Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Erstellung des medizinischen Sachverständigengutachtens - Zuarbeitung durch Dritte

Im Personenschadensprozess Dreh- und Angelpunkt jeder Entscheidung, ist von vornherein auf die Beauftragung, Erstellung und Kontrolle des medizinischen Sachverständigengutachtens entscheidendes Augenmerk zu richten, bevor vermeidbare Fehler auftreten und - noch schlimmer - übersehen werden.

 

 

 

„Aufgrund eigener Urteilsfindung“ - und wie auch immer die Überschriften unter den Unterschriften formuliert werden: rechtlich ausreichend, um der Pflicht zur persönlichen Erstattung des Gutachtens (§ 407a Abs. 3 ZPO) zu genügen?

a)    entscheidende eigene Untersuchungen

Der Fall:

Das LG wies die auf Schadensersatz nach drei Operationen am linken Bein der Kl. nach Anhörung der Parteien, Einholung eines orthopädisch-chirurgischen und eines weiteren anästhesiologischen Gutachtens die Klage ab. Schon aus formalen Gründen hätte eines der beiden Gutachten nicht verwertet werden dürfen, weil der Sachverständige es nicht höchstpersönlich erstellt habe.

Die Entscheidung des Gerichts:

Dem erteilte das OLG eine Absage:

„Das Gutachten des Sachverständigen […] ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der höchstpersönlichen Gutachtenerstellung nach § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO unverwertbar. Nach § 407 a Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die Zuziehung von Gehilfen für unterstützende Dienste nach Weisung und unter Aufsicht des Sachverständigen erlaubt, solange die wissenschaftliche Auswertung der Arbeitsergebnisse durch den Sachverständigen selbst sichergestellt ist […]. Die Verpflichtung zur höchstpersönlichen Gutachtenerstattung schließt demnach weder aus, dass der Sachverständige - in einem seine Gesamtverantwortlichkeit nicht in Frage stellenden Umfang - Gehilfen hinzuzieht noch ergeben sich hieraus allgemein gültige Regeln für den Einsatz solcher Mitarbeiter, so dass diesen auch wichtige Abschnitte der gutachterlichen Untersuchungen übertragen werden dürfen. Die Grenze ist erst dann überschritten, wenn der Sachverständige selbst die Arbeiten nicht mehr überschaut und auch die wissenschaftliche Auswertung und Gesamtbeurteilung der Ergebnisse dem Gehilfen überlässt oder dazu nicht mehr in der Lage ist“.

Einen Grundsatz, wonach der Sachverständige das Gutachten selbst zu diktieren oder gar höchstpersönlich schriftlich abzufassen habe, gebe es nicht: „Vorliegend hat der Sachverständige […] bereits in erster Instanz dargelegt, mit der von ihm als Mitarbeiterin offengelegten Oberärztin […] vor Erstellung des Gutachtens gemeinsam die Akten durchgesehen zu haben; anschließend habe er selbst zu den entscheidenden Punkten Untersuchungen durchgeführt und in das Gutachten einfließen lassen. Den von Frau […] formulierten Entwurf habe er sodann gelesen, korrigiert und ergänzt. Dieses Prozedere hat er nach eigenen Schilderungen auch bei der Erstellung des Ergänzungsgutachtens im Berufungsverfahren eingehalten. Der Höchstpersönlichkeit stünde vor diesem Hintergrund auch nicht entgegen, wenn die Angabe der Kl. zuträfe, bei ihrer ersten gutachterlichen Untersuchung im Jahre 2017 habe der Sachverständige lediglich am Ende der durch die Oberärztin […] durchgeführten Untersuchung einmal kurz mit ihr gesprochen, ein eigentliches Gutachtengespräch habe es aber mit dem Sachverständigen nicht gegeben. Entscheidend ist vielmehr, dass der Gutachter die der Gutachtenerstellung vorausgehende Befunderhebung selbst überschaut und für die wissenschaftliche Auswertung und Gesamtbeurteilung aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt.“

