Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Bloße Gesprächsgelegenheit trotz neuartigen Impfstoffs (mRNA)?

Während für Routine-Impfungen durch den BGH anerkannt ist, dass der Arzt darauf vertrauen kann, sein Patient äußere wider Erwarten vorhandenen Aufklärungsbedarf, ist dies für die Corona-Impfkampagne bislang ungeklärt, deren Besonderheit sowohl in der neuartigen Erkrankung wie gleichermaßen in den neuartigen Impfstoffen lag. Erste Entscheidungen – wie die folgende – zeigen indes die erwartbare Tendenz, dass die Gerichte angesichts des unvergleichbar hohen Wissensstands der Bevölkerung in der Corona-Pandemie an die bisherige BGH-Rechtsprechung anknüpfen.

 

Der Fall:

Die mit dem mRNA von Biontech/Pfizer geimpfte Klägerin behauptet, sie leide infolge der Impfung an einer Autoimmunkrankheit in Form einer Enzephalitis, die neurologische Ausfälle und Lähmungserscheinungen vor allem in den Beinen und in der linken Gesichtshälfte hervorrufe, sowie unter einer chronischen demyelinisierenden Polyneuropathie und einer Blasenschwäche. Sie sei deshalb auf Dauer arbeitsunfähig. Zwar seien in der Zwischenzeit immer wieder Verbesserungen des Zustands eingetreten, bedauerlicherweise träten allerdings auch immer wieder Schübe der Verschlechterung ein.

Die Klägerin war zum Impfzeitpunkt Auszubildende in einer Pflegeeinrichtung. In dem ihr im Dezember 2020 ausgehändigten Aufklärungsbogen kreuzte sie an, keine weiteren Fragen zu haben und in die vorgeschlagene Impfung einzuwilligen. Das Feld zum Verzicht auf das ärztliche Aufklärungsgespräch kreuzte sie nicht an.

 

Sie behauptet, die Pflegedienstleiterin habe sie während einer Weihnachtsfeier regelrecht abgefangen, um ihr den Impfaufklärungsbogen auszuhändigen, und sie dazu gedrängt, die Aufklärung zügig durchzulesen, zu unterschreiben und abzugeben. Sie habe Bedenken gegenüber der COVID-19-Impfung gehabt, weil sie im September 2020 gegen Tetanus geimpft worden sei, was sie nicht gut vertragen habe. Die Pflegedienstleiterin habe erwidert, sie brauche keine Bedenken zu haben, weil die COVID-19-Impfung nicht so schlimm sei, zudem werde noch eine Ärztin ins Haus zur Aufklärung kommen.

 

Im Aufklärungsbogen habe sie nunmehr angekreuzt, dass sie keine weiteren Fragen habe. Dies habe sie auf die Pflegedienstleiterin bezogen.

Unmittelbar vor der ersten Impfung am 16.01.2021 sei ihr der ausgefüllte Aufklärungsbogen wieder ausgehändigt worden. Sie sei vor der Impfung von der Beklagten nicht gefragt worden, ob sie Fragen im Zusammenhang mit der Impfung habe und ein Infekt bestünde oder in den letzten 14 Tagen eine Impfung erfolgt sei. Dies sei gar nicht möglich gewesen, weil an diesem Tag die gesamte Belegschaft der Einrichtung, insgesamt ca. 250 Personen, geimpft worden seien. Das gleiche gelte für die zweite Impfung am 06.02.2021. Sie habe keinerlei Gelegenheit für weitere Informationen durch ein persönliches Gespräch mit der Beklagten gehabt.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das Landgericht wies die Klage ab.

Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 15.02.2000, VI ZR 48/99) könnten Merkblätter zwar nicht das erforderliche Arztgespräch ersetzen, in dem sich der Arzt davon überzeugen müsse, ob der Patient die schriftlichen Hinweise gelesen und verstanden habe, und das ihm die Möglichkeit gebe, auf die individuellen Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Doch gebiete dieses Erfordernis eines Aufklärungsgesprächs nicht in jedem Fall eine mündliche Erläuterung der Risiken. Unter Umständen, insbesondere bei öffentlich empfohlenen Impfungen, könne der Arzt ausnahmsweise davon ausgehen, dass der Patient auf eine zusätzliche gesprächsweise Risikodarstellung keinen Wert lege. Bei derartigen Routinemaßnahmen könne es genügen, wenn dem Patienten nach schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zu weiteren Informationen durch ein Gespräch mit dem Arzt gegeben werde. Ob die Impfung in öffentlichen Impfterminen oder als Einzelimpfung vorgenommen werde, sei ist dabei nicht von maßgeblicher Bedeutung. Der BGH gehe davon aus, dass aus dem Schweigen auf die Aussage, dass die Impfung nun vorgenommen werden könne, geschlossen werden könne, dass ein Bedürfnis nach weiterer Aufklärung nicht bestehe. Dies sei auch dem vorliegenden Fall zugrunde zu legen:

 

„Bei der streitgegenständlichen Impfung wurde ein neuartiger mRNA-Impfstoff verabreicht, der vorläufig von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen wurde. Aus diesem Grunde handelte es sich nicht um eine Routineimpfung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung. Gleichwohl sind nach Auffassung der Kammer die dargelegten Grundsätze des BGH zu den sogenannten Routineimpfungen auf den vorliegenden Fall zu übertragen“.

