Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Open-House-Verfahren ist keine Vergabe eines öffentlichen Auftrags

Verpflichtet sich der öffentliche Auftraggeber im Rahmen eines Open-Hose-Verfahrens zum Vertragsschluss mit allen als geeignet von ihm geprüften Bietern, trifft er keine Auswahlentscheidung unter den eingereichten Angeboten. Dann handelt es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag, der die Beachtung des Vergaberechts erfordert. Mit diesem Beschaffungsverfahren befasste sich die 1. VK Bund in ihrem Beschluss vom 11.01.2023

(Verg 1-109/22).

 

Sachverhalt

Die späteren 13 Antragsgegnerinnen veröffentlichten im EU-Amtsblatt die Absicht, im Wege eines Open-House-Verfahrens Verträge zur besonderen Versorgung nach § 140a

SGB V über bestimmte Dienstleistungen abzuschließen. In der Veröffentlichung hieß es:

 

"Das vorliegende Open-House-Verfahren betrifft nicht die Vergabe eines öffentlichen Auftrags im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU bzw. des Kartellvergaberechts. Im Interesse der Transparenz und einer möglichst breit angelegten Information der interessierten Leistungserbringer haben die Auftraggeber eine Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Mit der Nutzung des Bekanntmachungsformulars für das Open-House-Verfahren und der elektronischen Internetplattform des Amtes für Veröffentlichungen der Europäischen Union (TED) ist keine Unterwerfung unter vergaberechtliche Regelungen verbunden. [...] verfolgt das Ziel, mit allen geeigneten Leistungserbringern Verträge gemäß § 140a SGB V abzuschließen. Die Bekanntmachung und diese Teilnahmebedingungen dienen der Durchführung eines sogenannten Open-House-Verfahrens zum Abschluss dieser Verträge. Unter Vorgabe einheitlicher Vertragsbedingungen wird allen geeigneten Leistungserbringern der Abschluss einer Vereinbarung nach

§ 140a SGB V [...] angeboten.“

 

Die späteren 4 Antragstellerinnen rügten, sie könnten an diesem Vertragssystem nicht teilnehmen; dieser Rüge halfen die Antragsgegnerinnen nicht ab. Daher leiteten die Antragstellerinnen ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer des Bundes ein. Sie argumentieren, der Weg in das Nachprüfungsverfahren sei eröffnet, da es sich um einen „verdeckten“ öffentlichen Auftrag in Gestalt einer Rahmenvereinbarung handele und begründeten ihren Antrag mit verschiedenen vergaberechtlichen Verstößen, u.a. den Zuschnitt der Eignungsanforderungen auf bestimmte Marktteilnehmer. Die für einen öffentlichen Auftrag erforderliche Auswahlentscheidung der Antragsgegnerinnen liege in dieser im Vorfeld des Vergabeverfahrens getroffenen Entscheidung über die Eignungsanforderungen.

 

Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag ist unstatthaft, der Vergaberechtsweg ist nicht eröffnet. Gemäß § 155 GWB dürfen die Vergabekammern nur die Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen nachprüfen. Ein öffentlicher Auftrag i.S.d § 103 Abs. 1 bis 4 GWB wiederum setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber eine Auswahl unter den zulässigen Angeboten trifft, also einen Anbieter auswählt, an den ein Auftrag mit dem Ziel vergeben werden soll, den Bedarf des Auftraggebers ausschließlich zu decken (s. nur EuGH, Urteil vom 2. Juni 2016, Rs. C-410/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Oktober 2018, Verg 38/18 m.w.N.). Dasselbe gilt gemäß § 103 Abs. 5 S. 2 GWB für Rahmenvereinbarungen.

 

Den Antragsgegnerinnen fehlt es an der Absicht, eine Auswahl unter den nach der Eignungsprüfung zugelassenen Angeboten zu treffen und einen Bieter auszuwählen, an den ein Auftrag mit Ausschließlichkeit vergeben werden soll. Zwar die Argumentation der Antragstellerinnen zutreffend, dass nicht die Antragsgegnerinnen oder die von ihnen verwendeten Begrifflichkeiten wie "Open-House-Verfahren" darüber entscheiden, ob ein öffentlicher Auftrag vorliegt und der Vergaberechtsweg eröffnet ist. Die Statthaftigkeit eines Nachprüfungsantrags und damit die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen ist stets objektiv zu beurteilen. Jedoch führt hier die Prüfung der streitigen Vertragsunterlagen sowie der EU-Bekanntmachung dazu, dass kein öffentlicher Auftrag i.S.d. Vergaberechts vorliegt.

