Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe
Zu den heikelsten Fragen überhaupt zählt in der arbeitsteiligen Medizin der Umgang mit eigenen Zweifeln an der Richtigkeit vorgegebener Behandlungsanordnungen. Wie entsprechend schwierig die Bruchlinie zwischen noch vertrebtarem und fahrlässigem Handeln zu bestimmen ist, macht der folgende Fall deutlich.
Der Fall:
2016 stellte sich die Patientin, überwiesen durch ihre Gynäkologin, ambulant in der Klinik der Bekl. zu 1) vor, wo nach eingehender Diagnostik eine ambulante Hysteroskopie mit fraktionierter Abrasio vereinbart wurde. Durchgeführt wurde der Eingriff von der Bekl. zu 2), einer Assistenzärztin, und der Bekl. zu 3), einer (einen Monat zuvor examinierten) Oberärztin. Ferner zugegen war ein älterer, erfahrener Oberarzt. Bei dem Eingriff setzten die Bekl. ein monopolares Resektoskop ein, um einen vorhandenen Polypen vollständig zu entfernen. Als Spülmittel nutzten sie statt einer isotonischen Lösung etwa 2,5 Liter destilliertes Wasser, das für den Einsatz in der Gebärmutterhöhle ungeeignet war, da es nicht in die Blutbahn gelangen durfte und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Hämolyse, das heißt die Auflösung der roten Blutkörperchen verursacht, und zunächst zu einem Hirnödem wie an letztlich zum Tod der Patientin führte.
Die Bekl. haben vorgebracht, dass das Hysteroskop nur diagnostisch eingesetzt worden sei und weder eine Flüssigkeitsbilanzierung erforderlich noch durch das undichte Hysteroskop ohne Druckanzeige überhaupt möglich gewesen sei. Von den insgesamt verwendeten ca. 2,5 Litern Wasser seien 1,7 Liter aufgefangen worden; der Rest sei auf die Kleidung der Operateure und den Boden des OP-Saals gelangt. Die Nutzung von destilliertem Wasser sei unter diesen Umständen nicht zu beanstanden gewesen. Die OP-Schwestern hätten zudem erklärt, dass das Hysteroskop nach einer Absprache zwischen dem Chefarzt und der Leiterin des OP-Pflegepersonals im Hinblick auf die Vorgabe des Herstellers, keine salzhaltige Lösung zu verwenden, mit destilliertem Wasser benutzt werden solle, da das Gerät sonst korrodiere.
Zudem hätte das hierarchische Prinzip der vertikalen Arbeitsteilung in der Rangfolge vom ärztlichen Direktor und Chefarzt über den Oberarzt sowie den Assistenten berücksichtigt werden müssen. Die Verantwortung für das Handeln der Angewiesenen trage ausschließlich der Weisungsberechtigte. Der Bekl. zu 2) könne unter Berücksichtigung des unbestritten gebliebenen Vortrages der Bekl. und der Angaben der Bekl. zu 2) in ihrer informatorischen Anhörung nicht angelastet werden, dass destilliertes Wasser im Rahmen der Hysteroskopie verwendet worden sei. Denn ein Arzt in Weiterbildung, der vom Chef- oder Oberarzt zu einer bestimmten Vorgehensweise angewiesen werde, habe dieser Anweisung in der Regel Folge zu leisten. Die Bekl. zu 3) habe auf die Angabe des mit anwesenden Oberarztes Dr. K vertraut, dass der damalige Chefarzt die Verwendung des destillierten Wassers mit der pflegerischen Leitung abgesprochen habe und hierauf auch vertrauen dürfen. Ein grober Fehler sei der Bekl. zu 3) nicht zur Last zu legen, denn sie hätte ja erkannt, dass die Verwendung des destillierten Wassers kritisch sein könne und dieses Thema angesprochen. Mehr habe sie nicht tun können.
Die Entscheidung des Gerichts:
Das OLG hat die gegen das klagestattgebende Urteil des LG gerichtete Berufung der Bekl. zurückgewiesen, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes jedoch die Schwere des Verschuldens für die Bekl. zu 2) und 3) unterschiedlich gewichtet.
