Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Auswahl und Abschluss der Sachverständigen-Begutachtung – 2. Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Gutachten / b. Nachholen der Gutachtenkonfrontation in der Berufungsinstanz

Nachholen der Gutachtenkonfrontation in der Berufungsinstanz

    

Lagen die Voraussetzungen für eine Konfrontation unterschiedlicher Gutachten hingegen vor, kann sie grundsätzlich auch in der Berufungsinstanz noch nachgeholt werden

      

Der Fall :

Die Kl. begehrt von der Bekl. Schadensersatz aufgrund einer im Oktober 2014 erfolgten Behandlung im Zusammenhang mit einem Hirnstamminfarkt zu ersetzen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme zwar ein der Bekl. vorwerfbarer einfacher, jedoch kein grober Behandlungsfehler gegeben sei. Dieser sei aber nicht kausal für den Zustand der Kl.. Mit ihrer Berufung wendet die Kl. hiergegen u.a. ein, das Landgericht habe schriftsätzlich gehaltenen Vortrag übergangen, bei dessen Berücksichtigung es ein ergänzendes Sachverständigengutachten oder Obergutachten hätte einholen müssen. Denn der gerichtlich bestellte Sachverständige habe die erheblichen Widersprüche zu den Ausführungen des Schlichtungsgutachtens nicht ausräumen können und sich auch nur ungenügend mit diesem auseinandergesetzt.

  

Die Entscheidung des Gerichts:

Aus Sicht des OLG rechtfertigte auch die im Berufungsverfahren erfolgte Bezugnahme der Kl. auf das im Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten nicht die Anordnung einer Neubegutachtung oder die Einholung eines Obergutachten gemäß § 412 ZPO. Zwar habe das Gericht in Arzthaftungsprozessen die Pflicht, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhaltes hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergebe. Lege eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so sei vom Tatrichter jedoch besondere Sorgfalt gefordert. Er dürfe in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gebe.

  

Hieran gemessen rüge die Kl. in der Berufungsbegründung zwar zu Recht, dass sich das Landgericht im Zusammenhang mit der Verneinung eines groben Behandlungsfehlers durch das Privatgutachten nicht ausdrücklich befasst und insbesondere nicht begründet hat, warum es dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen den Vorzug gegeben hat. Dies sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil sich der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem Gutachten mit der Auffassung des Schlichtungsgutachters eingehend auseinandergesetzt habe. Allerdings könne der Senat die fehlende Würdigung ohne Weiteres nachholen, so dass eine weitere Beweiserhebung durch den Senat nicht geboten sei. Danach aber sei das Landgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass ein grober Diagnosefehler vorliegend nicht zu bejahen sei.

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22.02.2023

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 21.06.2022
Aktenzeichen: 4 U 2466/21

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