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Aktuelles zum Verjährungsrecht - (Bloße) Vermutung von Behandlungsfehlern und Einschlafen der Verhandlungen

Sie bleibt im Personenschadensrecht ein Dauerthema – die Verjährung von Ansprüchen der Geschädigten. Ebenso wie in anderen Rechtsmaterien, die mit regelmäßig komplexen Fällen einhergehen und die im Vorfeld eines Prozesses intensiver Aufbereitung bedürfen, bilden bilde Beginn und Ende daher immer wieder kritische Punkte, die sorgsamer Beachtung bedürfen, wie die folgenden Fälle zeigen. Ist der Gläubiger arbeitsteilig organisiert, kommt es zudem darauf an, wessen Kenntnis genau innerhalb der Arbeitsstruktur verjährungsrechtlich maßgeblich ist. Was der BGH bereits vielfach für Versicherungen entschieden hat, hat er einmal mehr nun auch für die Arbeitsteilung innerhalb von Behörden deutlich gemacht.
 

1. (Bloße) Vermutung von Behandlungsfehlern und Einschlafen der Verhandlungen


Die besondere Komplexität von Arzthaftungssachen bildet im Verjährungspunkt einen an gleich mehrfach relevanten Punkt. Wie der folgende Fall deutlich macht, steht sie – neben dem Laienhorizont  des Patienten – nicht nur einer allzu strilkten Handhabung des Verjährungsbeginns entgegen, sondern gebietet umgekehrt auch für die Frage eines angessenen Reaktionszeitraums der Gegenseite eine zeitlich ausgedehntere Sichtweise.
 


Der Fall:


Das LG wies einen PKH-Antrag des Kl. für eine auf Geburtsfehler gestützte Klage wegen Verjährung zurück. Seine Mutter hatte sich 2017 mit der Vermutung eines Behandlungsfehlers an die AOK gewandt. Das dem Ast. mit Schreiben vom 24.5.2018 übersandte Gutachten wies ausdrücklich auf Sorgfaltsmängel bei der Geburt hin.
Mit Schreiben vom 1.12.2020 wandte sich der Kl. an die Haftpflichtversicherung der Ag., die durch Schreiben vom 14.1.2021 erklärte, auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich der zum 14.1.2021 noch nicht verjährten Ansprüche bis zum 31.12.2022 zu verzichten. Im Nachgang zu einem letzten Schreiben des Ast. vom 28.9.2021 blieb eine weitere Reaktion der Haftpflichtversicherung aus.
Gegenüber dem am 31.12.2023 eingegangen PKH-Gesuch beruft sich die Ag. auf Verjährung. Dem tritt der Ast. entgegen und behauptet ergänzend, sich durch Schreiben vom 5.9.2019 bereits an die Ag. selbst gewandt zu haben, die sich hierauf zuletzt am 23.9.2019 gemeldet habe.
 


Die Entscheidung des Gerichts:

 

Auch das OLG hat Erfolgsaussichen der Klage wegen anzunehmender Verjährung verneint.
 

1. Einen Verjährungsbeginn bereits vor Zugang des erstellten Gutachtens hat das Gericht allerdings verneint:
„Hinsichtlich ärztlicher Behandlungsfehler kann die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners nicht schon dann bejaht werden, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolges schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischer Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen. Für ärztliche Behandlungsfehler ist des Weiteren die Kenntnis des Abweichens vom medizinischen Standard oder des Unterlassens medizinisch gebotener Handlungen notwendig. In Anbetracht der Komplexität moderner medizinischer Behandlungsweisen richtet sich die Kenntnis des Gläubigers hierbei nicht nach wissenschaftlichen Kriterien. Es muss für den Patienten in seiner Parallelwertung in der Laiensphäre nur erkennbar sein, dass die Behandlung nicht lege artis durchgeführt wurde. Dazu müssen dem Patienten diejenigen Behandlungstatsachen positiv bekannt geworden sein, die – in Bezug auf den Behandlungsfehler – ein ärztliches Fehlverhalten und – mit Blick auf die Schadenskausalität – eine ursächliche Verknüpfung der Schadensfolge mit dem Behandlungsfehler bei objektiver Betrachtung nahelegen. Der ärztliche Standard ist dem Laien, mit Ausnahme grundlegender Behandlungsmethoden, meist unbekannt. Kenntnis von einem Abweichen von diesem Standard erwirbt der Patient daher häufig erst durch eine ärztliche Begutachtung des Schadens.“


Gemessen an diesen Grundsätzen habe die für die Voraussetzungen der Verjährung beweisbelastete Antragsgegnerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Antragstellerseite vor Übersendung des geburtshilflichen Gutachtens dargelegt: „Dass die Eltern des Antragstellers sich mit „konkreten Fehlervorwürfen“ bereits im Jahre 2017 an ihre Krankenkasse gewandt hätten […], lässt sich den Unterlagen nicht entnehmen. Aus dem von der Antragsgegnerin eingereichten Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 28.1.2021 […] ergibt sich lediglich, dass die Mutter des Antragstellers sich „mit der Vermutung eines Behandlungsfehlers“ im September 2017 an die AOK gewandt hatte. Dieses Schreiben wurde von keiner der Parteien vorgelegt. Es lässt sich also gerade nicht feststellen, dass die Mutter zu diesem Zeitpunkt bereits irgendeine hinreichend konkrete Vorstellung von einem ärztlichen Fehlverhalten und dessen Verknüpfung mit den eingetretenen Schäden hatte. Dies genügt für die Annahme einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen nicht. Dass die Eltern des Antragstellers dann im weiteren Verlauf vor Übersendung des Gutachtens detailliertere Kenntnisse über etwaiges ärztlichen Fehlverhalten erlangt hätten, behauptet auch die Antragsgegnerseite nicht.“
 

