Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Elektronische Auktion oder nicht?

Eine elektronische Auktion ist ein sich schrittweise wiederholendes Vorgehen der Bieter zur Änderung ihres Angebots. Ein elektronisches Verhandlungsverfahren ist nicht deswegen eine elektronische Auktion i.S.d. §§ 142, 120 Abs. 2 GWB, weil der Auftraggeber es als Auktion bezeichnet. So entschied die 1. Vergabekammer des Bundes in ihrem Beschluss vom 23.12.2021 (VK 1 – 124/21).

 


Sachverhalt

Die Sektorenauftraggeberin schrieb europaweit im Verhandlungsverfahren mit vorherigen Aufruf zum Wettbewerb die Herstellung, Lieferung und Montage von Personenaufzügen und Fahrtreppen im Zusammenhang mit dem Vorhaben Stuttgart 21 in zwei Losen aus. Zuschlagskriterien waren mit 85 % der Preis, mit 10 % das Montagekonzept und mit 5 % die Energieeffizienzklasse der anzubietenden Aufzüge und Fahrtreppen. Der Zuschlag konnte auf ein einzelnes Los oder beide Lose gemeinsam erfolgen und die Sektorenauftraggeberin ließ Angebote mit einem sogenannten „Kombinationsrabatt“ zu, bei welchem ein Bieter einen prozentualen Nachlass für den Fall gewährt, dass ihm der Zuschlag in beiden Losen erteilt wird. Mit den Vergabeunterlagen übersandte die Sektorenauftraggeberin den Bietern unter anderen das Dokument „Verhandlungsdesign“, in welchem sie drei verschiedene Möglichkeiten nannte, die finalen Preisverhandlungen durchzuführen. Infrage kommen sollten „bilaterale Verhandlungen“ per Telefon oder in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin, „zweistufige Verhandlungen“ IT-gestützt über eine Vergabeplattform mit steigenden Preisen oder „Verhandlungen mit sinkenden Preisen“, ebenfalls IT-gestützt über eine Verhandlungsplattform. Die Sektorenauftraggeberin kündigte an, den Bietern zwei Wochen vor dem geplanten Verhandlungstermin eine konkrete Information über das weitere Vorgehen zukommen zu lassen. Anfang Juni 2021 gaben die Bieter ihre indikativen Angebote ab, nach deren Wertung die Sektorenauftraggeberin den Bietern den jeweils erreichten, nach einer von ihr bekannt gemachten Rechenformel ermittelten sogenannten „Subtrahenden“ mitteilte. Dieser im weiteren Verfahren unveränderliche Wert, den das jeweilige Angebot in den Zuschlagskriterien Konzept und Energieeffizient erreicht hatte, wurde in der finalen (reinen) Preisverhandlung vom Angebotspreis des Bieters abgezogen, um den jeweiligen „Bewertungspreis“ zu ermitteln. Dieser Bewertungspreis entschied über den Angebotsrang und unter Berücksichtigung eines etwaig angebotenen Kombinationsrabatts über den Zuschlag. Anfang Oktober 2021 übersandte die Sektorenauftraggeberin den Bietern dann das „Basis-Kommunikationspapier“, in welchem sie sich für die zweite im Dokument „Verhandlungsdesign“ genannte Variante entschieden hatte, mithin die Durchführung von zweistufigen Verhandlungen mit steigenden Preisen auf einer elektronischen Verhandlungsplattform. In der ersten Stufe, der „Qualifizierungsrunde“, sollten die Bieter innerhalb einer Laufzeit von 10 Minuten einmalig ihre Angebote je Los innerhalb eines festgelegten Zielpreiskorridors abgeben. Neben dieser Preisangabe konnten die Bieter in der Qualifizierungsrunde einen Kombinationsrabatt anbieten oder ihren bereits angebotenen Kombinationsrabatt ändern. Nach dieser Runde wurde der Rabatt „eingefroren“ und konnte in der zweiten Stufe, der sich unmittelbar anschließenden finalen Verhandlungsrunde, nicht mehr verändert werden. Den Bietern wurde der Rang ihres Angebots nach Abschluss der Qualifizierungsrunde ohne Berücksichtigung des Kombinationsrabatts angezeigt. Die besten zwei Bieter qualifizierten sich für die Finalrunde des jeweiligen Loses. In dieser wurde den Bietern ausgehend von einer von der Sektorenauftraggeberin festgelegten Startsumme schrittweise alle 60 Sekunden ein höherer Preis angezeigt und jeder Bieter konnte einen angezeigten Preis einmalig je Los ohne Sichtbarkeit für den Konkurrenten markieren und so sein finales Preisangebot abgeben. Unter Berücksichtigung des Subtrahenden wurde von der Sektorenauftraggeberin dann der Bewertungspreis ermittelt und je Los einmal ohne und einmal mit einem etwaig angebotenen Kombinationsrabatt gewertet. Hierbei entschied sich, ob die Lose einzeln oder zusammen vergeben werden. Die Finalrunde endete nach der für die Bieter nicht sichtbaren Auswertung der Sektorenauftraggeberin mit der Nachricht an die beiden Bieter, ob sie das jeweilige Los gewonnen hatten oder nicht. Im Falle eines Gleichstands sollte im Anschluss noch eine weitere Runde stattfinden, in der die Bieter mit sinkenden Preisen konfrontiert einmalig einen Preis für das Los markieren konnten. 

