Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Angekündigte Vergabe ohne Verfahren

Dass der Auftraggeber aus technischen Gründen nur ein Unternehmen beauftragen kann, ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Der Auftraggeber muss sich mit dieser Frage im Vergabevermerk sorgfältig auseinandergesetzt haben. Dies wird bei der Ankündigung einer Vergabe ohne Verfahren nach § 135 Abs. 3 GWB in einem etwaigen Nachprüfungsverfahren geprüft. Hierzu verhält sich der Beschluss des OLG Celle vom 09.11.2021 (13 Verg 9/21).

 

 

 

Sachverhalt

 

Die Auftraggeberin schloss als Tarif- und Verkehrsverbund für den öffentlichen Personennahverkehr mit der Beigeladenen eine Vereinbarung über ein „Systemsponsoring“, nach der die Beigeladene der Auftraggeberin Werbeflächen für ein Markenbranding in ihrem gesamten System sowie die Integration in den Systemnahmen oder möglicherweise auch die Verwendung von Eigennamen der Auftraggeberin gegen Entgelt zur Verfügung stellte. Die Beigeladene betreibt ein Fahrradverleihsystem im Sponsoringgebiet und sollte den Kunden der Auftraggeberin, die die Fahrräder mit einem Abonnement oder einem Semesterticket der Auftraggeberin nutzen, diese Fahrräder für 30 Minuten je Mietvorgang kostenlos zur Verfügung stellen. Vor dem Abschluss dieses Vertrages veröffentlichte die Auftraggeberin im EU-Amtsblatt eine freiwillige ex-ante-Transparenzbekanntmachung, in der es hieß, dass ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt werde, weil die Leistungen aufgrund nicht vorhandenen Wettbewerbs aus technischen Gründen nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden können (der Beigeladenen). Diese hatte bereits in der Vergangenheit auf der Grundlage eines vergleichbaren Systemsponsoring-Vertrags mit einem privaten Auftraggeber ein Fahrradverleihsystem in der Innenstadt betrieben. Die Antragstellerin betreibt in größeren Städten Fahrradverleihsysteme und rügte, dass es sich bei dem abgeschlossenen Vertrag um eine rechtswidrige de-facto-Vergabe handele. Nachdem die Auftraggeberin der Rüge nicht abhalf, beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. In diesem stellte die Vergabekammer fest, dass der mit der Beigeladenen geschlossenen Vertrag von Anfang an unwirksam sei und verpflichtete die Auftraggeberin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht, ein Vergabeverfahren gemäß dem 4. Teil des GWB durchzuführen. Gegen diesen Beschluss erhoben die Auftraggeberin und die Beigeladene jeweils die sofortige Beschwerde.

 

 

 

Entscheidung

 

Die sofortigen Beschwerden haben keinen Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Bei der Vergabe des „Systemsponsoring-Vertrags“, dessen Gesamtwert mehr als 1 Million Euro beträgt, handelt es sich um einen entgeltlichen Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen über Dienstleistungen, der den Schwellenwert für Dienstleistungsaufträge überschreitet. Gegenstand des Vertrags mit der Beigeladenen sind die Bereitstellung eines Fahrradverleihsystems im Stadtgebiet und bestimmte Werbeleistungen, sodass der Auftrag auf die Beschaffung von Dienstleistungen gerichtet ist. Es handelt sich bei diesen Leistungen um vertragliche Pflichten der Beigeladenen, wofür hinsichtlich des Vorhaltens des Fahrradverleihsystems insbesondere spricht, dass eine Verringerung der Anzahl der Fahrräder und Fahrradstationen nur im Einverständnis mit der Auftraggeberin möglich ist. Eine weitere Werbeleistung besteht darin, dass der Systemname für das Fahrradverleihsystem im Sponsoringgebiet eine Kombination des Namens der Auftraggeberin mit dem Fahrradverleihsystem oder aber ein Eigenname der Auftraggeberin sein könne. Als Gegenleistung soll die Auftraggeberin einen Geldbetrag an die Beigeladene zahlen sowie, ab einer bestimmten Anzahl von Abonnements- oder Semesterticketkunden, die die Fahrräder kostenlos nutzen, eine zusätzliche Vergütung entrichten. Die Argumentation der Auftraggeberin, dass sie nicht als Nachfragerin, sondern als Anbieterin von Leistungen auftrete, weil sie der Beigeladenen das Recht einräume, mit ihrem Markenzeichen zu werben, widerspricht dem Inhalt des Vertrags. Nach diesem bietet die Beigeladene der Auftraggeberin gegen die Zahlung eines Geldbetrags nur die Möglichkeit an, dass bei dem Betrieb des Fahrradverleihsystems der Eigenname der Auftraggeberin verwendet wird. Ein Recht der Beigeladenen, mit dem Markenzeichen der Auftraggeberin zu werben, ergibt sich aus dem Vertrag nicht. Die Antragstellerin ist antragsbefugt, denn sie trägt vor, dass sie einer der größten Anbieter von Fahrradverleihsystem in Deutschland sei und ein Interesse an dem Auftrag habe, da sie auch die im vorgelegten Vertrag geregelten Werbeleistungen erbringen könne.

