Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Zeitfaktor Patientenaufklärung - 3. Konsequenzen für die Kostentragung

Wird der Patient in auch nur zeitlicher Hinsicht fehlerhaft aufgeklärt, brauchen sich seine Ansprüche dabei nicht auf gesundheitsbezogene Schadensersatzansprüche zu Patienten. Wie der folgende Fall zeigt, folgen Konsequenzen vielmehr auch auf Kostenebene, in dem der als Selbstzahler verpflichtete Patient möglicherweise von seiner Kostenlast befreit wird, wie der folgende – allerdings vor den Sozialgerichten angesiedelte – Fall in den Raum stellt, in dem das Gericht bereits die vorgenannte Entscheidung aus Bremen umsetzt.

 

Der Fall:

Der 1980 geborene Kl. ist bei der Bekl. krankenversichert. Nach einer im Oktober 2013 erfolgten Entfernung des Hodens links und einer Probenentnahme aus dem rechten Hoden in der Universitätsmedizin Greifswald wurde bei ihm ein maligner Keimzelltumor „high risk“ festgestellt. Im Vorfeld einer systemischen Chemotherapie klärte im Juni 2014 der Arzt Dr. B den Kl. u.a. über die Methode und das Wirkprinzip der Elektrohyperthermie auf und unterzeichnete einen undatierten „Aufklärungsbogen zur intraarteriellen Chemotherapie im Stopflowverfahren mit Hyperoxygenierung, Hyperthermie und Chemofiltration“. Mit einem auf den 30. Juni 2014 datierten „Behandlungsvertrag für eine stationäre Chemoperfusion“ verpflichtete sich der Kl. als Selbstzahler zur Kostentragung. In dem jeweiligen Vordruck „Aufklärungsbogen und Einwilligungserklärung“ wurde auf mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen hingewiesen. Auf das Risiko einer extraabdominellen Metastasierung des Keimzelltumors und auf die Möglichkeit und die Heilungschancen einer systemischen Chemotherapie wurde hierin nicht ausdrücklich hingewiesen.

 

Die Bekl. lehnte die beantragte Kostenerstattung wegen bereits vor Bescheiderteilung erfolgter Selbstbeschaffung ab. Mit seiner Klage verfolgt der Kl. einen Kostenerstattungsanspruch. Die Therapie habe zu einer Vollremission geführt, was mit einer systemischen Chemotherapie nicht erreicht worden wäre.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das Sozialgericht meinte - ergänzend anmerkend -, dass eine zivilrechtlich wirksame Zahlungsverpflichtung des Kl. gegenüber dem Krankenhaus auch dann nicht anzunehmen sein dürfte, wenn man – wie der Senat – die streitige

Chemoperfusionsbehandlung nicht als vom Sachleistungsanspruch des Kl. umfasst ansehe – was er indes nicht entscheiden habe:

„Für eine wirksame Kostenbelastung des Kl. aufgrund der vorgelegten Rechnungen des Krankenhauses (und des Dr. B.) dürfte es jedenfalls an einer wirksamen Einwilligung in die streitige Behandlungsmethode fehlen. Insoweit verweist der Senat nochmals auf die Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 6/11 R –, juris Rn. 24, wonach die Verletzung von Aufklärungspflichten durch den behandelnden Arzt zum Ausschluss des Vergütungsanspruchs führen kann. Dem Gebot der vollständigen Aufklärung liegt zugrunde, dass der Patient zur Wahrung seines aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Selbstbestimmungsrechts und seines Recht auf körperliche Unversehrtheit umfassend und ungefragt darüber aufgeklärt werden muss, dass die in Betracht gezogenen Behandlungsmethoden unterschiedliche Risiken oder Erfolgschancen haben […]. Nur aufgrund einer solchen Aufklärung kann der Patient in den ärztlichen Eingriff rechtswirksam einwilligen und einen gültigen Behandlungsvertrag schließen.“

 

Der Senat bezweifele, dass der Kl. gemessen an diesen Voraussetzungen ordnungsgemäß aufgeklärt wurde: „Insoweit fällt auf, dass die Aufklärungsbögen des Krankenhauses unerwähnt lässt, dass der Kl. mit der Behandlung durch eine systemische Chemotherapie eine herausragende Heilungschance hatte und er sich andererseits mit der lokoregionalen, rein abdominellen Chemoperfusion und -filtration dem Risiko einer Metastasierung in die Lungen hinein (und damit ggf. zusätzlich einer erforderlichen systemischen Chemotherapie) aussetzte. Angesichts des Umstandes, dass der Keimzellhumor mit den Mitteln der „Schulmedizin“ und auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung zu den bestbehandelbaren Tumoren gehört, wäre zu verlangen, dass hierauf auch angesichts der drohenden Kostenfolge für den Patienten gesondert eingegangen und dies auch zu Beweiszwecken dokumentiert wird. Das gilt noch deutlicher für die Gefahr der Metastasierung. Weiter erscheint es als nicht ganz fernliegend, dass bei dem Kl. der Eindruck hervorgerufen wurde, dass lediglich die Chemoperfusion und -filtration auf eine kurative Behandlung abzielte, während die systemische Chemotherapie nur eine palliative Behandlung bezweckte. Tatsächlich hätte jedoch auch die systemische Chemotherapie einen kurativen Ansatz verfolgt.“

 

Die Einwilligung des Kl., die dieser jeweils am Aufnahmetag mit Unterzeichnung des Aufklärungsbogens erteilte, könne zudem auch deshalb unwirksam sein, weil ihm keine ausreichende Bedenkzeit zwischen dem Aufklärungsgespräch über die Risiken des Eingriffs und der Entscheidung über die Einwilligung gemäß § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB eingeräumt worden sei: „Eine wohlüberlegte Entscheidung kann schon nach dem Wortlaut des § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB nur treffen, wer ausreichend Zeit zum Überlegen hat. Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung hat, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, kann nicht von einer wohl überlegten Entscheidung ausgegangen werden (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 25. November 2021 – 5 U 63/20 –, juris Rn. 50 […]). Sie wird vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben.“

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04.04.2023

Informationen

LSG Neustrelitz
Urteil/Beschluss vom 15.03.2022
Aktenzeichen: L 6 KR 47/17

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