Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Das Versenden der Bieterbenachrichtigung durch den öffentlichen Auftraggeber auf der elektronischen Vergabeplattform löst die Wartefrist des § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB aus.

Das Versenden der Bieterbenachrichtigung durch den öffentlichen Auftraggeber auf der elektronischen Vergabeplattform löst die Wartefrist des § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB aus. Die durch die Vergabeplattform an die Empfänger (Bieter) versandten Nachrichten entsprechen dem Textformerfordernis des § 134 Abs. 2 GWB i.V.m § 126b BGB. Dies entschied die Vergabekammer Sachsen in ihrem Beschluss vom 28.07.2021 (1/SVK/043-20).

 

 

 

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb europaweit im offenen Verfahren die Erbringung von Abbruchleistungen für ein Universitätsgebäude über die von ihm genutzte elektronische Vergabeplattform „AI-Vergabemanager“ aus, einer E-Vergabe-Technologie der AI Administration Intelligence AG. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Die spätere Antragstellerin gab fristgerecht ein Angebot ab und lag nach der Angebotseröffnung auf dem ersten Platz. In der Eignungsprüfung wurde die Antragstellerin jedoch von der Angebotswertung ausgeschlossen, weil sie keine wie vom Auftraggeber gefordert mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit ausgeübt hatte. Hierüber informierte der Auftraggeber die Antragstellerin über die elektronische Vergabeplattform, indem er um 16:40 Uhr diese Benachrichtigung an das Bieterpostfach der Antragstellerin versandte. Um 16:42 Uhr generierte die Vergabeplattform automatisch eine Mail an die von der Antragstellerin im Vergabeverfahren angegebene Mailadresse, dass neue Informationen zum Vergabeverfahren auf der Plattform abrufbar seien. Die Antragstellerin lud das Informationsschreiben noch am gleichen Tage um 17:28 Uhr herunter. In dem Schreiben des Auftraggebers war auch die Mitteilung an die Antragstellerin enthalten, dass der Auftraggeber beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot eines anderen Bieters frühestens am 01. Dezember zu erteilen. Die Antragstellerin rügte den Ausschluss Ihres Angebots; der Auftraggeber wies die Rüge zurück und erteilte am 1. Dezember den Zuschlag wie vorgesehen. Am 2. Dezember beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer Sachsen, machte ihren zu Unrecht erfolgten Angebotsausschluss geltend und beantragte nach Kenntnis vom bereits erteilten Zuschlag die Feststellung der Unwirksamkeit der Zuschlagserteilung nach den §§ 135, 134 GWB (De-Facto-Vergabe). Sie berief sich auf die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 29.03.2019 (Z3-3-3194-1-07-03/19), wonach die Bieterbenachrichtigung nach § 134 GWB in Textform nicht durch Ablage auf der Vergabeplattform erfolgen könne, weil der wesentliche Informationsgehalt einer Bieterbenachrichtigung auf diesem Wege wegen der Ungewissheit des jeweiligen Nachrichtenabrufs nicht allen Bietern gleichzeitig zugehe.

 


Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unzulässig. Der streitbefangene Auftrag wurde im Wege eines wirksamen Zuschlags i. S. d. § 168 Abs. 2 GWB erteilt.

Das Informationsschreiben entspricht dem Textformerfordernis und wurde vom Antragsgegner im Sinne des § 134 Abs. 2 GWB elektronisch abgesendet. Andere Gründe für einen Nichtbeginn der Wartefrist von 10 Tagen liegen nicht vor. Deshalb war die Zuschlagserteilung wirksam und der danach gestellte Nachprüfungsantrag zu spät. Ein vor Antragstellung erteilter wirksamer Zuschlag kann von der Vergabekammer nicht aufgehoben werden, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB; mit der wirksamen Erteilung des Zuschlags findet der Primärrechtsschutz seine Grenzen. Ein nach Zuschlagserteilung bei der Vergabekammer erhobener Nachprüfungsantrag ist daher unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - X ZB 14/00). Keine wirksame Zuschlagserteilung läge dagegen vor, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB verstößt, z. B gegen die Zuschlagsverbote nach den §§ 134 Abs. 2 S. 1, 169 Abs. 1 oder 173 Abs. 3 GWB. Vorliegend macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, dass die Wartefrist des § 134 Abs. 2 GWB noch nicht abgelaufen sei, weil das Informationsschreiben nur in die Vergabeplattform "eingestellt" worden sei. Dies genüge nicht, um von einem fristauslösenden Absenden im Sinne des § 134 Abs. 2 GWB auszugehen. Dadurch seien die wesentlichen Informationen der Bieterbenachrichtigung nicht in ihren Machtbereich als Empfänger gelangt. Sie beruft sich insoweit auf die Entscheidung der VK Südbayern vom 29. März 2019.

