Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Haftung anderer als ärztlicher Leistungserbringer - Pflichten eines Heilpraktikers

Zunehmend in den Fokus haftungsrechtlicher Überlegungen gelangen in den letzten Jahren auch nichtärztliche Leistungserbringer. Während dies im vergangenen Jahr vor allem den kosmetischen Bereich betraf, beleuchten die folgenden Fälle andere Gesundheitsdienstleister, deren praktische Bedeutung freilich noch höher einzuordnen sein dürfte.

 

 

 

Zunehmend in den Fokus haftungsrechtlicher Überlegungen gelangen in den letzten Jahren auch nichtärztliche Leistungserbringer. Während dies im vergangenen Jahr vor allem den kosmetischen Bereich betraf, beleuchten die folgenden Fälle andere Gesundheitsdienstleister, deren praktische Bedeutung freilich noch höher einzuordnen sein dürfte.Der Fall:

Der 2015 geborene Kl. macht gegen die Bekl., die seine ein halbes Jahr nach seiner Geburt an einer Tumorerkrankung verstorbene Mutter seit 2014 neben ärztlichen Behandlern als Heilpraktikerin mit "alternativen" Heilmethoden behandelt hatte, wegen behaupteter Behandlungsfehler Schadensersatzansprüche aus ererbtem und eigenen Recht geltend. Bei Weiterführung der notwendigen und von ärztlicher Seite angeratenen schulmedizinischen Behandlungen, insbesondere ohne Abbruch der nach der Geburt des Kl. begonnenen Strahlentherapie hätten gute Heilungschancen bestanden. Die Bekl. jedoch habe seiner psychisch von ihr abhängigen Mutter wiederholt und in verschiedener Hinsicht von schulmedizinischen Therapieempfehlungen abgeraten und ein nicht gerechtfertigtes Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Körpers geweckt.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG erachtete zunächst eine unzulängliche therapeutische Sicherungsaufklärung durch die Bekl. für erwiesen:

„Die Bekl. hätte in der Zeit zwischen 05.06.2015 und 09.06.2015 der Mutter des Kl. mit Nachdruck widersprechen müssen, als diese ankündigte, die Strahlentherapie abzubrechen. Nach dem 09.06.2015 und bis 29.06.2015 hätte sie aktiv und dringend zuraten müssen, die abgebrochene Strahlentherapie wieder aufzunehmen.“ Nach dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen - einem Heilpraktiker - bestünden bereits Zweifel daran, ob die Bekl. hinreichend qualifiziert war, die naturheilkundliche Betreuung einer onkologisch erkrankten Patientin auch nur im Sinne einer Begleittherapie zu übernehmen: „Die relevante Fortbildung lag zum Zeitpunkt der Behandlung zehn Jahre zurück und hatte (nur) ca. 8 Stunden inklusive Pausen betragen. Auch sonst hatte die Kl. seit ihrer Ausbildung außer einer Fortbildung in Humoralpathologie/Regenatherapie im Jahr 2004/2005 mit einem Umfang von ca. 28 Stunden keine weiteren Fortbildungen in den relevanten Bereichen mehr gemacht. Der Sachverständige schätzt den gesamten Umfang der Ausbildung als gering ein“.

Weiter erscheine auch die Sinnhaftigkeit der angewandten Therapiemethode von vorneherein zweifelhaft: „Sie soll sich zwar seit 50 Jahren in der Praxis bewährt haben, wofür einige 100 Erfahrungsberichte über einzelne Fälle sprechen, jedoch gibt es keine unabhängigen klinischen Studien […]; in der Literatur wird die Therapie von verschiedenen Autoren ausdrücklich nicht als eine gültige Alternative zu etablierten Verfahren angesehen […]. Ihre Evidenz ist nicht belegt […]. Sie durfte jedenfalls im Zustand der Frau Hö., anders als vielleicht sonst einmal, nicht als alleinige Therapie für ausreichend angesehen werden, sondern die Patientin brauchte eine medizinische Behandlung.“

„Es mag so sein, dass, wie die Bekl. anführt, die von ihr angewendeten Methoden von vorneherein jeglicher Evidenz entbehren und gerade darin der Unterschied zu den Behandlungsansätzen der "Schulmedizin" liegt. Das verkennt freilich den Anspruch, dem die Bekl. als ausgebildete und geprüfte Heilpraktikerin entsprechen muss, was der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat. Sie nimmt gegenüber ihren Patienten Vertrauen in Anspruch, die auf dieser Grundlage davon ausgehen dürfen, die Bekl. könne ihnen - anders als ein Mediziner, aber wirksam - helfen. Anders mag es sich bei einem schamanischen Heiler oder ähnlichen "Therapeuten" verhalten. Überdies ist die Horvi-Therapie nicht nur keine evidenzbasierte Behandlungsmethode, sondern in der Fachliteratur für Heilpraktiker wird ausdrücklich davon abgeraten, sie bei onkologischen Patienten einzusetzen“.

Der Bekl. habe daher klar sein müssen, dass sie aus Sicht der Patientin in deren Hoffen auf Genesung der "letzte Strohhalm" gewesen und deswegen habe sie berücksichtigen müssen, dass die Patientin trotz bereits erfolgter Fremdaufklärung ihre Erkrankung und ihre konkrete Situation möglicherweise falsch einschätzte. Auch insoweit fehle indes jegliche Dokumentation zu Art und Umfang der Aufklärung.

Hinsichtlich der Kausalität habe die Bekl. den ihr obliegenden Beweis des Gegenteils nicht zu führen vermocht: „Ob der Kl. den danach erforderlichen "Vollbeweis" führen konnte, mag dahinstehen. Zu seinen Gunsten greift jedenfalls eine Beweislastumkehr gem. § 630 h Abs. 5 BGB, weil die Bekl. sogar grob fehlerhaft gehandelt hat. Der […] festgestellte Behandlungsfehler erscheint schlechterdings nicht nachvollziehbar. Für die Grobheit des Fehlers kann nicht auf einzelne Tage abgestellt werden, sondern es ist die gesamte Zeit zwischen 05.06.2015 und 29.06.2015 von Bedeutung. Zwar ist dem Sachverständigen das Verhalten der Bekl. erst ab 22.06.2015 als schlechterdings nicht nachvollziehbar erschienen […] , doch ist anerkannt, dass die Umkehr der Beweislast auch dann gerechtfertigt ist, wenn eine Kette von Fehlern, insbesondere von teilweise groben Fehlern, einen besonders schweren Vorwurf gegen den Behandler begründet […] . Schon allein die Zeitdauer weist in Richtung eines groben Behandlungsfehlers. Dies gilt umso mehr, als während dieser Zeit mehrmals "rote Flaggen" für die behandelnde Heilpraktikerin aufschienen und die Bekl. in der Aus- und Fortbildung nur geringe Kenntnisse im onkologischen Bereich erworben hatte.“ Auch die Bekl. selbst führe selbst im Nachhinein keinen einzigen Anhaltspunkt für die Wirksamkeit ihres Therapieansatzes an, der ihr Vorgehen erklären könnte.

 

 

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28.02.2022

Informationen

OLG München
Urteil/Beschluss vom 25.03.2021
Aktenzeichen: 1 U 1831/18

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