Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Beweislastumkehr infolge Dokumentationsmangels?

Kann die Beweislastumkehr anders als in den vorgenannten Fallgruppen nicht auf medizinische Aspekte gestützt werden, tritt im Prozess nicht selten die Frage auf, ob sie aus Mängeln der Dokumentation abgeleitet werden kann. Positivrechtlich allein in § 630h Abs. 3 BGB normiert, stellt sich dann freilich bereits die Frage nach der Reichweite von Dokumentationspflicht, -zweck und -aussagekraft, wie der folgende Fall noch kurz illustriert.


Der Fall:


Die seinerzeit 60-jährige Kl. macht Ansprüche wegen behaupteter Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer im Sommer 2013 aufgrund eines Hallux valgus durch die Bekl. durchgeführten Operation geltend.
Mit ihrer gegen das klageabweisende Urteil des Lndgerichts gerichteten Berufung beanstandet sie, dass der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung einerseits ausgeführt habe, es habe intraoperativ die Entscheidung des Operateurs gegeben, eine weitere Platte zur seitlichen Stabilisierung einzubringen, was auf Grundlage einer intraoperativen Röntgenkontrolle erfolgt sei. Andererseits habe er aber auch angegeben, dass eine Röntgenaufnahme in zwei Ebenen vor der Operation nicht erforderlich gewesen sei. Dies sei ein Widerspruch, der nicht aufgeklärt worden sei. Zudem habe es (unstreitig) Lücken im Operationsbericht gegeben. So sei die Einbringung eines Kirschnerdrahtes dokumentiert worden, obwohl dieser nicht eingebracht worden sei; es sei auch die zwingend erforderliche knöcherne Sektion am TMT-Gelenk nicht erwähnt und es sei nicht angegeben worden, dass die Stufenplatten um 180 Grad verdreht angebracht worden seien. Diese Dokumentationsmängel im Operationsbericht führen zu einer Umkehr der Beweislast; die Ausführungen des Sachverständigen seien nur teilweise verwertbar.
Zudem habe das LG die offensichtlichen Hygienemängel nicht ordnungsgemäß untersucht. Der Patient müsse sich zu dem Vorwurf des Hygienemangels nur pauschal erklären, weil er keinen Einblick in die organisatorischen Strukturen habe. Hygienemängel seien üblicherweise nicht im Krankenblatt dokumentiert. Andere Unterlagen habe der Sachverständige nicht eingesehen, und das LG habe ihn dazu auch nicht aufgefordert. Die Bekl. sei ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, weshalb sich die Beweislast umkehre.


Die Entscheidung des Gerichts:


Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen, da Mängel im Operationsbericht dahinstehen könnten:
„Ein Dokumentationsmangel ist […] kein Behandlungsfehler […]. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes […] begründet das Fehlen der Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme allein die Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist. Der Behandlungsseite obliegt es dann, diese Vermutung zu widerlegen […]. Weiter reicht die Beweiserleichterung in der Regel aber nicht. Sie führt grundsätzlich weder unmittelbar zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs noch rechtfertigt sie den Schluss auf ein für den Patienten positives Befundergebnis im behaupteten Sinne.“
Dies zugrunde gelegt, hätten die die Dokumentationsmängel  nach den Ausführungen des Sachverständigen für die Kl. keine Konsequenzen: „Soweit in der Dokumentation erwähnt wird, dass Kirschnerdraht eingebracht worden sei, ist dies zwar falsch, hat sich aber nicht zum Nachteil der Kl. ausgewirkt. Nach Angaben des Sachverständigen müsse nach einer Hohmann Operation keine Drahtfixierung vorgenommen werden. Ohne Erfolg beanstandet die Kl., dass im Operationsbericht die Entknorpelung nicht dokumentiert worden ist. Dies sei nach der Auffassung des Sachverständigen auch nicht erforderlich […]. Im Übrigen seien in den Unterlagen und bildgebenden Befunden keine Hinweise dafür vorhanden, dass die Gelenkentknorpelung nicht stattgefunden habe. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten. Es sind diejenigen für die Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, die aus der fachlichen Sicht des Behandelnden für die Sicherstellung der derzeitigen oder einer künftigen Behandlung wesentlich sind bzw. sein können […]. Hiermit sind ersichtlich solche Maßnahmen und Ergebnisse gemeint, deren Aufzeichnung geboten ist, um Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der Krankheit und die bisherige Behandlung für ihre künftigen Entscheidungen ausreichend zu informieren […].
Auch die Rüge einer unzulänglichen Beweiserhebung über Hygienemängel gehe fehl:
„Im Anschluss an die Behauptung, die Bekl. habe keine hygienische OP Umgebung vorgehalten, nicht nach den Regeln einer aseptischen OP Umgebung gearbeitet und Defizite bei der Sterilgutaufbereitung und Verwendung zugelassen […], hat die Bekl. die Handlungsanweisungen für den Verbandswechsel postoperativ, für den Verbandswechsel, die Anweisung für die Desinfektion, die Berichte über die Beurteilung der Dampfsterilisation, die Hygieneordnung vom 18.11.2005 […] sowie den Dokumentationsbogen Sterilisationsindikator für die OP der Klägerin vom 10.07.2013 vorgelegt. Im Operationsbericht wird „steriles Abwaschen und Abdecken“ erwähnt. Des Weiteren liegt ein Dokumentationsbogen „Sterilisationsindikator“ vor über die Verwendung von sterilen Tupfern und Mullkompressen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat sie darüber hinaus im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht gehalten, auch noch Unterlagen zu dem Ergebnis von stichprobenartigen Kontrollen der Hygienemaßnahmen oder Auszüge aus dem Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) vorzulegen. Fußoperationen sind nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Bekl. keine Indikatorenoperationen und werden daher nicht von KISS erfasst. Zu Unrecht beanstandet die Klägerin, dass die Hygieneordnung aus dem Jahr 2005 stammt, denn ausweislich Seite 2 erfolgte die Aktualisierung im Januar 2013.“
 

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04.08.2025

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 04.02.2025
Aktenzeichen: 4 U 301/24

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