 

Vorliegend handelt es sich um ein Vertragssystem, mittels dessen die Antragsgegnerinnen Dienstleistungen auf dem Markt erwerben wollen und während der gesamten Laufzeit des Systems mit allen Marktteilnehmern einen Vertrag schließen, die sich verpflichten, die betreffenden Dienstleistungen zu im Vorhinein festgelegten Bedingungen zu erbringen, ohne eine Auswahl unter den zulässigen Angeboten zu treffen. So sollen die streitgegenständlichen Verträge der besonderen Versorgung nach § 140a SGB V mit allen geeigneten, [...] geschlossen werden, die die Teilnahmevoraussetzungen der Antragsgegnerinnen erfüllen (s. II.2.4 und II.2.14 der EU-Bekanntmachung und Ziffer 2.1, 3 der Teilnahmebedingungen, S. 3, 7). Der Vertragsabschluss erfolgt jeweils zu den gleichen Bedingungen, individuelle Vertragsverhandlungen werden nicht geführt und dementsprechend auch keine Allgemeinen oder individuellen Vertragsbedingungen der Leistungserbringer akzeptiert

(s. II.2.14 der EU-Bekanntmachung, Ziffer 1, Ziffer 3 sowie "Sonstige Hinweise" der Teilnahmebedingungen, S. 2, 4, 7). Keinem der Vertragspartner wird hierbei ein exklusives Versorgungsrecht eingeräumt (s. "Sonstige Hinweise" in den Teilnahmebedingungen, S. 4). Der Vertragsbeitritt ist zudem jederzeit möglich (s. Ziffer II.1.4, II.2.4 und II.2.14 der EU-Bekanntmachung, Ziffer 1 der Teilnahmebedingungen). Diese Vorgaben werden auch durch den verfahrensgegenständlichen Vertrag nicht eingeschränkt.

 

Solche Vertragssysteme unterliegen nicht dem Vergaberecht, weil in diesem Fall kein Risiko besteht, dass der Auftraggeber einzelne Wirtschaftsteilnehmer, die die Zulassungsbedingungen erfüllen, zu Lasten und unter Ausschluss anderer bevorzugt. Der Schutzzweck des Vergaberechts ist damit nicht tangiert (vgl. EuGH, Urteile vom 1. März 2018, Rs. C-9/17, und vom 2. Juni 2016, Rs. C-410/14; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 18. August 2021, Verg 52/20; 20. März 2019, Verg 65/18, und vom 31. Oktober 2018, Verg 37/18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom

9. August 2021, L 11 KR 2028/21 ER-B).

 

Dass hier eine gewisse Vorauswahl der zukünftigen Vertragspartner durch die Antragsgegnerinnen dadurch erfolgt, dass nicht jeder interessierte Wirtschaftsteilnehmer einen Versorgungsvertrag mit ihnen abschließen kann, führt nicht dazu, dass sich das vergabefreie Zulassungssystem in einen öffentlichen Auftrag "wandelt", der durch die Vergabekammern nachgeprüft werden dürfte.

 

