Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Keine moderaten Substantiierungsanforderungen im PKH-Verfahren? - PKH, wenn kein Fehler ersichtlich?

Wie vielschichtig das Arzthaftungsrecht beherrscht sein will, um Erfolg zu kommen, wird dem Einsteiger bereits deutlich, wenn er sich dem materiellen Recht zuwendet, das anders als in manch anderem Rechtsgebiet bereits gespickt ist mit Darlegungs- und Beweislastfragen, mit denen Erfolgschancen je nach materiellrechtlicher Einordnung der im Streit stehenden Behandlung geradezu scharnierartig die Chancen vor Gericht steigen und fallen. Dem Kl. kommen dabei seit jeher moderate Substantiierungsanforderungen zugute, die ihn unter Hinweis auf seinen Laienstatus erheblich begünstigen, faktisch weitaus mehr als in manch anderem (z.B. technischen) Bereich. Welcher Mindestvortrag aber ist zu leisten, wenn der Kl. zunächst nur PKH beantragt, das Gericht also gehalten ist, Erfolgschancen zu prüfen, die es angesichts auch seines Laienstatus selten überhaupt angemessen einschätzen kann? Dass es auf außergerichtliche Gutachten zurückgreifen darf, gilt als ausgemacht. Welche Anforderungen darf es dann aber an den Klagevortrag stellen, ohne das Gebot effektiven Rechtsschutzes zu beschneiden?

 


a)    PKH, wenn kein Fehler ersichtlich?

Wie der folgende Fall zeigt, wird zumindest zu fordern sein, dass ein Fehler des Arztes erkennbar wird. Wann aber ist eine solche Erkennbarkeit bei vorausgegangenem Sachverständigengutachten zu verneinen?

Der Fall:

Der Ast. begehrt PKH für eine Klage gegen den Ag., seinen früheren Hausarzt. der ihn im März 2017 wegen auftretender Magen- und Darmkrämpfe behandelte. Der Bekl. diagnostizierte im Rahmen der weiteren Behandlung eine Lymphknotenvergrößerung, die er als „eher unverdächtig“ dokumentierte. Er veranlasste eine Überweisung zum HNO-Arzt und zum Radiologen, woraufhin der Lymphknoten entfernt und bei dem Ast. ein Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert wurde.

In einem Schlichtungsgutachten kam die dortige Sachverständige zu dem Ergebnis, dass dem Ag. kein Behandlungsfehler vorzuwerfen sei. Die Ursache des Non-Hodgkin-Lymphoms sei nicht vollständig geklärt. Der Ast. wirft dem Ag. vor, keine Blutbildanalyse durchgeführt und dadurch einen Lymphdrüsenkrebs nicht erkannt zu haben. Die notwendige Antibiotikabehandlung sei unterlassen worden, so dass eine Chronifizierung des Lymphdrüsenkrebses eingetreten sei. Infolgedessen leide er an Übervorsichtigkeit, könne nicht mehr Fußball oder andere Mannschaftssportarten spielen und nur noch in den Sommermonaten Fahrrad fahren. Jede einfache Erkältung und sonstige Infektionskrankheiten seien für ihn lebensgefährlich.

Das Landgericht hat PKH-Antrag zurückgewiesen, da nach Schlichtungsgutachten der Ag. fachgerecht gehandelt habe. Fehler bei der zuvor erfolgten Behandlung des Ast. seien durch die Gutachterin der Schlichtungsstelle ebenso nicht festgestellt worden. Hiergegen wendet sich der Ast. mit seiner Beschwerde. Eine Beweisprognose sei nur in sehr engen Grenzen gestattet. In Arzthaftungsfällen komme dies ohnehin nicht in Frage. Es sei überdies unzulässig, ein Gutachten aus einem Schlichtungsverfahren als Urkundenbeweis zu würdigen, zumal er nicht die Beweislast trage.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Die von dem Ast. beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg:

