Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Kaufmännisch unzumutbare Kalkulation?

Vorgaben des Auftraggebers an Honorarangebote in Anlehnung an die Basispreise der HOAI 2021 können in Verbindung mit gedeckelten Stundensätzen jedenfalls dann zu einer kaufmännisch unzumutbaren Kalkulation führen, wenn sich die Leistungserbringung auf mehrere Jahre erstreckt. Über eine solcherart unzumutbare Auflage des Auftraggebers entschied das BayObLG in seinem Beschluss vom 06.12.2023 (Verg 7/23).

 

Sachverhalt

Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren beabsichtigte die Vergabe von Tragwerksplanungsleistungen für die Erweiterung einer Grundschule ab der Leistungsphase 2, mithin ohne eine vorausgehende Grundlagenermittlung. Die Beauftragung sollte stufenweise, beginnend mit der Beauftragung der Leistungsphase 2 (Vorplanung) nach § 51 HOAI, und ab der Leistungsphase 3 in Leistungsstufen für die Antragsgegnerin optional erfolgen. Einen Rechtsanspruch auf Gesamtbeauftragung sollte der Auftragnehmer nicht haben, jedoch verpflichtet sein, die weiteren Leistungsstufen zu erbringen, wenn er sie innerhalb von zwölf Monaten nach Fertigstellung der jeweils zuletzt übertragenen Leistungen in Auftrag erhalte. Die Honorare sollten sich nach den Basiswerten der Honorartabelle der HOAI unter Berücksichtigung des vom jeweiligen Bieter angebotenen Auf- oder vielmehr Abschlags richten. Für nach Zeitaufwand zu berechnende Leistungen sollten die nach Seniorität gestaffelten Orientierungssätze  des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr aus dem Jahr 2021 gelten, welche frühestens fünf Jahre nach Vertragsschluss angepasst werden könnten.

 

Erfolglos rügte die spätere Antragstellerin bereits vor Einreichung ihres Teilnahmeantrags u.a. die Bindefrist je optionaler Leistungsstufe von zwölf Monaten als zu lang und die Stundenhonorarsätze als zu niedrig. Als ausgewählter Bieter reichte sie neben vier anderen Bietern unter Aufrechterhaltung ihrer Rügen ihr Erstangebot ein, welches nach der von der Antragsgegnerin durchgeführten Angebotswertung den letzten Rang erreichte. Zuvor jedoch beantragte die Antragstellerin die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer Südbayern (3194.Z3-3_01-22-50). Nachdem die Vergabekammer der Antragstellerin kein Recht bescherte, erhob diese die sofortige Beschwerde zum BayObLG.

 

Entscheidung

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat hinsichtlich ihrer Rügen zur kaufmännisch unzumutbaren Kalkulation durch die Vorgaben der Antragsgegnerin Erfolg. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer hat die Antragstellerin Vergaberechtsverstöße geltend gemacht, die es nicht erlauben, das Verfahren ohne Korrektur durch Zuschlag an die Beigeladene zum Abschluss zu bringen. Den Bietern ist auf der Basis der Vergabeunterlagen eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation insofern unzumutbar, als für die Vergütung der nach Stundenhonorar abzurechnenden Leistungen mit Bindungswirkung für einen extrem langen Zeitraum nach Vertragsschluss Maximalstundensätze vorgegeben sind, die Orientierungswerten entsprechen, welche im Ausschreibungszeitpunkt zwar noch gültig waren, aber bereits zu diesem Zeitpunkt einen allenfalls minimalen Sicherheitszuschlag ermöglichten. Durch die Kombination einer langen Bindung an die Vertragskonditionen mit engen Vorgaben, welche die Kalkulationsfreiheit der Bieter beschränken, wird diesen vorliegend die Möglichkeit genommen, das mit der langen Bindungsdauer einhergehende Preisrisiko durch entsprechenden Zuschlag bei der Kalkulation zu berücksichtigen; eine kalkulatorische Berücksichtigung des Risikos im Rahmen des Zuschlags auf das Honorar für Grundleistungen ist wegen des Verbots von Mischkalkulationen nicht möglich.

 

Der Senat teilt zwar nicht die Auffassung der Antragstellerin, dass die beanstandeten Vertragsbestimmungen bereits jeweils für sich genommen eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar machen. In ihrer Kombination hat ein Teil der beanstandeten Bedingungen jedoch eben diese Wirkung. Dadurch wird die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Zu den vom öffentlichen Auftraggeber zu beachtenden Vorschriften über das Vergabeverfahren i.S. d. § 97 Abs. 6 GWB zählen auch die für jedes Handeln der öffentlichen Verwaltung geltenden ungeschriebenen, aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) fließenden Grundsätze, soweit sie gerade auch den Schutz der potenziellen Auftragnehmer bezwecken (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22. Dezember 2021, Verg 16/21, NZBau 2023, 194 Rn. 49; Beschl. v. 28. Juni 2017, Verg 2/17 - Koppelungsverbot, NZBau 2018, 54 Rn. 17, 19; Schneevogl in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPKVergaberecht, 6. Aufl. Stand: 15. September 2022, § 97 GWB Rn. 176; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 97 Rn. 110). Zu den bieterschützenden Verhaltenspflichten des öffentlichen Auftraggebers gehört das Verbot von Vorgaben, die eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation unzumutbar machen und dadurch die Aussichten des Bieters auf eine Berücksichtigung seines Angebots bei der Zuschlagserteilung beeinträchtigen können (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2023, 194 Rn. 49; Beschl. v. 21. April 2021, Verg 1/20, NZBau 2022, 611 Rn. 31 m. w. N.]; OLG Celle, Beschl. v. 19. März 2019, 13 Verg 7/18, NZBau 2019, 462 Rn. 81; OLG München, Beschl. v. 6. August 2012, Verg 14/12, VergabeR 2013, 78; Bulla, VergabeR 2023, 331 [332 f., 346]; Kobelt, NZBau 2023, 365 ff.; Dicks, NZBau 2014, 731 [735]).