Gemäß § 134 Abs. 2 GWB darf ein Zuschlag erst nach der vorgesehenen Wartefrist erteilt werden. Wird die Information auf elektronischem Weg versendet, beträgt die Frist zehn Kalendertage. Der Beginn des Fristlaufs setzt voraus, dass der Bieter nach § 134 GWB in Textform informiert wurde. Maßgeblich ist nach dem Wortlaut der Vorschrift in § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB die Absendung durch den Auftraggeber, auf den Zugang kommt es für die Fristberechnung nicht an.  Maßgeblich ist deshalb, ob die vorgeschriebene Textform gewahrt wurde und ein Absenden im Sinne des § 134 Abs. 2 GWB vorliegt. Der Antragsgegner verwendet den AI Vergabemanager. Mit dieser nur der Vergabestelle zur Verfügung stehenden Software können insbesondere Nachrichten im Rahmen der Bieterkommunikation von Auftraggebern versendet werden. Der Vergabemanager ist mittels Schnittstellen mit der Vergabeplattform verbunden. Soweit über den Vergabemanager Nachrichten an die Bieter versendet werden sollen, wird vom Auftraggeber zunächst im Vergabemanager der entsprechende Teilnehmer des Vergabeverfahrens ausgewählt. Dann wird eine Eingabemaske befüllt in der als Betreff der Nachricht - im vorliegenden Fall "Absageschreiben gem. § 134 GWB" - angegeben wird. Als Nachrichtentext wurde dann gegenüber der Antragstellerin ausgeführt:  "Sehr geehrte Damen und Herren, anbei erhalten Sie das Absageschreiben gem. § 134 GWB mit der Bitte um Kenntnisnahme und Beachtung". Der Nachricht wurde dann als Anlage ein PDF-Dokument beigefügt, welches mit "Informations-Absageschreiben nach § 134 GWB" bezeichnet war. Abschließend betätigt der Bearbeiter des Auftraggebers den Button "Senden". Dadurch wird die Nachricht unwiderruflich "auf den Weg" gebracht. Schlussendlich ist diese Funktionalität in technischer Sicht vergleichbar mit der Versendung einer E-Mail. Diese Nachrichten werden dann im Bieterbereich auf der Vergabeplattform dargestellt, können dort von den Bietern eingesehen und heruntergeladen werden. Auf diese haben die Bieter nach einer entsprechenden Registrierung und dem einloggen in ihren persönlichen und kennwortgeschützten Bieterbereich Zugriff. Sind neue Nachrichten für sie vorhanden, wird dies ähnlich wie bei anderen Benutzerkonten angezeigt. Auf den kennwortgeschützten Bieterbereich der Vergabeplattform hat der Auftraggeber keinen Zugriff. Zusätzlich wird bei der Registrierung von den Bietern verlangt, eine E-Mail-Adresse anzugeben. Wird eine Nachricht vom Auftraggeber über den Vergabemanager versendet, erhalten die registrierten Bieter automatisch eine (Benachrichtigungs-) E-Mail, dass es im betreffenden Vergabeverfahren Neuigkeiten gibt. Zusätzlich ist dann in dieser E-Mail beschrieben, wie man die neuen Informationen einsehen kann, nämlich durch einloggen auf der Vergabeplattform in den Bieterbereich. Die Vergabeplattform ist in technischer Hinsicht vergleichbar mit Benutzeraccounts wie man sie bspw. aus dem Online-Banking kennt. Daneben steht Bietern die Software "AI Bietercockpit" (zusätzlich) zur Verfügung. Dies ist ein Programm/Tool, mit dem Vergabeunterlagen bearbeitet, Angebote abgegeben und zwischen Auftraggeber und Bieter kommuniziert werden kann. Die Funktionalität des darin enthaltenen Bereichs "Bieterpostfach" ist in technischer Hinsicht vergleichbar mit dem Programm Outlook. Voraussetzung für die Entsprechung des Textformerfordernisses des § 134 Abs. 2 GWB i.V.m. § 126b BGB ist die Abgabe einer lesbaren Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger. Ein dauerhafter Datenträger ist jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben (§ 126b BGB). Demzufolge entspricht bspw. eine E-Mail, ein USB-Stick oder eine Speicherkarte dem Textformerfordernis. Wie der Empfänger die Nachricht dann konkret aufbewahrt, speichert und ob er sie ausdruckt oder nicht, ist unbeachtlich, denn die Frage der formwirksamen Erstellung und Abgabe einer Erklärung durch den Absender kann nicht von dem nicht überprüfbaren Verhalten des Empfängers - wie etwa der tatsächliche Ausdruck der Datei - abhängig gemacht werden (in dieser Tendenz BGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - III ZR 299/08). Diese Anforderungen sind durch die oben beschriebene Nachricht gewahrt. Es ist bei dem verwendeten technischen System ausgeschlossen, dass der Auftraggeber einmal versendete Nachrichten nachträglich ändert oder löscht, denn dieser hat weder auf den Bieterbereich der Vergabeplattform noch auf das Bieterpostfach des Bietercockpits Zugriff. Durch betätigen des "Sende" Buttons im Vergabemanager werden die Nachrichten unwiderruflich "auf den Weg" gebracht. Sie können somit sowohl im Bieterbereich der Vergabeplattform als auch im Bietercockpit für einen angemessenen Zeitraum unverändert wiedergegeben werden. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer Südbayern hat das Erfordernis des Zugangs einer Erklärung mit der Frage, ob die Textform erfüllt wurde, nichts zu tun, denn die Form einer Erklärung muss bei dessen Abgabe bestimmbar sein und nicht erst durch etwaige Handlungen des Empfängers. Auch weicht die technische Funktionsweise der Vergabeplattform im Nachprüfungsverfahren der Vergabekammer Südbayern von dem hier verwendeten System ab. Vorliegend wurde an die Antragstellerin unmittelbar anschließend nach Versenden des Informationsschreibens aus dem Vergabemanager eine automatisch generierte E-Mail an die bei der Registrierung von ihr angegebene E-Mail-Adresse gesendet. Bei dem von der Vergabekammer Südbayern entschiedenen Sachverhalt war diese Funktionalität auf der Vergabeplattform des Auftraggebers so nicht vorhanden. Nach § 134 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB darf der Vertrag erst 10 Kalendertage nach Absendung der Bieterbenachrichtigung geschlossen werden. Danach ist Fristbeginn der Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber. Für den Beginn der zu beachtenden Frist kommt es darauf an, wann der öffentliche Auftraggeber sich der schriftlichen Mitteilungen an die betroffenen Bieter entäußert, wann er diese Schriftstücke also aus seinem Herrschaftsbereich so herausgegeben hat, dass sie bei bestimmungsgemäßem weiteren Verlauf der Dinge die Bieter erreichen, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen. Bei Übertragung dieser Maßstäbe auf andere (elektronische) Übermittlungen, liegt eine Absendung demnach dann vor, wenn ohne weiteres Zutun des öffentlichen Auftraggebers unter normalen Umständen mit der Übermittlung der Information an den Adressaten innerhalb des für das konkret verwendete Kommunikationsmittel üblichen Zeitraums zu rechnen ist. Wird die Information per Post versandt, ist die Übergabe an den Postdienstleister erforderlich; per E-Mail bedarf es der Übermittlung an den Postausgangsserver. Die automatisch an die Antragstellerin versendete E-Mail vom 20.11.2020, wonach im streitigen Vergabeverfahren neue Informationen vorhanden seien und diese auf der Vergabeplattform abrufbar seien, ist für die rechtliche Beurteilung des Beginns der Wartefrist irrelevant. Demnach liegt hier ein formwirksames elektronisch am 20.11.2020 abgesendetes Informationsschreiben vor. Die maßgebliche Wartefrist von 10 Tagen begann damit am Tag nach dessen Versendung am 21.11.2020 und endete am 30.11.2020. Der Antragsgegner hat auch über den frühestmöglichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses, den 01.12.2020, informiert.