Nach Auffassung der Antragstellerinnen führen die von den Antragsgegnerinnen aufgestellten Eignungsanforderungen dazu, dass sie von der Teilnahme am verfahrensgegenständlichen Vertragssystem ausgeschlossen sind. Dasselbe folgt laut den Antragstellerinnen aus dem Leistungszuschnitt, der ebenfalls eine Auswahlentscheidung zu ihren Lasten darstelle. Bei diesen Festlegungen der Antragsgegnerinnen handelt es sich jedoch nicht um eine Auswahlentscheidung wie bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Denn die Antragsgegnerinnen haben keine Auswahlkriterien aufgestellt, anhand derer Angebote miteinander verglichen werden können, um unter diesen das wirtschaftlichste auszuwählen, das mit der oben erwähnten Ausschließlichkeitsfolge bezuschlagt wird. Die von den Antragsgegnerinnen festgesetzten Anforderungen sind vielmehr solche, die auf die Erfahrung, Ausstattung, Zertifizierung oder die Zulassung der Leistungserbringer, [...], abzielen. Wer diese Anforderungen erfüllt, dem steht der Vertragsabschluss mit den Antragsgegnerinnen jederzeit und zu denselben vertraglichen Konditionen offen. Wenn jedoch die "faktische Exklusivität" der potentiellen Vertragspartner nicht auf Zuschlagskriterien beruht, also auf solchen Kriterien, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen, ist der Schutzbereich des Vergaberechts nicht eröffnet; es fehlt bereits an einem "öffentlichen Auftrag" i.S.d. § 103 GWB (vgl. EuGH, Urteil vom 1. März 2018, Rs. C-9/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Oktober 2018, Verg 37/18). Der EuGH und die spätere nationale Vergaberechtsprechung haben bereits die hier vorliegende Problematik erkannt, dass Beitrittsvoraussetzungen, die ein Marktteilnehmer erfüllen muss, um an dem Vertragssystem der Antragsgegnerinnen teilnehmen zu können, wie eine Auswahlentscheidung wirken können. Denn denjenigen Wirtschaftsteilnehmern, die diese Beitrittsvoraussetzungen nicht erfüllen, ist von vornherein die Teilnahme an dem streitigen Vertragssystem versagt. Laut der bereits oben genannten Rechtsprechung führt jedoch auch eine solche "faktische Exklusivität" der (potentiellen) Vertragspartner nicht dazu, dass es sich um einen dem Vergaberecht unterfallenden öffentlichen Auftrag handelt.

 

Damit stehen die Antragstellerinnen nicht rechtsschutzlos da. Zuständig für die Entscheidung über die geltend gemachten Rechtsverstöße sind jedoch nicht die Vergabekammern, sondern die Sozialgerichte.

Fazit

Mangels Eröffnung des Vergaberechtsweges durfte die Vergabekammer die von den Antragstellerinnen geltend gemachten Rechtsverletzungen ihrer Ansicht nach nicht prüfen. Der vergaberechtliche Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz, § 97 GWB, oder das Verbot, Vergabeunterlangen missbräuchlich auszugestalten, auf die sich die Antragstellerinnen u.a. beriefen, waren hier mangels Vorliegen einer öffentlichen Auftragsvergabe und damit mangels Anwendbarkeit des Vergaberechts nicht einschlägig. Die Vergabekammer beruft sich auf die Entscheidung des EuGH vom 02.0602016 (Rs. C-310/14), in der dieser nach einem Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf (vom 13.08.2014 – Verg 13/13) auf der Grundlage der Richtlinie 2004/18/EG die Anwendung von Open-House-Verfahren auf Arzneimittel-Rabattverträge für vergaberechtfrei erachtete. Der EuGH entschied dann am 01.03.2018 (Rs. C-9/17), dass Eignungsanforderungen für Open-House-Verfahren keine Zuschlagskriterien und damit Auswahlkriterien für ein Angebot darstellen, wenn sie allein die fachliche Eignung der Bieter prüfen, nicht aber eine Auswahlentscheidung ermöglichen. Das Open-House-Verfahren müsse auch ohne Beachtung des Vergaberechts transparent und diskriminierungsfrei sein und den Grundsätzen des freien Wettbewerbs entsprechen.

 

Ein Problem aber haben öffentliche Auftraggeber mit der Beschaffung im Wege des Open-House-Verfahrens: Bei der Arzneimittelzulassung ist dieses Verfahren dadurch gesichert vergaberechtsfrei, weil nicht die Krankenkassen, sondern ein Dritter (Arzt, Apotheker oder Patient – und alle auch in der weiblichen Form) die Auswahlentscheidung für ein bestimmtes Produkt trifft. Da der öffentliche Auftraggeber eine Auswahlentscheidung vergaberechtsfrei aber nicht treffen darf, muss er entweder alle angebotenen Lieferungen und Leistungen abnehmen (das BMG wurde mit FFP-2-Masken überflutet) oder begibt sich in eine Grauzone wie aktuell die Autobahn GmbH bei der Beschaffung von Kontrollprüfungen im Straßenbau; die Verfahrensunterlagen schweigen sich darüber aus, wie die Niederlassungen der Autobahn GmbH den Leistungserbringer im Einzelfall bestimmen.

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04.05.2023

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