Partei deren Existenz überhaupt missverständlich mitteilt. Wird das Gutachten insbesondere inhaltlich in Schriftsätze hineinkopiert, ohne als eigene Anlage beigefügt zu werden, bedarf es hierzu hinlänglicher Klarstellungen.

      

Der Fall :

Der Kl. verlangt als Miterbe seiner im Oktober 2016 verstorbenen Ehefrau sowie aus eigenem Recht Schadensersatz wegen der Behandlung seiner Ehefrau kurz vor deren Tode zwischen dem 26.09. und 09.10.2016 im Hause der Bekl. Hier wurde sie unter anderem wegen eines akuten Nierenversagens und wegen Gallensteinen behandelt und ihr eine Flexüle am linken Handrücken gelegt. Zwei Tage nach der Entlassung stellte sie sich erneut wegen Schmerzen am linken Handrücken in der Notaufnahme bei der Bekl. vor, am gleichen Abend eine Blutkultur angelegt und noch vor Eintreffen des Ergebnisses mit der Gabe des Antibiotikums Unacid begonnen. Im weiteren Verlauf wurde die Diagnose einer Sepsis gestellt, nach Einberufung eines Konsils die Notwendigkeit einer operativen Versorgung aber zunächst verneint. In der Nacht vom 08. auf den 09.10.2016 klagte die Patientin über Gesichts-, Kopf- und Nackenschmerzen sowie Übelkeit. Am Folgemorgen wurde um 08.30 Uhr ein CT durchgeführt, das eine große zerebrale Paremchynblutung ergab. Hiernach wurde sie in die neurologische Abteilung einer anderen Klinik verlegt, wo sie neun Tage später verstarb.

  

Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst mündlicher Anhörung des Sachverständigen die Klage abgewiesen. Der Kl. habe einen Behandlungsfehler nicht nachweisen können. Die Diagnose einer Sepsis sei ebenso wie der Beginn der Antibiose zeitgerecht erfolgt. Soweit der Kl. Gegenteiliges auf zuvor eingeholte MDK-Gutachten stütze, hätte es ihm oblegen, diese vollständig vorzulegen. Die Voraussetzungen für die Einholung eines Obergutachtens wegen widersprechender Ergebnisse im MDK-Gutachten und im Gerichtsgutachten lägen daher nicht vor.

    

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, insbesondere könne eine fehlerhaft unterbliebener Hinweis auf unvollständige oder fehlende Beweismittel nicht festgestellt werden. Auf die Notwendigkeit der Benennung von Beweismitteln sei nur dann hinzuweisen, wenn sich aus dem übrigen Vorbringen ergebe, dass das Unterbleiben des Beweisantritts auf einem Versehen oder auf einer erkennbar falschen Beurteilung der Rechtslage beruhe. Danach habe es eines Hinweises auf das nicht vorgelegte Ursprungsgutachten des MDK-Sachverständigen nicht bedurft, da objektiv nicht erkennbar gewesen sei, dass die Nichtvorlage auf einem Versehen beruht habe: „Insbesondere hat der Kl. im Rahmen der schriftsätzlichen Erwähnung des von ihm vorgelegten Gutachtens kein Gutachtendatum genannt, so dass für das Gericht überhaupt nicht ersichtlich war, dass er zusätzlich zu dem vorgelegten Gutachten gemäß Anlage K11 noch ein weiteres Gutachten, und wenn ja, welches vorlegen wollte. Auch dass der Kl. auf Seiten 7/8 seines Schriftsatzes vom 15.06.2021 auf einem MDK-Gutachten und dort Seite 16 zitiert, musste für das Gericht nicht den Schluss zulassen, dass er ein noch fehlendes Gutachten vorlegen möchte. Dies deshalb nicht, weil die Äußerung "Die Versicherte wurde nicht als medizinischer Notfall gesehen", wörtlich ebenso in den vorgelegten Seiten des Ergänzungsgutachtens enthalten ist (dort Seite 4 unten). Gleiches gilt für die nicht vorgelegte Seite 5 des Ergänzungsgutachtens. Auf Seite 4 ist der Text des Gutachtens inhaltlich abgeschlossen. Allein durch die Lektüre des Gutachtens musste das Gericht also nicht unbedingt auf die Idee kommen, dass etwas fehlt. Auch die Ausführungen auf Seite 8 des klägerischen Schriftsatzes vom 15.06.2021 bezüglich des "Handrückens als Fokus" ist so jedenfalls sinngemäß auch im Ergänzungsgutachten enthalten.“

    

Im Übrigen habe selbst eine - unterstellte - Verletzung der Hinweispflicht aber auch keine Auswirkungen auf die Entscheidung gehabt. Denn inhaltlich habe sich der Sachverständige tatsächlich mit sämtlichen in den Gutachten enthaltenen Behauptungen auseinandergesetzt und das Landgericht hierauf auch seine Entscheidung gestützt.

 

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22.02.2023

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 05.01.2022
Aktenzeichen: 4 U 1748/21

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