„Es wird bereits nicht hinreichend deutlich, welches Verhalten des Ag. nach dem Vorbringen des Ast. fehlerhaft gewesen sein soll. Zwar sind im Arzthaftungsprozess an die Substantiierungspflicht des klagenden Patienten nur maßvolle Anforderungen zu stellen […]. Der Vortrag des Patienten muss jedoch mindestens in groben Zügen erkennen lassen, welches ärztliche Verhalten fehlerhaft gewesen und welcher Schaden hieraus entstanden sein soll […]. Soweit der Ast. in der Klageschrift geltend macht, „dass eine Diagnose trotz der Magen- und Darmkrämpfe und der übrigen Symptome nicht vorgenommen wurde“, bleibt jedoch unklar, was genau dem Ag. vorgeworfen werden soll. Ausweislich der Behandlungsunterlagen wurde der Ast. im Juni 2017 nicht wegen Magen- und Darmkrämpfen behandelt. An anderer Stelle trägt der Ast. zudem selbst vor, dass bei der Behandlung am 20.06.2017 der Ag. eine Diagnose geäußert habe. Dass diese Diagnose einer Lymphdrüsenschwellung fehlerhaft war, behauptet der Ast. selbst nicht. Unstreitig hat der Ag. auch eine weitere bildgebende Diagnostik veranlasst, indem er eine Überweisung sowohl zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt als auch zum Radiologen ausstellte.“

Auf die zutreffende Diagnose bei der Erstuntersuchung am 20.06.2017 habe der Ag. angemessen reagiert und die Einholung weiterer Befunde zur Abklärung durch die Überweisung an die Fachärzte veranlasst: „Es erschließt sich daher nicht, welche weiteren Befunde der Ag. noch hätte erheben sollen. Zu Recht hat das Landgericht in diesem Zusammenhang auch das in dem Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten [...] berücksichtigt, das ebenfalls einen Behandlungsfehler des Ag. nicht feststellt. Gegen die Berücksichtigung dieses Gutachtens bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage wendet sich der Ast. ohne Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten auch gutachterliche Feststellungen in einem vorausgegangenen Schlichtungsverfahren berücksichtigt werden können und das in einem Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten ebenso wie das abschließende Schreiben der Schlichtungsstelle im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden kann. Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ist dann nur geboten, wenn ein im Wege des Urkundenbeweises verwertetes Gutachten nicht alle Fragen beantwortet oder dargelegt wird, dass die im Schlichtungsverfahren tätigen Gutachter und Ärzte nicht über die erforderliche Sachkunde verfügen, etwa weil sie nicht für das zu beurteilende Fachgebiet ausgebildet sind […]. Derartige Umstände trägt der Ast. nicht vor. Dass das Gutachten im Schlichtungsverfahren durch eine Fachärztin für Allgemeinmedizin erstellt wurde und nicht durch einen auf Onkologie spezialisierten Fachmediziner, ist nicht zu beanstanden, da auch der Ag. kein Onkologe, sondern Facharzt für Allgemeinmedizin ist, so dass dem Prinzip der fachgebietsgleichen Begutachtung genügt ist. Ersichtlich unzutreffend ist auch die Auffassung des Ast., er trage für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers nicht die Beweislast.“

Schließlich sei aber auch nicht ersichtlich, dass der Therapieverlauf ein anderer gewesen wäre, selbst wenn das bei dem Ast. aufgetretene Non-Hodgkin-Lymphom früher diagnostiziert worden wäre: „Wie sich aus dem bei den Behandlungsunterlagen befindlichen Arztbericht der Dr. L. vom 12.09.2017 ergibt, befinde sich der Patient im guten Allgemeinzustand und habe bezüglich des Lymphoms keine Beschwerden. Die Therapieempfehlung laute „Watch and Wait“ und nur in Ausnahmefällen sei eine Antikörpertherapie einzuleiten. Ausweislich der Anamnese in dem in dem Schlichtungsverfahren eingeholten Gutachten besteht diese Therapieempfehlung auch nach der Nachuntersuchung am 14.05.2018 fort.“

 

 

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31.08.2021

Informationen

OLG Schleswig
Urteil/Beschluss vom 23.02.2021
Aktenzeichen: 7 U 149/20

Fachlich verantwortlich

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