 


Fazit

Bei elektronischer Kommunikation liegt eine Absendung dann vor, wenn ohne weiteres Zutun des öffentlichen Auftraggebers unter normalen Umständen mit der Übermittlung der Information an den Adressaten innerhalb des für das konkret verwendeten (elektronischen) Kommunikationsmittels üblichen Zeitraums zu rechnen ist. Entscheidend ist dabei, dass die Nachricht den Machtbereich des Absenders verlässt und so elektronisch in Textform "auf den Weg gebracht" wird, dass bei regelgerechtem Verlauf die Information in den Machtbereich des Empfängers gelangt, sie insbesondere nicht mehr vom Absender nachträglich einseitig verändert oder gelöscht werden kann (vgl. VK Saarland, Beschluss vom 22. März 2021 - 1 VK 6/20 - und VK Westfalen, Beschluss vom 31. März 2021 - VK 1-9/21). 

Damit hat sich mit der Vergabekammer Sachsen eine dritte Vergabekammer gegen die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern gestellt. Eine Entscheidung eines Vergabesenats liegt zu dieser Thematik bislang nicht vor. Bieter werden sich darauf einstellen müssen, die Bieterbenachrichtigung nach § 134 Abs. 2 GWB allein über die elektronische Vergabeplattform zu erhalten.

 

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31.12.2021

Informationen

Vergabekammer Sachsen
Urteil/Beschluss vom 28.07.2021
Aktenzeichen: 1/SVK/043-20

Fachlich verantwortlich

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