So liege der Fall hier: „Der Sachverständige hat persönlich sowohl in erster als auch in zweiter Instanz ausführlich die schriftlichen Gutachten verteidigt und wissenschaftlich vertieft begründet. Zweifel hieran ergeben sich nicht daraus, dass dem Sachverständigen in bei seiner Anhörung vor dem Senat der komplette Akteninhalt insoweit nicht mehr gegenwärtig war, als er sich zunächst nicht daran erinnern konnte, dass der von ihm diskutierte mikrobiologische Befundbericht zwar nicht bei den Behandlungsunterlagen, sondern bei den im Nachgang beklagtenseits vorgelegten Unterlagen aufzufinden war. Es würde eine nicht zu erfüllende Anforderung an den Sachverständigen darstellen, würde man von ihm verlangen, sich bei der mündlichen Verteidigung seines Gutachtens auswendig an den kompletten - hier immerhin über 400 Seiten umfassenden - Akteninhalt im Einzelnen zu erinnern. Entscheidend ist, dass ihm der gesamte Sachverhalt auf Nachfrage präsent war und er hierzu wissenschaftlich begründet seine Meinung vertreten konnte. Der Senat hat auch im Ergebnis dieser Anhörung keinen Zweifel, dass der Sachverständige die Vorarbeiten maßgeblich ausgeführt und inhaltlich vorgeprägt und lediglich medizinische und redaktionelle Vorarbeiten auf Frau […] übertragen hat.“

OLG Dresden 10.11.2020 – 4 U 255/20

b)    Übernahme der Verantwortung ausreichend?

Der Fall:

Auch im nächsten Fall rügte der Kl. erfolglos, der Sachverständige habe das Gutachten nicht selbst erstellt, sondern durch einen Oberarzt, und somit gegen seine Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstellung gem. § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO.

Die Entscheidung des Gerichts:

Der Sachverständige dürfe sich bei der Gutachtenerstattung der Hilfe von - namhaft gemachten - Mitarbeitern bedienen, soweit damit die Eigenverantwortlichkeit des Sachverständigen für das Gutachten nicht in Frage gestellt wird: „Die Vorschrift erlaubt dem Sachverständigen, sich zur Erledigung des Gutachtenauftrags anderer Personen - auch anderer Ärzte - zu bedienen. Die Mitwirkung derartiger Personen muss allerdings so gestaltet sein, dass sie die persönliche Verantwortung des vom Gericht ausgewählten Sachverständigen nicht ausschließt. In diesen Grenzen bleibt die Art und Weise, wie der Sachverständige sich seine Erkenntnisquellen verschafft, seinem Ermessen überlassen […]. So ist die wissenschaftliche Auswertung der Arbeitsergebnisse zwar Aufgabe des Sachverständigen […]. Andererseits setzt die wissenschaftliche Auswertung aber nicht voraus, dass diese erstmals durch den Sachverständigen geschieht. Vielmehr kann auch sie in zulässigem Rahmen vorbereitet werden. In diesem Fall genügt es, wenn der Sachverständige in hinreichendem Maße erklärt, dass er die Auswertung selbst nachvollzogen habe und sich zu eigen mache“.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Sachverständige nicht hinreichend über eigene Erkenntnisse verfüge, das Gutachten nicht selbst erstellt und die Verantwortung für seinen Inhalt nicht aufgrund eigener Prüfung übernommen habe: „Er hat das schriftliche Gutachten eigenhändig mit dem Vermerk ‚Auf Grund eigener Urteilsfindung‘ unterzeichnet und damit seine Urheberschaft dokumentiert […]. Eine eigenverantwortliche Ausarbeitung und Übernahme der Urheberschaft ergibt sich auch aus seinen Angaben im Termin […]. Denn nachdem das Gutachten von dem vom Sachverständigen mit der Ausarbeitung betrauten und sehr erfahrenen Oberarzt Dr.  […]in einem Referat vor allen Oberärzten vorgestellt und besprochen wurde, hat der Sachverständige Prof. Dr.  […] eine Vorformulierung erhalten, wobei er regelmäßig selbst Korrekturen anbringt, bevor das Gutachten das Haus verlässt. Der Sachverständige hat das Gutachten auch persönlich auf Antrag des Kl. im Termin  […] erläutert und sich dabei erneut eindeutig zu seiner Urheberschaft bekannt“.

Der Kl. habe anschließend zudem in Kenntnis des Gutachtens streitig zur Sache verhandelt, ohne einen Verstoß gegen § 407a ZPO zu rügen.

 

 

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31.12.2021

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 10.11.2020
Aktenzeichen: 4 U 255/20

Vorinstanzen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 05.10.2020
Aktenzeichen: 4 U 1725/20

Fachlich verantwortlich

Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

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