Der Sachverständige habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Verwendung von destilliertem Wasser einen groben Behandlungsfehler darstelle. Es gehöre zum Basiswissen bereits des Medizinstudiums, dass kein Wasser in die Blutbahn einzuleiten. Hierfür hätten sowohl die Bekl. zu 2) wie die Bekl. zu 3) einzustehen:
„Ein Assistenzarzt darf auf die vom Facharzt angeordneten Maßnahmen vertrauen, sofern nicht für ihn erkennbare Umstände hervortreten, die ein solches Vertrauen nicht gerechtfertigt erscheinen lassen […]. Der nachgeordnete ärztliche Dienst ist in eine hierarchische Struktur eingebunden, die ihn auch haftungsrechtlich schützt und die, soweit er sich im Rahmen dieser Unterordnung bewegt, die deliktische Verantwortung einschränken kann. Bei der sogenannten vertikalen Arbeitsteilung ist der nachgeordnete Arzt an die Anweisungen des ihn leitenden Arztes gebunden. Der nachgeordnete Arzt haftet daher nur bei einem allein von ihm zu verantwortenden Verhalten, etwa, weil ihm eine Behandlung zur selbstständigen Ausführung überlassen wird, wenn er durch voreiliges Handeln einer ihm erteilten Anweisung der ärztlichen Leitung zuwider handelt, er pflichtwidrig eine gebotene Remonstration unterlässt oder ihm ein Übernahmeverschulden vorgehalten werden kann […]. Diese Grundsätze gelten entsprechend für das Verhältnis zwischen Chefarzt und Oberarzt.“
Hieran gemessen, sein zunächst ein Fehler der Bekl. zu 3) als Oberärztin erwiesen:
„Die Bekl. zu 3), die zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Operation seit einem Monat Oberärztin war, konnte sich bereits nach dem von ihr dargestellten Sachverhalt nicht auf eine für die Behandlungssituation maßgebliche Anweisung des Chefarztes Dr. F. berufen. Eine direkte Anweisung des Chefarztes bezüglich der Operation der Patientin hat die Bekl. zu 3) bereits selbst nicht behauptet. Sie hat lediglich in ihrer Anhörung angegeben, dass ihr die OP-Schwestern erklärt hätten, dass das operative Hysteroskop nach einer Absprache zwischen dem Chefarzt und der Leiterin des OP-Pflegepersonals im Hinblick auf die Vorgabe des Herstellers, keine salzhaltige Lösung zu verwenden, mit destilliertem Wasser benutzt werden sollte, da das Gerät sonst korrodiere. Die Bekl. zu 3) wusste aber ihrer Anhörung zufolge auch, dass in der Klinik bisher für diagnostische Zwecke das operative Hysteroskop nicht verwendet wurde und ansonsten für Eingriffe wie den streitgegenständlichen eine isotonische Lösung als Distensionsmittel verwendet wurde. Die aus zweiter Hand übermittelte Anweisung des Chefarztes konnte sich daher nicht auf die erstmalige Verwendung des monopolaren Resektoskops zu Diagnosezwecken beziehen, sondern lediglich auf den operativen Einsatz, in der es für die Verwendung des Resektoskops und die Eingehung der höheren Risiken durch die Verwendung einer hypotonen Lösung einen medizinischen Grund gab. Dies konnte die Bekl. zu 3) erkennen.
Es kann die Bekl. zu 3) auch nicht entlasten, dass der weitere Oberarzt Dr. K. das operative Hysteroskop zu Diagnosezwecken ausprobieren wollte. Gegenüber der Bekl. zu 3) war der weitere Oberarzt gleichgeordnet und konnte ihr keine verbindlichen Anordnungen erteilen. Die Bekl. zu 3) hatte ihren Angaben zufolge durchaus die Verwendung von destilliertem Wasser hinterfragt, als sie vor Beginn der Operation bemerkt hatte, dass eine Spüllösung vorbereitet war, mit der sie nicht gerechnet hatte. In einer Situation, in der jedenfalls Unsicherheit über das verwendete Distensionsmedium bestand, durfte die Bekl. zu 3) keine der bloßen Geräteerprobung dienende, risikoreichere Operation, durch die die Patientin keinen damit korrespondierenden Vorteil - etwa eine Polypenentfernung unter Sicht - hatte, beginnen.
