Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Impfärzte nicht passivlegitimiert?

Schadensrechtlich sicher für den größten Paukenschlag hat das OLG Saarbrücken gesorgt, als es sich in einer erstinstanzlich mit anderer Blicktrichtung entschiedenen Sache vorrangig mit der Frage der Passivlegitimation von Impfärzten bei staatlich veranlasster Impfversorgung der Bevölkerung beschäftigt hat.

 

Der Fall:

 

Die Kl. verlangt Schadensersatz nach infolge Einwilligungsmangel rechtswidriger Impfungen gegen Covid19 am 16.1. und 6.2.2021. Auf ein ärztliches Aufklärungsgespräch habe sie nicht verzichtet, angesichts in ihrer Arbeitsstelle seinerzeit 250 parallel durchgeführter Impfungen habe sie zuvor aber auch keine hinlänglich Gelegenheit mehr zu einem Aufklärungsgespräch erhalten.

Während das LG das pandemiebedingte Aufklärungssetting für ausreichend erachtete, stand für das OLG die Frage im Zentrum, ob die – in einem mobilen, an ein Impfzentrum angegliederten Impfteam tätige – Impfärztin überhaupt passivlegitimiert oder ihre persönliche Haftung nach Art. 34 GG ausgeschlossen sei.

 

Die Entscheidung des Gerichts:


Nach Auffassung des Senats hat die Bekl. mit der Vornahme von Corona-Impfungen eine hoheitliche Aufgabe wahrgenommen:
In Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes gemäß Art. 34 Satz 1 GG könnten nicht nur Beamte, sondern auch Privatpersonen tätig werden. Dies setze allerdings voraus, dass der Handelnde eine eigentlich einem Hoheitsträger obliegende öffentliche Aufgabe erledige, mit deren Durchführung er außerhalb staatlicher Organisation betraut worden sei. Ob das Handeln einer Privatperson als hoheitliches Handeln einzustufen sei, hänge vom Charakter der wahrgenommenen Aufgabe, der Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe und dem Grad der Einbindung der handelnden Privatperson in den staatlichen Pflichtenkreis ab. Die Tätigkeit müsse in engem äußeren wie inneren Zusammenhang zu der öffentlichen Zielsetzung stehen.
Das Verimpfen von Corona-Impfstoffen im Rahmen der nationalen Impfstrategie durch hierzu beauftragte Ärzte sei als solche hoheitliche Tätigkeit zu qualifizieren:


„(1) Der Staat hatte es sich im Rahmen einer breit angelegten Impfkampagne sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene zum Ziel gesetzt, durch möglichst flächendeckende Impfung der Bevölkerung die weltweit grassierende Corona-Pandemie einzudämmen. In diesem Zusammenhang forderten sowohl die Bundes- als auch die Landesregierung die Bevölkerung der Empfehlung der STIKO des RKI folgend (§ 20 Abs. 2a, 3 IfSG) auf, sich zum eigenen Schutz sowie zum Schutze der Allgemeinheit gegen Corona impfen zu lassen, wobei die Regierungen nach Konsultation von Expertengremien davon ausgingen, dass die Impfung bei der Eindämmung der Pandemie und insbesondere bei der Reduzierung von Todesfällen sowie schweren Krankheitsverläufen helfen könne. Der Staat warb auf seinen Homepages sowie mit Flyern und unter anderem von der Bundesregierung herausgegebenen Infoblättern für die Impfung. Die Landesregierung Baden-Württemberg unterhielt auf ihrer Homepage eine ständig aktualisierte Informationsseite mit Links zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und dem RKI sowie einem FAQ-Bereich.


(2) Es wurde sodann ein Rechtsanspruch auf die Corona-Schutzimpfung geschaffen. Nachdem zuvor das Vorliegen einer epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt worden war, wurde mit § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a) SGB V in der ab dem 19.11.2020 gültigen Fassung das BMG unter anderem dazu ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Versicherte Anspruch auf bestimmte Schutzimpfungen haben, auf eine Corona-Schutzimpfung insbesondere bei besonderer Vulnerabilität. Mit der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) vom 18.12.2020 wurde dieser Rechtsanspruch sodann umgesetzt.


