Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Voll beherrschbare Haftung? - Hygiene

Voll beherrschbare medizinische Risiken führen rasch zur Haftung, da nun gem. § 630h Abs. 1 BGB bereits eine Pflichtverletzung des Arztes vermutet wird. Umso kritischer bleibt die Einordnung eines Risikos als voll beherrschbar, umso aufmerksamer aber auch der Blick auf Fallkonstellationen, inwieweit ein voll beherrschbares Risiko als Schadensquelle überhaupt in Betracht zu ziehen ist.

 

 

 

 

 

Ein Dauerbrenner voll beherrschbarer Risiken bleiben schließlich Hygienemängel, die nach der Rspr. des BGH zwar voll beherrschbar sind, bei denen sich jedoch regelmäßig die Frage stellt, ob sie überhaupt aus dem seitens der Bekl. zu beherrschenden Bereich stammen – oder nicht insbesondere der Patient selbst Keimträger war. Die bekanntermaßen vom VI. Zivilsenat besonders stark herabgesetzten Darlegungsanforderungen, denen letztlich bereits Genüge getan ist, wenn der Kl. behauptet, dass der Schaden infolge eines unzureichenden Hygienemanagements aufgetreten ist, versucht die Rspr. freilich immer wieder einen Riegel vorzuschieben.

 

 

 

Der Fall:

Der Kl. begehrt von den Bekl. Schadensersatz aufgrund einer nach seiner Behauptung fehlerhaften Behandlung im Krankenhaus der Bekl. zu 1 in der Zeit vom 06.05. bis zum 15.05.2014. Der Kl., der als Berufskraftfahrer von Viehtransporten berufsmäßig direkten Kontakt zu den von ihm zu transportierenden Nutztieren hatte, wurde am 06.05.2014 notfallmäßig in der Notfallambulanz der Bekl. zu 1 aufgenommen, wo er zunächst vom Bekl. zu 2 behandelt wurde. Noch am gleichen Tage nahm der Bekl. zu 3 bei dem Kl. eine Gastroskopie vor. Am 09.05.2014 nahm der Bekl. zu 4 eine Laparotomie vor, bei der sich intraoperativ eine gedeckte Perforation im Jejunum mit Oberbauchperitonitis (Darmdurchbruch) ergab. Ein am 09.05.2014 veranlasster Abstrich im Rachen- und Nasenbereich ergab eine mäßige Besiedlung mit Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA-Erreger).

Der Kl. wirft den Bekl. einen schuldhaften Verstoß gegen Hygienemaßnahmen vor, wodurch es zu der Besiedlung mit MRSA-Erregern im Krankenhaus der Bekl. zu 1 gekommen sei. So sei – unstreitig – bei der Aufnahme des Kl. ein MRSA-Screening nicht vorgenommen worden, obwohl der Kl. als Patient, der regelmäßig Kontakt zu landwirtschaftlichen Nutztieren habe, als Risikopatient anzusehen sei. Darüber hinaus seien die Gastroskopie und die Laparotomie fehlerhaft durchgeführt worden. Ferner macht der Kl. die Verletzung von Aufklärungspflichten geltend.

 

 

 

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das genügte aus Sicht des OLG nicht den anzulegenden Darlegungsanforderungen: „Zwar sind an den Vortrag des Patienten insoweit nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes genügt es, wenn der beweisbelastete Patient Vortrag hält, der die Vermutung eines Hygienefehlers der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für ihn gestattet […]. Im Streitfall lässt der Vortrag des Kl. die Vermutung eines Hygienefehlers jedoch gerade nicht zu, da er sich darauf beschränkt, dass bei ihm bei Aufnahme in das Krankenhaus der Bekl. zu 1 ein Befall mit dem Erreger noch nicht vorgelegen habe. Dies reicht jedoch gerade nicht aus. Auch in den zitierten BGH-Entscheidungen ging der Kl.ische Vortrag darüber hinaus, indem dort vorgetragen wurde, es seien durchgängig Hygieneverstöße zu beobachten gewesen bzw. Hygienemängel hätten zu einer Infektion und nachfolgend zu einem Harnwegsinfekt und einer Pilzinfektion geführt. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Konkrete gesundheitliche Folgen, die den Schluss auf eine Infektion im Krankenhaus der Bekl. zu 1 zuließen, sind beim Kl. gerade nicht eingetreten.“