2. Ausgehend von der Übersendung des Gutachtens, sie als Verjährungsbeginn demnach der Ablauf des Jahres 2018 anzusetzen und unter Außerachtlassung jeglicher Verhandlungen die Verjährung mit Ablauf des 31.12.2021 eingetreten. Innerhalb dieser Frist habe der Antragsteller indessen den Lauf der Verjährung nicht wirksam gehemmt:
„Weder das Schreiben des Versicherers der Antragsgegnerin vom 14.1.2021, mit dem er erklärt hat, auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich der zum 14.1.2021 noch nicht verjährten Ansprüche bis zum 31.12.2022 zu verzichten […], noch die zwischen den Parteien geführten Verhandlungen führen dazu, dass die Klage vor Ablauf der Verjährung eingereicht worden wäre. Selbst wenn man – wie das LG zutreffend ausführt – von einer Rückwirkung der Klageeinreichung auf den Zeitpunkt des Eingangs des Prozesskostenhilfeantrags am 31.12.2023 beim LG ausgeht (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB), wäre zu diesem Zeitpunkt bereits die Verjährung eingetreten.“


Nach § 203 BGB hemmten ‚schwebende Verhandlungen‘ die Verjährung. Der Begriff sei weit auszulegen. Hierfür genüge jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, sofern nicht sofort und eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Verhandlungen schweben daher schon dann, wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt, die dem Geschädigten die Annahme gestatten, der Verpflichtete lasse sich auf die Erörterung über die Berechtigung von Schadensersatzansprüchen ein.


Vorliegen hätten die Verhandlungen mit erstmaliger Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Haftpflichtversicherer der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 1.12.2020 begonnen und den Eintritt der Verjährung zunächst gehemmt. Der Antragstellervertreter habe sich letztmalig indes mit Schreiben vom 28.9.2021 mit dem Versicherer der Bekl. in Verbindung gesetzt, indem er Schweigepflichtsentbindungserklärungen bei ihm einreichte: „Selbst wenn man hierin das Andauern eines ‚Meinungsaustauschs‘ im Sinne von Verhandlungen sehen würde, so wären diese danach endgültig eingeschlafen, denn die Antragstellerseite hat hiernach – ebenso wie die Antragsgegnerseite oder ihr Versicherer – bis zum Prozesskostenhilfeantrag vom 31.12.2023 keinerlei weitere Erklärungen mehr abgegeben. Nach § 203 Satz 1 BGB endet die Hemmung der Verjährung auch durch das Einschlafen der Verhandlungen. Das ist der Zeitpunkt, in dem spätestens eine Erklärung der jeweils anderen Seite - sei es des Gläubigers oder des Schuldners - zu erwarten gewesen wäre […]. Die Verjährungshemmung endet zu dem Zeitpunkt, zu dem unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben mit dem nächsten Verhandlungsschritt zu rechnen gewesen wäre […].


Angesichts des bereits vergangenen erheblichen Zeitraums ist auch unter Berücksichtigung der regelmäßig aufwändigen Aufarbeitung eines behaupteten Behandlungsfehlers ein Zeitablauf von einem weiteren halben Jahr, also sechs Monaten als angemessen anzusehen, innerhalb dessen der Antragsteller sich um eine Fortführung des Verfahrens bzw. der Verhandlungen hätte bemühen müssen um dem Gegner zu signalisieren, dass auf die Geltendmachung von Ansprüchen in Zukunft nicht verzichtet werde. Damit endete die am 1.12.2020 in Gang gesetzte Ablaufhemmung in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 BGB mit Ablauf des 28.3.2022. Da bis dahin 23 Monate der Verjährungsfrist bereits abgelaufen waren, standen dem Antragsteller noch weitere 13 Monate bis zum Ende der Verjährungsfrist zur Verfügung. Dies wäre der 28.4.2023 gewesen.“


Ob entsprechend der Auffassung des Antragstellers ein ‚Verhandeln‘ im Sinne des § 203 BGB auch bereits in Korrespondenz zwischen dem Antragstellervertreter und der Antragsgegnerin am 5.9.2019 und 23.9.2019 gesehen werden könne, könne vor diesem Hintergrund offenbleiben: „Denn auch dann wäre spätestens nach Ablauf von 6 Monaten nach dem letztmaligen Schreiben der Antragsgegnerin vom 23.9.2019 von einem „Einschlafen“ der Verhandlungen auszugehen, siehe oben. Die - unterstellt - am 5.9.2019 in Gang gesetzte Hemmung wäre zum Ablauf des 23.3.2020 geendet und hätte damit 6 Monate und 18 Tage umfasst. Dann wäre Verjährung nicht bereits am 28.4.2023, sondern erst am 15.11.2023 eingetreten. Die Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs am 31.12.2023 wäre ebenfalls in verjährter Zeit erfolgt. Wegen des von der Gegenseite nur bis zum Ende des Jahres 2022 erklärten Verzichts auf die Einrede der Verjährung durfte die Antragsgegnerin auch die Einrede der Verjährung erheben.“
 

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13.10.2025

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 13.02.2025
Aktenzeichen: 4 W 466/24

Fachlich verantwortlich

Prof. Dr. Patrick Gödicke RiBGH

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