 

Eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation ist unzumutbar, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß hinausgehen, das Bietern typischerweise obliegt. Erforderlich ist eine die Umstände des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der Interessen der Bieter und des öffentlichen Auftraggebers (OLG Düsseldorf NZBau 2022, 611 Rn. 31). Vorliegend hat die Antragsgegnerin eine lange Bindung an die vertraglichen Konditionen mit der kalkulationsbeschränkenden Festlegung niedriger Maximalstundensätze kombiniert und auf diese Weise Vorgaben gemacht, die eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation unzumutbar machen. Insoweit verletzt die Gestaltung der Vergabeunterlagen bieterschützende Rechte. Die Vergabekammer ist zwar im angegriffenen Beschluss mit ausführlichen und rechnerisch richtigen Darlegungen der Behauptung der Antragstellerin entgegengetreten, die vorgegebenen Höchstsätze für Stundenhonorare seien "bereits jetzt" unangemessen niedrig. Jedoch führt die Regelung in § 7 Ziffer 3 des Vertrags dazu, dass die mit dem Honorarangebot verlangten Stundensätze für die Dauer von mindestens fünf Jahren ab beidseitiger Vertragsunterzeichnung und gegebenenfalls sogar für den gesamten darüber hinausgehenden Zeitraum der Vertragsdurchführung fortgelten.

 

Selbst wenn die Orientierungswerte des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr an die weitere Marktentwicklung angepasst und somit - wie mittlerweile erwartungsgemäß geschehen - erhöht werden, bleibt der künftige Auftragnehmer an dann nicht mehr marktgerechte Stundensätze mindestens für fünf Jahre ab Vertragsunterzeichnung gebunden. Da Planungsleistungen weiterer Leistungsphasen vom erfolgreichen Bieter geschuldet sind, wenn sie innerhalb von zwölf Monaten nach Fertigstellung der jeweils zuletzt übertragenen Leistungen vergeben werden, und in diesem Zusammenhang auch die nach Zeitaufwand zu vergütenden zusätzlichen Leistungen zum vereinbarten Stundensatz zu erbringen sind, steht unter Berücksichtigung der unschädlichen Unterbrechungszeiträume eine erhebliche Dauer der vertraglichen Beziehung, mithin ein nicht unbedeutender Risiko- und Kalkulationsfaktor im Raum. Vorliegend bleibt den Bietern durch die gleichzeitige Festlegung absehbar nicht marktgerechter Maximalstundensätze die Möglichkeit verwehrt, das mit der langen Bindungsdauer einhergehende Risiko kalkulatorisch einzupreisen. Das den Bietern auferlegte Preis- und Kalkulationsrisiko geht über das Maß hinaus, das Bietern typischerweise obliegt. Ihnen ist auch unter Berücksichtigung der Interessen der Antragsgegnerin eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar. Vorliegend kann eine Änderung der Bieterrangfolge zugunsten der Antragstellerin nach Fehlerkorrektur durch die Antragsgegnerin nicht ausgeschlossen werden.

 

 

 

Fazit

Entscheidungen wir diese (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22. Dezember 2021 - Verg 16/21) sind stets Einzelfallentscheidungen, die eine Abwägung der Vorgaben als Ganzes durch die Vergabeinstanz erfordern. Anders als bei der Beschaffung von Bauleistungen (vgl. § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A) fehlt es den Vergabeordnungen für Lieferungen und Leistungen an einer Regel für ungewöhnliche Wagnisse, deren Überbürdung auf den Bieter bei Bauleistungsvergaben unzulässig ist. Daher werden die Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB angewandt.

 

Entgegen der Ansicht der Vergabekammer Südbayern bestand nicht die Möglichkeit, das Risiko im Rahmen der Kalkulation des Zu- oder Abschlags auf das Gesamthonorar der Grundleistungen zu berücksichtigen. Würde die beschränkte Kalkulationsfreiheit bei den Stundenhonorarsätzen durch einen Risikozuschlag auf das Gesamthonorar der Grundleistungen ausgeglichen, führte dies zu einer vergaberechtlich unzulässigen Mischkalkulation (vgl. BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004, X ZB 7/04), denn nach dem Vertrag sind die zu erbringenden Grundleistungen kostenbasiert zu vergüten. Der geforderte oder gewährte Zu- oder Abschlag auf diesen Teil des Honorars betrifft die Vergütung für die nach dem Vertrag zu erbringenden Grundleistungen, nicht aber für zusätzlich zu erbringende und nach Stundensätzen zu vergütende Leistungen.

 

Neben den Orientierungssätzen des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr existieren noch weitere Orientierungshilfen für Stundensatzhonorare, beispielsweise von der Architektenkammer Berlin. Diese scheinen die Kostenstrukturen kleinerer Architektur- und Ingenieurbüros aktuell zutreffend zu berücksichtigen, sind aber bei langjähriger Bindung an heutige Stundensätze mit dem Risiko der Unterdeckung behaftet.

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06.02.2024

Informationen

OLG Düsseldorf
Urteil/Beschluss vom 30.09.2022
Aktenzeichen: Az. Verg 40/21

Fachlich verantwortlich

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