Dass dies mit den Grundsätzen des VI. Zivilsenats schwerlich in Einklang zu bringen ist, da sich dem Patienten als medizinischen Laien die näheren medizinischen Zusammenhänge nicht erschließen und er sich entsprechendes Fachwissen weder anzueignen noch hierauf gestützten Sachvortrag zu leisten hat. Auch von seiner hiergegen gerichteten Stellungnahme des Kl. ließ sich das OLG indes nicht abbringen, stützte seine Entscheidung nun aber ergänzend auf die Unklarheit einer möglichen Präinfektion: „Denn im vorliegenden Fall besteht die ernsthaft in Betracht kommende Möglichkeit, dass sich der Kl. die Besiedlung bereits vor Beginn der Behandlung während seiner Berufsausübung zugezogen hat. Der gerichtliche Sachverständige hat dies sogar für wahrscheinlicher gehalten als ein Befall im Krankenhaus der Bekl. zu 1. Es steht daher bereits nicht fest, dass der Kl. bei der Aufnahme in der Klinik der Bekl. zu 1 nicht schon mit dem Keim befallen war und er sich diesen nur wegen einer mangelhaften Hygiene im Krankenhaus zugezogen haben kann. Auch ein Anscheinsbeweis zugunsten des Kl. dahingehend, dass er sich die Besiedlung mit MRSA-Keimen in der Klinik zugezogen hat, kommt aus diesem Grunde nicht in Betracht. Insoweit liegt der hier zu beurteilende Fall anders als in den Fällen, die Grundlage der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs waren.“

Selbst wenn man jedoch den Vortrag des Kl. ausreichen ließe, um eine sekundäre Darlegungslast der Bekl. auszulösen, hätten die Bekl. ihrer sekundären Darlegungslast durch Vorlage der Hygienepläne genügt: „Der Sachverständige hat die Hygienepläne ausgewertet und einen Verstoß nicht feststellen können. Diese entsprächen auch dem zum Zeitpunkt der Behandlung des Kl. erforderlichen Standard. Zwar sahen die Hygienepläne nicht vor, dass Personen, die mit Tieren der Landwirtschaft ständig im Kontakt sind, auf MRSA zu screenen sind. Dies hat sich jedoch für den Kl. nicht ursächlich ausgewirkt, da dem Bekl. zu 2 und dem übrigen Klinikpersonal gerade nicht bekannt gemacht worden war, dass es sich bei dem Kl. um einen Risikopatienten handelt.“

Jedenfalls aber fehle es überdies an einem nachweislich verursachten Schaden: „Schließlich ist auch die Feststellung des Landgerichts, der Kl. habe einen gesundheitlichen Schaden aus dem Befall mit MRSA-Erregern nicht dargelegt, nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen des Sachverständigen lag eine MRSA-Infektion beim Kl. zu keinem Zeitpunkt vor. 20-30 % der Bevölkerung sind dauerhaft mit Staphylococcus aureus kolonisiert. Einer solchen Besiedlung kommt per se keine pathogene Bedeutung zu. Zwar kann durch Staphylococcus aureus unter bestimmten Voraussetzungen eine Vielzahl von Infektionen hervorgerufen werden. Derartige Infektionen sind beim Kl. jedoch nicht aufgetreten. Selbst wenn in Zukunft solche Infektionen auftreten sollten, kann nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden, dass sich im Nachhinein eine Neubesiedlung eingestellt hat, so dass eine etwaige zukünftige Infektion nicht auf einen etwaigen Hygieneverstoß im Krankenhaus der Bekl. zu 1 zurückgeführt werden kann. Im Übrigen haben beide Sachverständige festgestellt, dass die Besiedlung mit dem MRSA-Erreger keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Behandlung im Krankenhaus der Bekl. zu 1 gehabt hat.

 

 

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31.10.2022

Informationen

OLG Brandenburg
Urteil/Beschluss vom 14.07.2021
Aktenzeichen: 12 U 11/21

Fachlich verantwortlich

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