An mehreren Stellen ihres „Basis-Kommunikationspapiers“ verwendete die Sektorenauftraggeberin den Begriff „Auktion“. Sie führte mit den Bietern zwei „Dry-Runs“ genannte Probeverhandlungen auf der elektronischen Verhandlungsplattform durch, bevor Ende Oktober 2021 dann der „Live-Run“ stattfand. Die spätere Antragstellerin erreichte in der Qualifizierungsrunde mit ihrem Angebot auf Los 1 den ersten Platz und auf Los zwei den zweiten Platz. Dies wurde ihr angezeigt. Am Ende der Finalrunde mit nur noch zwei Bietern bekam die Antragstellerin auf der Plattform zunächst die Nachricht angezeigt: „Verhandlung beendet. Nicht gewonnen.“. Einige Stunden später erhielten die beiden Bieter die Nachricht von der Verhandlungsplattform, dass in Los 2 ein Gleichstand eingetreten sei und wurden aufgefordert, am Morgen des Folgetags zur Gleichstandsauflösung einen neuen Preis einzugeben. Danach wurde der Antragstellerin wiederum angezeigt, dass die Verhandlung beendet sei und sie kein Los gewonnen habe.

Fünf Tage später rügte die Antragstellerin gegenüber der Sektorenauftraggeberin, dass ihr die Platzierung ihrer Angebote in den Finalrunden für Los 1 und Los 2 und nach Auflösung des Gleichstands nicht mitgeteilt worden sei. Dies sei bei einer elektronischen Auktion nach den §§ 23, 24 SektVO gem. der Regelung in § 24 Abs. 5 SektVO geboten. Die Sektorenauftraggeberin half dieser Rüge nicht ab, so dass die Antragstellerin vor der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragte.

 


Entscheidung

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Nachprüfungsantrag zulässig ist. Jedenfalls aber ist er unbegründet.

Die Antragstellerin hat erst nach Abgabe ihrer Angebote und damit nicht rechtzeitig ihre Rüge der fehlenden Rangmitteilung erhoben. Dass die Sektorenauftraggeberin den Bietern vor Abgabe der finalen Angebote nicht den in den bisherigen Verhandlungen erzielten Rang (ohne und mit Kombinationsrabatt) mitteilen würde, ergab sich bereits aus den Vergabeunterlagen „Verhandlungsdesign“ und „Basis-Kommunikationspapier“. Danach sollte den Bietern ihre finale Platzierung erst nach Abschluss der Verhandlungen mitgeteilt werden. Gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB hätte die Antragstellerin diesen aus den Vergabeunterlagen ersichtlichen Vergaberechtsverstoß spätestens zur Abgabe ihres letzten Angebots auf Los 2 zur Gleichstandsauflösung gegenüber der Sektorenauftraggeberin rügen müssen. Es kommt bei der Rügepflicht nach dieser Norm nämlich nicht auf den in den Vergabeunterlagen genannten Termin zur Einreichung der indikativen Angebote, sondern auf die Abgabe der finalen Angebote an. Die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags kann letztlich aber dahinstehen, weil dieser jedenfalls unbegründet ist.