Die Ständige Impfkommission habe die Impfung empfohlen und dies ausführlich wissenschaftlich begründet; somit habe die Impfung auf einer öffentlichen Empfehlung beruht. Zudem sei die Corona-Pandemie im Jahr 2020 das bestimmende Thema in Politik und Gesellschaft: „Der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer war seit Herbst 2020 Gegenstand der Berichterstattung in den Medien. Daher ist davon auszugehen, dass der Grund für die Impfung und der Impfstoff in der Bevölkerung allgemein bekannt war. Nach den klinischen Prüfungen, die eine hohe Wirksamkeit des Impfstoffs versprachen, war die Grundstimmung im überwiegenden Teil der Bevölkerung gegenüber der Impfung positiv. Bis heute haben 76,3 % der Bevölkerung zwei Impfdosen erhalten […]. Der Andrang in den Impfzentren überstieg in der Anfangszeit bei weitem die Zahl der verfügbaren Impfdosen. Die Impfung gegen COVID-19 mit mRNA-Impfstoffen war im ersten Halbjahr 2021 eine Massenimpfung von Millionen Menschen“.

 

Würde man verlangen, dass vor jeder Impfung ein persönliches ausführliches ärztliches Aufklärungsgespräch erforderlich sei, wäre dies logistisch kaum zu leisten gewesen und hätte die Impfkampagne erheblich verzögert: „Dies bedeutet nicht, dass auf das grundsätzliche Erfordernis eines persönlichen ärztlichen Aufklärungsgesprächs verzichtet werden kann. Bei dieser Gemengelage erscheint es aber angemessen und ausreichend, dass nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt jedem Impfling die Möglichkeit gegeben wird, im mündlichen Arztgespräch vor der Impfung Nachfragen zu stellen und weitere Informationen einzuholen. Aufgrund der breiten öffentlichen Diskussion, dem hohen Informationsstand in der Bevölkerung und auch der hohen Impfbereitschaft konnte der Impfarzt davon ausgehen, dass der Impfling bei einer schriftlichen Aufklärung auf eine zusätzliche gesprächsweise Risikodarstellung keinen Wert legt. Schweigt der Impfling vor Verabreichung der Impfung auf die Frage des Impfarztes, ob noch Fragen bestünden bzw. auf die Ankündigung, dass die Impfung nun vorgenommen werden könne, kann der Arzt davon ausgehen, dass er keine weiteren Informationen zu den Risiken der Impfung möchte. Der Aufklärungspflicht ist daher Genüge getan, wenn ein Aufklärungsmerkblatt ausgehändigt wird und zusätzlich im mündlichen Arztgespräch die Möglichkeit zu Nachfragen besteht“.

 

Hier habe die Klägerin unstreitig das offizielle „Aufklärungsmerkblatt zur Schutzimpfung gegen COVID-19 mit mRNA-Impfstoff“ (Stand: 09.12.2020) sowie den Bogen „Anamnese, Einwilligung“ ausgehändigt bekommen, und sei es für eine ordnungsgemäße Aufklärung im Übrigen ausreichend gewesen, dass die Klägerin bei den Impfungen Fragen habe stellen können. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme sei die Kammer aber davon überzeugt, dass die Beklagte der Klägerin vor der ersten Impfung drei Fragen gestellt habe, und zwar, ob die Klägerin in den letzten 14 Tagen eine Impfung erhalten habe, ob sie auf eine frühere Impfung eine Reaktion gezeigt habe und ob sie noch Fragen zur Impfung habe. Vor der zweiten Impfung habe die Beklagte die Klägerin gefragt, wie sie die erste Impfung vertragen habe und ob sie noch Fragen habe. Die Klägerin habe in beiden Terminen keine Fragen gestellt. Damit habe die Beklagte ihre Aufklärungspflicht im Rahmen der dargelegten rechtlichen Grundsätze ordnungsgemäß erfüllt.

 

 

 

  

 

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05.10.2023

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LG Heilbron
Urteil/Beschluss vom 14.02.2023
Aktenzeichen: 1 O 65/22

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