Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Dokumentation und Beweiswert - c) keine Beweisvermutung der Dokumentation in Betäubungsmittelbüchern

Seit jeher kritisch zu beurteilen ist der Beweiswert der Dokumentation sodann, wenn sie zwar im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung erfolgt, aber aus anderen als (unmittelbar) medizinischen Gründen, wie dies stets im Bereich der Betäubungsmittel der Fall ist, unabhängig davon, ob sie in der allgemeinen Krankenversorgung eingesetzt werden oder – wie im folgenden Fall – im Maßregelvollzug.

 

Der Fall:

Die Klägerin ist Mutter und Erbin des Patienten, der im Krankenhaus des Maßregelvollzuges des Beklagten untergebracht war. Mit ihrer Klage begehrt sie über die ihr gewährte Einsicht in die Patientenakte ihres Sohnes hinaus Einsicht auch in die dort geführten Betäubungsmittelbücher.

 

Sie ist der Auffassung, dass auch diese Teil der Patientenakte ihres Sohnes seien. Sie beruft sich insoweit vorrangig darauf, dass ausweislich eines toxikologisch-chemischen Gutachtens, das im Rahmen der durch die Staatsanwaltschaft angeordneten Obduktion ihres Sohnes erstellt worden sei, sowohl in einer Blut- als auch in einer Haarprobe ihres Sohnes der Wirkstoff Fentanyl festgestellt worden sei, der dem Betäubungsmittelgesetz unterfalle. Die Angaben in der Patientenakte ihres Sohnes, in der keinerlei Gaben von Fentanyl dokumentiert seien, seien daher offenkundig unzutreffend. Es bedürfe daher zur Kontrolle der Einsicht in die Betäubungsmittelbücher, in denen sämtliche an das Krankenhaus des Maßregelvollzuges gelieferten und von dort wieder an Patienten abgegebenen Betäubungsmittel mengenmäßig erfasst würden. Nur in der Zusammenschau mit den Betäubungsmittelbüchern, in denen dementsprechend personenbezogene Daten enthalten seien, stelle sich die Patientenakte als vollständig dar.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab.

Als Anspruchsgrundlage komme allein die spezialgesetzliche Regelung in § 630g Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 BGB in Betracht, die in öffentlich-rechtlich geprägten Beziehungen wie der vorliegend entsprechende Anwendung finde. Die beim Krankenhaus des Maßregelvollzuges geführten Betäubungsmittelbücher seien jedoch nicht Teil der Patientenakte i.S.d. § 630g BGB:

 

„Patientenakten werden gemäß § 630f Abs. 1 Satz 1 BGB ausschließlich zum Zwecke der der Dokumentation der Behandlung eines Patienten geführt. In ihnen sind daher gemäß § 630f Abs. 2 Satz 1 BGB alle für die Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen. Die Betäubungsmittelbücher dienen jedoch nicht in diesem Sinne der Dokumentation der Behandlung eines Patienten. Vielmehr wird mit ihnen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BtMG ausschließlich die Kontrolle der mengenmäßigen Zu- und Abgänge von Betäubungsmitteln in einer Betriebsstätte bezweckt, um deren Verbleib lückenlos nachweisen zu können (vgl. §§ 1 Abs. 3, 13 Abs. 1 BtMVV). Allein der Umstand, dass zu diesem Zweck ggf. auch der Name eines Empfängers von Betäubungsmitteln erfasst wird, führt nicht dazu, dass sich diese Zielrichtung änderte und das Führen der Betäubungsmittelbücher (auch) zum Zwecke der Dokumentation der Behandlung des Betroffenen erfolgte. Hierzu dient allein die Patientenakte, in die zu diesem Zweck beim Krankenhaus des Maßregelvollzuges des Beklagten entsprechende Medikamentenblätter aufgenommen werden.“

 

Soweit die Klägerin geltend macht, dass die dort enthaltenen Angaben unzutreffend seien, weil in bei der Obduktion ihres Sohnes entnommenen Haar- und Blutproben der Wirkstoff Fentanyl entdeckt worden sei, der dem BtMG unterfalle, rechtfertige dies keine andere Beurteilung:

„Nach dem im Rahmen der Obduktion erstellten toxikologisch-chemischen Gutachten vom 6. März 2018 steht schon nicht fest, wann genau der Sohn der Klägerin das Fentanyl aufgenommen hat. Insoweit wird im Gutachten ausdrücklich festgestellt, dass dies ‚in den Wochen bis Monaten vor dem Tod‘, mithin auch in der Zeit nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus des Maßregelvollzuges geschehen sein könnte. Hierfür spricht im Übrigen, dass in dem Gutachten ausdrücklich die Rede davon ist, dass beim Sohn der Klägerin wenige Tage vor seinem Tod ein Fentanylpflaster zur Schmerztherapie eingesetzt worden sei. Entgegen der Annahme der Klägerin steht damit bereits nicht fest, dass die Dokumentation der Behandlung ihres Sohnes in den Medikamentenblättern der Patientenakte unzutreffend ist, nach der ihrem Sohn während der Dauer seines Aufenthaltes im Krankenhaus des Maßregelvollzuges keine Betäubungsmittel verabreicht wurden. Letztlich ist dies jedoch für das vorliegende Verfahren ohnehin irrelevant. Denn selbst wenn die Dokumentation der Behandlung in der Patientenakte offenkundig unzutreffend wäre, würde dies nicht dazu führen, dass die Betäubungsmittelbücher nunmehr als Teil der Patientenakte angesehen werden müssten. Denn der Sinn und Zweck bzw. die grundsätzliche Zielrichtung, denen das Führen der Betäubungsmittelbücher einerseits und das Führen der Patientenakte anderseits dient, ist jeweils abstrakt zu bestimmen und ändert sich demzufolge nicht durch die einem konkreten Einzelfall zugrunde liegenden Umstände.“

 

Der Beklagte habe im Übrigen erklärt, dass in den seit dem Jahr 2010 im Krankenhaus des Maßregelvollzuges geführten Betäubungsmittelbüchern keine Gaben von Betäubungsmitteln an den Sohn der Klägerin dokumentiert seien. Nach dem oben Gesagten bestünden keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass diese Angabe unzutreffend sein könne und demgegenüber tatsächlich personenbezogene Daten des Sohnes der Klägerin in den Betäubungsmittelbüchern enthalten sein könnten. Ein dementsprechender datenschutzrechtlicher bzw. auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG […] gestützter Auskunftsanspruch scheide daher schon deshalb aus. Ohnehin dürfte ein derartiger höchstpersönlicher, originär nur dem Sohn der Klägerin zustehender Anspruch nicht auf die Klägerin als seine Erbin übergegangen sein […]. Insoweit fehle es an einer ausdrücklichen, § 630g Abs. 3 BGB entsprechenden Regelung.

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13.07.2023

Informationen

VG Berlin
Urteil/Beschluss vom 17.02.2023
Aktenzeichen: VG 1 K 221/20

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