Selbst wenn von einer Anordnung des Chefarztes auszugehen wäre, lägen bezüglich der Bekl. zu 3) Anhaltspunkte vor, nach denen ein Vertrauen in die Anordnung nicht gerechtfertigt war, die für eine fehlerhafte Vorgehensweise sprachen und die eine Remonstrationspflicht begründeten. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Gefährlichkeit von destilliertem Wasser und insbesondere dessen Eindringen in die Blutbahn nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. I. bekannt ist und bereits Medizinstudenten bewusst sein muss. Gegenüber dieser für die rechtliche Beurteilung zentralen Bewertung bringen die Bekl. in der Berufungsbegründung keine beachtlichen Einwendungen vor. Sie wiederholen im Wesentlichen nur die Darstellung der Bekl. zu 2) und 3) aus der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung. Der Sachverständige hat im schriftlichen Gutachten weiter ausgeführt, dass die Ausschabung der Gebärmutter eine Wundfläche verursachte, durch die das Distensionsmedium noch einfacher in die Blutbahn eindringen konnte. Diese Gefahr musste und konnte der Bekl. zu 3) als Oberärztin im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe bekannt sein. Insbesondere angesichts der erstmaligen Verwendung des Resektoskops zu Diagnosezwecken, was für die Patientin zusätzliche Risiken, aber keine Vorteile erbrachte, hätte die Bekl. zu 3) ihre Remonstrationspflicht ausüben müssen. Sie hat diese nicht erfüllt. Sie hat die Verwendung von destilliertem Wasser nach ihrer Darstellung zwar gegenüber den Anwesenden zunächst als aus ihrer Sicht falsche Lösung angesprochen. Nach den ihr gegebenen Erklärungen hat sie aber nicht an ihren Bedenken festgehalten, diese nicht gegenüber dem Chefarzt als Urheber einer möglichen Anordnung geltend gemacht und nicht auf deren Änderung gedrungen. Es kommt hinzu, dass die Bekl. zu 3) nach ihren eigenen Angaben die Operation mit dem monopolarem Resektoskop begonnen hat, ohne sich vorher mit dem für sie neuen Gerät vertraut zu machen; ihr war nicht bekannt und sie hatte nicht überprüft, ob das Gerät eine Druckanzeige aufwies und ob der Druck regulierbar war.“
Auch die Bekl. zu 2) habe gegen die ihr obliegende Remonstrationspflicht verstoßen:
„Ihren Angaben zufolge hat die Bekl. zu 3) ihr mitgeteilt, dass der Oberarzt Dr. K. die Verwendung des operativen Hysteroskops mit Wasser als unbedenklich angesehen habe. Sie hat erklärt, dass sie es als ausreichend angesehen habe, dass der erfahrene Oberarzt keine Bedenken gehabt habe. Sie habe das, was der Oberarzt gesagt habe, wegen der Hierarchie auch nicht infrage gestellt. Ausgehend davon, dass der Sachverständige die durch destilliertes Wasser hervorgerufenen Risiken als medizinisches Basiswissen bezeichnet und bewertet hat, insbesondere hervorgehoben hat, dass destilliertes Wasser nicht in die Blutbahn gelangen darf, während die Verwendung eines operativen Hysteroskops mit destilliertem Wasser schon nach der ständigen Praxis im Krankenhaus der Bekl. zu 1) für die geplante diagnostische Hysteroskopie offensichtlich nicht erforderlich war, traf die Bekl. zu 2) die Verpflichtung, fachliche Fragen bezüglich des Distensionsmediums jedenfalls aufzuwerfen. Dies war der Bekl. zu 2) auch insofern zuzumuten, als sich aus ihrer Anhörung ergibt, dass sie keine direkte Anordnung des erfahrenen Oberarztes Dr. K. erhalten hatte, sondern ihr dessen Auffassung nur von der Bekl. zu 3) mitgeteilt worden war. Eine Remonstration hätte dementsprechend gegenüber der Bekl. zu 3) erfolgen können und müssen, von der die Bekl. zu 2) wusste, dass sie eine derartige Operation ebenfalls zuvor noch nicht durchgeführt hatte, weshalb ein Wissens- oder Erfahrungsvorsprung nicht oder nicht erheblich bestand.