(3) Zur Erfüllung dieses gesetzlichen Anspruchs und insbesondere zur flächendeckenden Pandemiebekämpfung durch die staatlich geförderte Impfkampagne wurden zunächst ‘von den Ländern oder im Auftrag der Länder‘ Impfzentren eingerichtet und mobile Impfteams gebildet (§ 6 Abs. 1 CoronaImpfV in der Ursprungsfassung), die in Einrichtungen wie etwa Pflegeheimen Corona-Schutzimpfungen vornahmen. Hierfür wurden insbesondere niedergelassene und pensionierte Ärzte herangezogen. Später konnten auch ‚beauftragte Arztpraxen‘ (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. c) CoronaImpfV vom 31.03.2021) den Rechtsanspruch nach § 1 CoronaImpfV erfüllen, b Ende 2021 waren sogar Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte zur Durchführung von Impfungen befugt. Der Gesetzestext lautet diesbezüglich, dass die Impfleistungen unter anderem erbracht wurden ‚durch Arztpraxen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen […und durch] beauftragte Arztpraxen, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen‘. Im Referentenentwurf des BMG hierzu heißt es: ‚Durch die immer besser werdende Verfügbarkeit der Impfstoffe ist es möglich, nunmehr auch Arztpraxen mit der Durchführung der Schutzimpfungen zu beauftragen. […] Eine flächendeckende Verimpfung durch Arztpraxen, also der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und der ambulant privatärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzten, sowie der Betriebsärztinnen und -ärzte wird ermöglicht. Arztpraxen und Betriebsärztinnen und -ärzte können Schutzimpfungen erbringen, wenn sie damit beauftragt sind. Die Beauftragung erfolgt durch die Zurverfügungstellung des Impfstoffs. Im Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 3. März 2021 ist der Übergang in die nächste Phase der Nationalen Impfstrategie vorgesehen. In dieser Phase sollen die haus- und fachärztlichen Praxen, die in der Regelversorgung routinemäßig Schutzimpfungen anbieten, umfassend in die Impfkampagne eingebunden werden.


(4) Die Beschaffung des den Praxen zur Verfügung gestellten Corona-Impfstoffs erfolgte durch den Bund, die Kosten der Impfungen wurden durch den Staat getragen. In § 9 CoronaImpfV wurden Vergütungsvorgaben aufgenommen, die Vergütung wurde über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet und aus Bundesmitteln refinanziert (vgl. vorzitierter Referentenentwurf des BMG).


(5) Nach § 218g Abs. 3 SGB VII waren zunächst nur Ärzte, später auch andere Impfberechtigte, die in Impfzentren oder mobilen Impfteams tätig waren, von der Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung befreit. Dies erfolgte "zur Absicherung des Engagements von Ärztinnen und Ärzten, die im Interesse des Allgemeinwohls und zum Schutz von Leben und Gesundheit in der aktuellen, durch das Coronavirus SARSCoV-2 verursachten pandemischen Lage in Impfzentren oder einem mobilen Impfteam tätig werden" (BT-Drucksache 19/26249, Seite 93; vgl. auch Schlaeger in: BeckOK Sozialrecht, 72. Edition, § 218g SGB VII Rn. 11).“
Auch die Bekl. habe bei der Vornahme der Impfungen eine hoheitliche Aufgabe wahrgenommen:
„(1) Dabei ist davon auszugehen, dass die Bekl. - wie sie in erster Instanz vorgetragen hat (Bl. 67 d.eA. LG) - im Rahmen eines an ein Impfzentrum angegliederten mobilen Impfteams tätig geworden ist. Zwar hat die Kl. dies mit Nichtwissen bestritten. Die Bekl. hat jedoch mit Schriftsatz vom 19.07.2022 (Bl. 87 d.eA. LG) ‚sämtliche Behandlungsunterlagen‘ zu der Impfkampagne […] vorgelegt. Daraus geht hervor, dass die streitgegenständlichen Corona-Impfungen dort durch ein ‚Mobiles Impfteam (MIT)‘ des ‚Zentralen Impfzentrums (ZIZ) […]‘ durchgeführt wurden (Bl. 16 f. Anlagenheft Bekl.). Hieran besteht kein vernünftiger Zweifel. Die Impfzentren waren vom Land Baden-Württemberg oder in dessen Auftrag eingerichtet (§ 6 Abs. 1 CoronaImpfV in der Ursprungsfassung), dort tätige Impfärzte nahmen unzweifelhaft öffentliche Aufgaben wahr. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sie im Interesse des Allgemeinwohls zur Sicherung einer funktionierenden Pandemiebekämpfung von der Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung befreit waren.
(2) Im Übrigen wurden aber auch zur Durchführung der nationalen Impfkampagne hinzugezogene niedergelassene Ärzte hoheitlich tätig, indem sie zum Zwecke der flächendeckenden Impfung der Bevölkerung durch die zuständigen Behörden gemäß § 20 Abs. 5 Satz 2 IfSG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. c) CoronaImpfV (Fassung vom 31.03.2021) mit auf staatliche Veranlassung unentgeltlich durchzuführenden Schutzimpfungen beauftragt wurden, wobei die Beauftragung der Arztpraxen nach dem der Coronavirus-Impfverordnung vorausgehenden Referentenentwurf des BMG durch Zurverfügungstellung des durch den Staat und auf Staatskosten beschafften Impfstoffs erfolgte.“
Wenn die Staatshaftung eingreife, sei allein Haftender aber der Staat, dessen Aufgabe durch die hoheitlich tätige Privatperson erfüllt wurde. Die Klage sei somit bereits mangels Passivlegitimation abzuweisen.

 

 

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Informationen

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Aktenzeichen: 1 U 34/23

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