Bei dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren handelt es sich um ein Verhandlungsverfahren, welche mithilfe elektronischer Mittel durchgeführt wurde, nicht jedoch um eine elektronische Auktion im Sinne der §§ 142, 120 Abs. 2 GWB, §§ 23, 24 SektVO. Bei der elektronischen Auktion handelt es sich nicht um eine eigenständige Verfahrensart, sondern um eine besondere Vorgehensweise z.B. im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens. Die Sektorenauftraggeberin hat in ihrer Bekanntmachung und in den Vergabeunterlagen nicht mitgeteilt, dass sie eine elektronische Auktion durchführen wolle und ist auch nicht nach dieser Verfahrensart vorgegangen. Die von der Sektorenauftraggeberin in der Vergabeunterlage „Verhandlungsdesign“ vorstellten Vorgehensweisen (bilaterale Verhandlungen, zweistufige Verhandlung mit steigenden bzw. sinkenden Preisen) gibt es bei einer elektronischen Auktion nach den §§ 23, 24 SektVO nicht, insbesondere ist eine elektronische Auktion mit steigenden Preisen, wie sie die Sektorenauftraggeberin hier durchgeführt hat, nicht vorgesehen und widerspräche auch den Vorgaben aus Art. 53 Abs. 1 RL 2014/25/EU. Auch der Umstand, dass hier nur zwei Bieter in der Finalrunde ihre Preisangabe machen konnten, widerspricht den gesetzlichen Vorgaben, nach denen alle Bieter, die zulässige Angebote unterbreitet haben, an der Auktion teilnehmen dürfen. Schließlich fehlte es hier an einem „sich schrittweise wiederholenden“ Vorgehen der Bieter, da diese nur einen Preis auf der Verhandlungsplattform markieren und damit abgeben konnten. Die teilweise Verwendung des Begriffs „Auktion“ durch die Sektorenauftraggeberin stellt sich damit als „falsa demonstatio“ dar, die für die rechtliche Beurteilung der Vorgehensweise unerheblich ist. 

Die von der Sektorenauftraggeberin tatsächlich durchgeführte Verhandlung unter Einsatz elektronischer Mittel gebietet dem Auftraggeber nicht die Mitteilung der von der Antragstellerin geforderten Ranginformationen während des Verfahrens. Die Mitteilung dieser Information hatte die Sektorenauftraggeberin auch nicht in ihren Vergabeunterlagen versprochen. Diese Informationen würden einem Bieter im Verhandlungsverfahren auch aus Gründen des Geheimwettbewerbs nicht zustehen. Dass die Sektorenauftraggeberin den Bietern ihren Angebotsrang je Los nach Abschluss der Qualifizierungsrunde mitgeteilt hat, beschwerte die Antragstellerin als vergaberechtlicher Verstoß nicht. Die Antragstellerin hat diese Information wie auch die Mitteilung nach der Finalrunde, sie habe kein Los gewonnen, auch wie von ihr vorgetragen, zum Anlass genommen, ihren Angebotspreis für Los 2 in der Auflösung des Gleichstands nochmals zu reduzieren. Sie hat damit die Angebote des Konkurrenten mit höheren Lospreisen und einem höheren Kombinationsrabatt nicht geschlagen.

Nach alledem wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

 


Fazit

Gefehlt hat der Antragstellerin die Information über ihre Platzierung in beiden Losen einmal ohne und dann unter Berücksichtigung des Kombinationsrabatts. Die Antragstellerin hätte dann erkennen können, dass ihr Konkurrent den Zuschlag durch die Höhe des von ihm angebotenen Kombinationsrabatts erkämpften wollte. Hätte die Sektorenauftraggeberin der Antragstellerin auch diese Information vor Abgabe ihres finalen Angebots im Rahmen der Gleichstandsauflösung gegeben, hätte die Antragstellerin Auskunft über wesentliche, im Rahmen der Verhandlungen feststehende Parameter des Konkurrenzangebots erhalten. Einen solchen Verstoß gegen den auch im Verhandlungsverfahren zu wahrenden Grundsatz des Geheimwettbewerbs konnte die Antragstellerin von der Sektorenauftraggeberin jedoch nicht verlangen.

Mit dieser Entscheidung hat sich die 1. Vergabekammer des Bundes dazu geäußert, wann eine vom Auftraggeber so bezeichnete „Auktion“ auch tatsächlich eine elektronische Auktion i.S.d. §§ 23, 24 SektVO ist. Damit wird auch bestätigt, dass der Auftraggeber in der Ausgestaltung eines Verhandlungsverfahrens im Wesentlichen frei ist, solange er sich an die vergaberechtlichen Grundsätze hält.

Ebenso wesentlich in dieser Entscheidung ist die Auffassung der Vergabekammer, im Verhandlungsverfahren mit mehreren Verhandlungsrunden müsse ein Bieter die Rüge eines für ihn erkennbaren Vergaberechtsverstoßes spätesten mit Abgabe seines letzten Angebots erheben, auch wenn dieses finale Angebot erst im Rahmen einer Gleichstandsauflösung abgegeben wird.. Den Bietern bleibt im Verhandlungsverfahren also u.U. wenig Zeit, Vergaberechtsverstöße zu identifizieren und zu rügen.

 

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28.02.2022

Informationen

Vergabekammer des Bundes
Urteil/Beschluss vom 23.12.2021
Aktenzeichen: V ZR 146/20

Fachlich verantwortlich

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