Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe
Wird dem Behandelnden vorgeworfen, für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt gewesen zu sein – bzw. solchermaßen unqualifiziertes Personal eingesetzt zu haben –, kann dies gemäß § 630h Abs. 4 BGB zu der Vermutung führen, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war. Auf welche Weise die Behandlung dann in der (Gegen-) Beweisaufnahme nachzueichnen ist, verdeutlicht der folgende Fall, in dem sich die Behandlungsseite erfolgreich zu entlasten vermochte.
Der Fall:
Die Kl. ist Alleinerbin des 2018 im Alter von 83 Jahren verstorbenen Patienten. Ihre aus ererbtem Recht verfolgten Schadensersatzansprüche stützt sie u.a. darauf, dass das Vorgehen der Bekl. bei Narkose und Reanimation behandlungsfehlerhaft gewesen sei. Die Narkose sei fehlerhaft durch einen unerfahrenen Assistenzarzt geführt worden, der nicht ausreichend überwacht worden sei. Die todesursächliche Fettembolie müsse nicht zwingend aus der Unfallverletzung des Patienten hervorgegangen sein, da im Rahmen der Reanimationsversuche vielfache Knochenbrüche verursacht worden seien, die ebenfalls zu einer Fettembolie hätten führen können, was im Übrigen eine fehlerhafte Durchführung der Reanimation nahelege.
Die Entscheidung des Gerichts:
Das OLG hat den den Beeklagten nach § 630h Abs. 4 BGB obliegenden Beweis als geführt betrachtetet, dass der Zeuge Dr. S., der sich zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Operation noch in der Facharztweiterbildung zum Anästhesisten befand, für die Durchführung der Narkose ausreichend qualifiziert war und ausreichend überwacht wurde:
„Bei einer Anfängeroperation durch einen noch nicht ausreichend qualifizierten Assistenzarzt muss die ständige Eingriffsbereitschaft und Eingriffsfähigkeit des aufsichtsführenden Facharztes, regelmäßig des Chef- oder Oberarztes gewährleistet sein. Dies gilt auch im Bereich der Narkose […]. Dieser muss jeden Operationsschritt beobachten, verfolgen und jederzeit korrigierend eingreifen können. Operiert der Auszubildende selbst, muss grundsätzlich durchgängig die Anwesenheit und Eingriffsbereitschaft sowie die Korrekturmöglichkeit bei sich anbahnenden schadenträchtigen Fehlleistungen durch eine Assistenz des aufsichtsführenden, erfahrenen Facharztes gegeben sein, solange nicht feststeht, dass der Auszubildende die Operation praktisch beherrscht. Einem noch in Ausbildung befindlichen hinreichend qualifizierten Assistenzarzt darf auch die Durchführung schwieriger Operation übertragen werden, da dieser ansonsten sein Ausbildungsziel nicht erreichen kann, wenn der Facharzt Standard durch die Überwachung seitens des Facharztes sichergestellt wird […].“
Diese Anforderungen sei bei der streitgegenständlichen Operation nach Überzeugung des Senats eingehalten worden:
„Nach Aussage des Zeugen Dr. S., der auf den Senat einen glaubwürdigen Eindruck machte, erfolgte die Vorbereitung und Einleitung der Narkose einschließlich Anlage der Wacharterie und Dosierung der Narkosemittel im Einleitungsraum durch den Facharzt Prof. Dr. S., der nach dem Blutdruckabfall unmittelbar nach Beginn der Narkose nochmals alles überprüft habe und sich erst danach in die unmittelbar angrenzenden OP-Säle begeben habe. Seine Aussage wird bestätigt durch das von Prof. Dr. S. am 24.08.2018 verfasste Gedächtnisprotokoll […]. Soweit die Kl. die Angaben weiterhin mit dem Hinweis darauf anzweifelt, die Anwesenheit von Prof. S. während der Einleitung der Narkose sei nicht im Protokoll vermerkt, wird die Beteiligung des Facharztes auch durch das - insoweit maßgebliche - Anästhesieprotokoll belegt, in dem Prof. Dr. S. als 1. Anästhesist aufgeführt wird. Der Zeuge hat weiterhin bekundet, er sei rund 10 Minuten allein geblieben, danach sei die Oberärztin Dr. G. vorbeigekommen und habe die Narkoseführung überprüft, die zu diesem Zeitpunkt noch in Ordnung gewesen sei. Als es so gegen 8.40 Uhr zu Problemen gekommen sei, habe er sie telefonisch informiert und sie sei - seiner Erinnerung nach - ca. 20 Sekunden später wieder im OP-Saal gewesen. Auch Prof. S. habe sich in telefonischer Rufbereitschaft befunden. Die Angaben des Zeugen werden durch das Anästhesieprotokoll belegt, aus dem sich ergibt, dass die Oberärztin G. ca. 8.40 und kurze Zeit später der ebenfalls über das Notfalltelefon hinzugerufene Prof. S. im Saal erschienen seien, die die Narkoseführung ab da übernommen hätten. Zu seinem Ausbildungsstand hat der Zeuge angegeben, er habe in der Zeit vor der streitgegenständlichen Operation auch Patienten mit einer hohen Risikoeinschätzung entsprechend ASA IV alleine unter Supervision versorgt und sei dabei längere Zeit alleine mit den Patienten im OP-Saal verblieben. Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln, bestehen für den Senat nicht.
Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat die von dem Zeugen S. beschriebene Narkoseführung unbeanstandet gelassen. Die enge Anbindung an den entsprechenden Facharzt sei gewährleistet gewesen, da am Anfang der Narkoseführung Prof. Dr. S. anwesend gewesen sei und bei Beginn des Auftretens von Komplikationen sofort die Fachärztin wieder dazugestoßen sei. Kontrolle und Rufbereitschaft würden bei dem vom Zeugen geschilderten Ausbildungsstand in jeden Fall ausreichen, das werde an den Universitätskliniken in Deutschland durchweg ähnlich gehandhabt.“
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