Per Theobaldt, M.A. FA f. SozR, FA f. ArbR u. FA f. HGR

SGB III: Arbeitslosengeld nach Altersteilzeit

Mit Urteil vom 12.9.2017 – B 11 AL 25/16 R – hat das BSG entschieden, dass eine Sperrzeit grundsätzlich nicht eintritt, wenn sich ein Kunde nach dem Ende seiner Altersteilzeit arbeitslos meldet. 

 


Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines wichtigen Grundes ist ausschließlich der Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung. Liegt der wichtige Grund zu diesem Zeitpunkt vor, weil ein nahtloser Übergang in eine Altersrente möglich war, bleibt dieser Grund auch dann bestehen, wenn sich der Kunde nachträglich umentscheidet und sich nach dem Ende der Altersteilzeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz muss sich der wichtige Grund nicht „perpetuieren“ und er entfällt auch nicht rückwirkend. Einem späteren (d. h. nach dem Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung erfolgten) Verhalten kommt für die Frage, ob der Kunde für sein Verhalten einen wichtigen Grund hatte, keine Bedeutung mehr zu. In Abstimmung mit dem BMAS war eine Konkretisierung gegenüber der Sofortweisung 12/2017 geboten, um einer ggf. systematischen Ausnutzung der Regelung vorzubeugen. Erforderlich ist demnach die Absicht des Arbeitnehmers, nach der Freistellungsphase nahtlos aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Diese Absicht muss auf objektive Anhaltspunkte gestützt sein. Die Formulierung „insbesondere“ soll verdeutlichen, dass eine schriftliche Dokumentation über eine rentenrechtliche Beratung nicht in jedem Fall zwingend erforderlich ist. Kann eine solche nicht vorgelegt werden, z. B. weil die Beratung mündlich erfolgte oder der Kunde sich anderweitig über die rentenrechtliche Situation informierte, ist die Glaubhaftmachung anhand der allgemeinen Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast des wichtigen Grundes zu beurteilen.

 


Aus den Gründen:

Ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung, der einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe entgegensteht, entfällt nicht dadurch, dass entgegen der ursprünglichen, anhand objektiver Anhaltspunkte prognostisch belegten Absicht unmittelbar nach der Altersteilzeit keine Altersrente, sondern zunächst Arbeitslosengeld in Anspruch genommen wird.

    

Im Falle der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Altersteilzeitvertrag hat der 7. Senat des BSG mit Urteil vom 21.7.2009 (B 7 AL 6/08 R – BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 § 144 Nr. 18) diese Rechtsprechung konkretisiert. Ein Arbeitnehmer kann sich auf einen wichtigen Grund berufen, wenn er bei Abschluss der Vereinbarung beabsichtigt, nahtlos von der Freistellungsphase der Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln, und eine entsprechende Annahme prognostisch gerechtfertigt ist. 

 


Die Beurteilung des künftigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist dabei abhängig von der rentenrechtlichen Situation und davon, ob bzw. wie er diese unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Nachfragen bei sachkundigen Stellen eingeschätzt hat. Dieser Rechtsauffassung, die in der Literatur einhellige Zustimmung erfahren hat (vgl. z. B. Gagel, jurisPR-SozR 26/2009 Anm. 2; Rolfs/Heikel, SGb 2010, 307, 307 f; Schlegel in Küttner, Personalbuch, 24. Aufl. 2017, Stichwort „Altersteilzeit“ Rn. 42; Vogelsang in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Aufl. 2015, § 84 Rn. 2), tritt der erkennende Senat bei.

Für sie spricht – wie bereits der 7. Senat in dem vorbezeichneten Urteil eingehend dargetan hat – der Sinn und Zweck des Altersteilzeitgesetzes (hier in der bis zum 28.12.2007 gültigen Fassung vom 23.12.2003, BGBl I 2848). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Altersteilzeit das Ziel verfolgt, die Praxis der Frühverrentung durch eine neue, sozialverträgliche Möglichkeit eines gleitenden Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand (Altersteilzeitarbeit) abzulösen. Es war das erklärte Ziel des Gesetzgebers, der Frühverrentungspraxis unter Nutzung des damals rechtlich möglichen vorgezogenen Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken und die Sozialversicherung – insbesondere die Arbeitslosenversicherung – durch die Einführung der Altersteilzeit zu entlasten (vgl. BR-Drucks 208/96, S 1, 22 f). 

Vor diesem Hintergrund kann einem Arbeitnehmer, der sich dieser Gesetzesintention entsprechend verhält und nach der Altersteilzeit nahtlos in den Rentenbezug wechseln will, der Abschluss eines Altersteilzeitvertrages nicht vorgeworfen werden, wenn prognostisch, gestützt auf objektive Umstände, von einem solchen Willen zum direkten Übergang auszugehen war.

So liegt der Fall hier. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat sich die Klägerin bereits vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung bei einer Rentenstelle über die Möglichkeit des Rentenbezugs ab 1.12.2015 mit einem Rentenabschlag von 7,5 % informiert, der objektiv rentenrechtlich möglich war (vgl. § 36 SGB VI idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754), und auch darüber, welche Rentenhöhe sie zu erwarten hatte (vgl. § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 a SGB VI idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754). Außerdem hatte die Klägerin verschiedene Informationsgespräche mit der Arbeitgeberin, dem Personalrat und Kollegen geführt. Der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung ist von ihrer Arbeitgeberin unterstützt worden. Durch diese Umstände ist, wie vom Berufungsgericht zutreffend erkannt, die Absicht der Klägerin bei Abschluss des Altersteilzeitvertrages nach dem Ende der Altersteilzeit aus dem Arbeitsleben auszuscheiden und sich nicht erneut dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, objektiv ausreichend belegt.

 


Hingegen beruhte nach den Feststellungen des LSG die Entscheidung der Klägerin, sich entgegen dieser Absicht dennoch arbeitslos zu melden, den Rentenbeginn hinauszuschieben und (erst) ab 1.3.2016 eine (abschlagsfreie) Rente in Anspruch zu nehmen auf einem nachträglichen, im Jahre 2014 gefassten Entschluss, dessen Grund die erst durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-LeistungsverbesserungsG idF der Bekanntmachung vom 23.6.2014, BGBl I 787) mit Wirkung zum 1.7.2014 neu eingeführte abschlagsfreie Rente für besonders langjährige Versicherte war. 

 


Dieser Änderung des ursprünglichen Planes kommt im vorliegenden Kontext aber keine maßgebliche Bedeutung zu, denn es bedarf bezüglich des wichtigen Grundes keiner retrospektiven Prüfung, sondern allein einer in die Zukunft gerichteten Prognose und damit einer ex-ante-Betrachtung ausgehend vom Zeitpunkt des Lösungstatbestandes. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Aussicht auf eine abschlagsfreie Rente für besonders langjährige Versicherte für die Klägerin im Jahre 2006 nicht ansatzweise erkennbar gewesen ist.

 

 

 

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31.08.2021

Informationen

BSG
Urteil/Beschluss vom 19.03.2019
Aktenzeichen: B 12 R 25/18 R

Fachlich verantwortlich

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