Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Prozessbezogenheit außergerichtlicher Sachverständigenkosten

Werden Sachverständigengutachten bereits außergerichtlich eingeholt, knüpfen hieran nicht nur Pflichten des Gerichts an, sich mit deren Inhalt insbesondere dann auseinanderzusetzen, wenn er gegenüber dem gerichtlichen Gutachten Fragen aufwirft oder gar Widersprüche aufweist. Auf Kostenebene stellt sich vielmehr regelmäßig die Frage, ob der Kl. sie im Rahmen der Kostenfestsetzung geltend machen kann, wofür im Rahmen der Prozessbezogenheit entscheidend danach zu fragen ist, ob bei ihrer Einholung bereits Klage angedroht war. Sachdienlich sind entsprechende Kosten aufgrund des Laienstatus des Patienten hingegen regelmäßig.

 

Der Fall:

Das Verfahren über eine Schadensersatzklage wegen einer fehlerhaft behandelten Knieverletzung beendeten die Parteien durch einen Vergleich, in dessen Nachgang der Kl. im Rahmen der Kostenfestsetzung auch die Erstattung vorgerichtlicher Privatgutachterkosten verlangt. Dies lehnt die zuständige Rechtspflegerin ab, da die Kosten bereits vor Einreichung der Klageschrift entstanden und somit Bestandteil der Klageforderung gewesen seien.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Die sofortige Beschwerde des Kl. war teilweise erfolgreich: „Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind die dem Gegner erwachsenen Kosten nur insoweit zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Notwendige Kosten sind nur solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Dabei ist auf den Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahme (ex ante) abzustellen. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise auch die Kosten für die Einholung eines auch vorprozessual erstatteten Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind […]. Zwar werden dem Rechtspfleger dadurch für ein Kostenfestsetzungsverfahren außergewöhnliche Prüfungen auferlegt. Da sich die Erstattungsfähigkeit nach einer seit Jahrzehnten gefestigten Rechtsprechung richtet und nicht vom Ergebnis oder der Überzeugungskraft der Begutachtung noch von Verlauf und Ausgang des Prozesses abhängen, geht mit dieser außergewöhnlichen Prüfung keine Überbeanspruchung des Kostenfestsetzungsverfahrens einher“.

 

Unmittelbar prozessbezogen seien Gutachterkosten allerdings nur dann, wenn sich das Gutachten auf den konkreten Rechtsstreit beziehe und gerade mit Rücksicht auf diesen beauftragt worden sei: „Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig [...]. Umgekehrt ist dann, wenn die Gutachtenbeauftragung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Klage bereits angedroht war, naheliegend, dass das Gutachten auch die Position des Auftraggebers im angedrohten Rechtsstreit stützen soll. Mit dem Erfordernis der unmittelbaren Prozessbezogenheit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Anspruchsberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen“.

 

1. Die vorgenannten Grundsätze im Blick, lasse sich eine unmittelbare Prozessbezogenheit der Kosten für das orthopädisch-traumatologische Gutachten nicht feststellen. Zwar habe der Kl. es verwendet, um ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Bekl. zu begründen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens habe sich jedoch ein Rechtsstreit mit den Bekl. noch nicht hinreichend konkret abgezeichnet, sodass es an der unmittelbaren Prozessbezogenheit fehle. Der von dem Kl. vorgelegte Schriftverkehr seiner Bevollmächtigten mit dem Haftpflichtversicherer habe der außergerichtlichen Klärung des Sachverhalts gedient. Eine Klageandrohung durch den Kl. sei erst nach Vorliegen des Gutachtens erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt seien die Gutachterkosten jedoch bereits entstanden. Unerheblich für eine unmittelbare Prozessbezogenheit des Gutachtens sei die von dem Klägervertreter vorgelegte Prozessführungsvollmacht, da diese hinsichtlich der Parteien kein konkretisiertes Rechtsverhältnis aufführe.

 

2. Hingegen seien die Kosten des weiteren vorgerichtlichen fachärztlichen Gutachtens zu berücksichtigen, da zum Zeitpunkt seiner Erstellung bereits mehrfach ein Prozess angedroht gewesen sei. Die für die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten weiter erforderliche Sachdienlichkeit der Hinzuziehung eines Privatsachverständigen sei ebenfalls zu bejahen. Sachdienlich ist die Hinzuziehung insbesondere dann, wenn die Partei ohne die Einholung des Privatgutachtens infolge fehlender Sachkenntnis zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage wäre. Hiervon sei bei dem Kl. als medizinischen Laien hinsichtlich der Beurteilung der ärztlichen Behandlung der Bekl. und möglicher Verletzungen des fachärztlichen Standards auszugehen:

 

„Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozess mit geringen Substantiierungsanforderungen an den Geschädigtenvortrag und der gesteigerten Aufklärungspflicht durch das Gericht […] handelt es sich um einen Zivilprozess. Zur sachgerechten Vorbereitung und Darlegung im Prozess - insbesondere bei sich vorprozessual wie vorliegend bereits abzeichnende Einwendungen der Bekl. gegen die fachmedizinische Bewertung - kann sich der Kl. der Inanspruchnahme gutachterlicher Expertise bedienen. Hierzu kann er auch nicht auf die kostenfreie Möglichkeit der - regelmäßig auf eine außergerichtliche Streitbeilegung gerichtete - Begutachtung durch den MDK oder einer Schlichtungsstelle verwiesen werden.

 

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06.02.2024

Informationen

OLG Jena
Urteil/Beschluss vom 19.01.2023
Aktenzeichen: 7 W 274/22

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