 

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Vergabekammer hat zutreffend festgestellt, dass der von der Auftraggeberin mit der Beigeladenen geschlossenen Vertrag gemäß § 134 Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam ist. Die Auftraggeberin hat den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung der Bekanntmachung eines Vergabeverfahrens im EU-Amtsblatt vergeben, ohne dass ihr dies aufgrund Gesetzes gestattet war. Zu Unrecht beruft sich die Auftraggeberin auf die Ausnahmevorschrift des §§ 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV, wonach der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben kann, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Die Durchführung eines solchen Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb erfordert das vom öffentlichen Auftraggeber darzulegende und gegebenenfalls zu beweisende objektive Fehlen von Wettbewerb. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollen Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Es muss auch ausgeschlossen sein, dass für die Auftragsdurchführung weitere Unternehmen infrage kommen, die die für den Auftrag notwendigen Fähigkeiten und Ausstattungen (noch) rechtzeitig erwerben könnten. Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder rein wirtschaftliche Vorteile im Falle der Leistungserbringung durch ein bestimmtes Unternehmen reichen für diesen Ausnahmetatbestand nicht aus. Zu Unrecht meint die Auftraggeberin, dass Gegenstand des Vertrags nicht die Bereitstellung eines Fahrradverleihsystems, sondern das Sponsoring des von der Beigeladenen betriebenen Fahrradverleihsystem sei und ihr durch das Vergaberecht nicht untersagt werde, anstatt des Betriebs eines eigenen Fahrradverleihsystems eine Marketingkooperation mit einem Anbieter einzugehen, der bereits ein solches System aufgebaut habe, von dessen Kundenstamm und Werbewirkung die Auftraggeberin profitieren könne. Es ist nicht ersichtlich, dass bei den vertragsgegenständlichen Leistungen kein Wettbewerb vorhanden ist. Dass diese Leistungen nicht auch von anderen Unternehmen als der Beigeladenen angeboten werden konnten, hat die Auftraggeberin nicht dargelegt. Die Antragstellerin hat dagegen vorgetragen, dass ihr Fahrradverleihsystem bereits in über 50 Städten Deutschlands zum Einsatz komme, individuell auf die Bedürfnisse z.B. von Kommunen zugeschnitten werden könne und sie in kürzester Zeit ein stationsloses Fahrradverleihsystem betreiben und Leistungen wie die hier in Rede stehenden bereitstellen könne. Da eine Dokumentation der Auftraggeberin darüber fehlt, dass nur die Beigeladene die Leistungen in der geforderten Qualität anbietet und daher nur sie als Marketingpartner geeignet sei, hat die Auftraggeberin bereits keine technischen Gründe i.S.d. § 14 Abs. 4 Satz 2 b VgV aufgezeigt.

 

Der Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB steht nicht entgegen, dass die Auftraggeberin eine freiwillige ex-ante-Transparenz Bekanntmachung im EU-Amtsblatt veröffentlichte, da die Voraussetzungen des §§ 135 Abs. 3 GWB nicht vorliegen. Diese Norm setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zulässig ist. Der Auftraggeber muss zum Zeitpunkt dieser Entscheidung sorgfältig geprüft haben, ob die Voraussetzungen hierfür tatsächlich vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine innere Tatsache, die in der Regel nur dann festgestellt werden kann, wenn entsprechende nach außen erkennbare Tatsachen vorliegen. Um eine wirksame Kontrolle im Nachprüfungsverfahren sicherzustellen, dürfen die Anforderungen nicht zu gering sein. Eine mutwillige Umgehung der Pflicht zur europaweiten Ausschreibung ist von einer nach bestem Wissen getroffenen fehlerhaften Entscheidung abzugrenzen. (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – VII Verg 13/17). Die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers muss aufgrund der konkreten Umstände in sachlicher und rechtlicher Hinsicht vertretbar sein. Bleibt bei der Nachprüfung zweifelhaft, ob die Ansicht des Auftraggebers tatsächlich vorlag, muss die Unaufklärbarkeit zu seinen Lasten gehen. Aus diesen Gründen werden beide sofortige Beschwerden zurückgewiesen.

 

 

 

Fazit

 

Die Auftraggeberin hätte überdies - selbst wenn aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden gewesen wäre –die Regelung des § 14 Abs. 6 VgV beachten müssen. Nach dieser Vorschrift ist die Ausnahme des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV nur dann anwendbar, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Die grundsätzlich gegebene Freiheit des Auftraggebers, den Gegenstand der Beschaffung nach seinen Zwecken und Bedürfnissen zu bestimmen, unterliegt insoweit engeren vergaberechtlichen Grenzen als dies bei Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens der Fall ist. Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führt.

 

Über die Frage hinaus, ob eine Auftragsvergabe in diesem Fall durch tatsächlich fehlenden Wettbewerb ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens, hier eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb, zulässig war, hat die Auftraggeberin einen Kardinalfehler begangen: Sie hat weder die etwa in einer Marktuntersuchung gewonnenen Erkenntnisse über vorhandenen bzw. fehlenden Wettbewerb hinsichtlich der von ihr zu beschaffenden Leistungen noch ihre darauf basierende Entscheidung, ohne vorherige Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens mit der Beigeladenen einen Vertrag zu schließen, dokumentiert. Damit wird auch deutlich, dass die Vorschrift des § 135 Abs. 3 GWB nicht zu Unrecht zuweilen als „angekündigter Vergabeverstoß“ bezeichnet wird und diese Bezeichnung jedenfalls dann zutreffend ist, wenn der Auftraggeber sich mit den konkreten Umständen und den Gründen seiner vergaberechtlichen Auffassung weder in ausreichendem Maße befasst noch diese nachvollziehbar festgehalten hat. Eine tatsächliche Vermutung des Inhalts, dass der öffentliche Auftraggeber nur dann auf eine europaweite Ausschreibung verzichtet, wenn er den Verzicht für zulässig hält, existiert nämlich nicht.

 

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30.04.2022

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