Dass eine Remonstration der Bekl. zu 2) am weiteren Verlauf nichts geändert hätte und der Ausgang für die Patientin auch ohne die Verletzung der Remonstrationspflicht durch die Bekl. zu 2) derselbe gewesen wäre, kann nicht festgestellt werden. Ihren Angaben zufolge hatte die Bekl. zu 3) das destillierte Wasser als ungewöhnliche Spüllösung wahrgenommen und es für notwendig gehalten, mit den OP-Schwestern darüber zu sprechen. Hätte die Bekl. zu 2) ebenfalls Bedenken angemeldet und auf die Gefahr eines Eintritts von destilliertem Wasser in die Blutbahn hingewiesen, hätte dies durchaus dazu führen können, dass sich die Zweifel der Bekl. zu 3) verstärkt hätten und diese entsprechend der üblichen Vorgehensweise ein diagnostisches Hysteroskop mit isotonischer Spüllösung eingesetzt hätte.“
Auch hinsichtlich der Bekl. zu 2) und 3) sei von einem groben Behandlungsfehler auszugehen. Denn insoweit und für den Eintritt einer an einen groben Behandlungsfehler geknüpften Beweislastumkehr komme es allein auf die objektive Fehlerqualität an, die im subjektiven Verschuldensbereich keine Entsprechung finden müsse. Im Übrigen treffe die Bekl. zu 3) auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der vertikalen Arbeitsteilung in subjektiver Hinsicht ein grobes Versäumnis und ein grober Fehler. Für die Bekl. zu 2) gelte dies dagegen nicht, was im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen sei:
„Der Senat sieht aufgrund der Überlebenszeit der Patientin von 24 Stunden und den durchgeführten zahlreichen Maßnahmen an der Patientin bei stetiger Verschlechterung ihres Zustandes trotz der durchgehenden Empfindungsunfähigkeit dennoch eine fassbare immaterielle Beeinträchtigung durch die Körperverletzung, die die Zumessung eines Schmerzensgeldes rechtfertigt. Die Patientin hat nicht lediglich 24 Stunden bewusstlos und ruhig im Krankenbett gelegen, sondern hat sich einer Vielzahl medizinischer Eingriffe ausgesetzt gesehen, die ihre Gesundheit weiter beeinträchtigt haben, so z.B. durch die Rippenbrüche und den Leberriss bei der Reanimation und die erforderlich gewordene Laparotomie. Sie war die gesamte restliche Lebenszeit intensivpflichtig. Im Ergebnis hält der Senat, auch verglichen mit anderen vom Senat entschiedenen Fällen, einen Betrag von 2.000 € für angemessen. Dieser ist jedoch für die Bekl. zu 1) und 3), denen ein gesteigertes persönliches Verschulden im Sinne einer auch subjektiv schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung zur Last zu legen ist, um weitere 2.000 € zu erhöhen. Bei der Bekl. zu 3) spricht ausschlaggebend für eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, dass sie wusste, dass die mit erhöhten Risiken verbundene Verwendung des operativen Hysteroskops allein dem von Dr. K. angestrebten Erproben des Geräts diente, ohne dass die Patientin einen Vorteil durch diese Risikoerhöhung, etwa in Form der Operation des Polypen unter Sicht, hatte. Das grob fahrlässige Verhalten der Bekl. zu 3) ist der Bekl. zu 1), für die die Bekl. zu 3) als Erfüllungsgehilfe handelte, zuzurechnen. Der genannte Gesichtspunkt trifft im Hinblick auf die Bekl. zu 2) als nicht für die Operationsplanung insgesamt Verantwortliche allerdings nicht zu, sodass die Bekl. zu 2) lediglich in Höhe von 2.000 € gesamtschuldnerisch haftet.
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