Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR
Ein Bieter muss nicht bereits die Ankündigung der Vergabestelle rügen, ihn vom weitere Vergabeverfahren auszuschließen, sondern erst den Ausschluss selbst, um der Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 GWB zu genügen. Dies entschied das OLG Jena im Beschluss vom 07.05.2024 –(Verg 3/24) und hob die entgegenstehende Entscheidung der VK Thüringen auf.
Sachverhalt
im Rahmen einer europaweiten Vergabe von Leistungen des Winterdienstes und der Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen eines Landkreises informierte die Vergabestelle einen Bieter über ihre Absicht, ihn nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 1 GWB wegen einer schwerwiegenden Täuschung von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen, und legte ihm die Gründe näher dar. Dem Bieter wurde bis zum 19.09.2023 Gelegenheit gegeben, Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme des Bieters ging bei der Vergabestelle nicht ein. Mit Schreiben vom 26.09.2023 schloss die Vergabestelle den Bieter von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren und sein Angebot von der Wertung aus. Zur Begründung führte sie aus, der Ausschluss erfolge gemäß § 42 Abs. 1 VgV i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 1 GWB wegen einer schwerwiegenden Täuschung in einem anderen Vergabeverfahren. Mit Schreiben vom 28.09.2023, der Vergabestelle spätestens am 29.09.2023 zugegangen, rügte der Bieter den Ausschluss und führte näher aus, dass die Vergabestelle das anwaltliche Bestellungsschreiben mit Fristverlängerungsgesuch außer Acht gelassen habe und überdies die Voraussetzungen für den Ausschluss wegen einer schwerwiegenden Täuschung nicht gegeben seien. Mit Schreiben vom 06.10.2023 half die Vergabestelle der Rüge nicht ab. In dem vom Bieter sodann beantragten Nachprüfungsverfahren verwarf die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig und führte zur Begründung aus, dass der Antragsteller mit seinem Rügevorbringen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert sei, denn er habe den seinem Rügeschreiben vom 29.09.2023 zugrunde gelegten Verstoß gegen Vergabevorschriften spätestens am 31.08.2023 erkannt, aber die Frist zur Stellungnahme verstreichen lassen und erst mit Schreiben vom 29.09.2023 seine Rüge erhoben. Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller die sofortige Beschwerde beim OLG Jena.
Entscheidung
Die gemäß § 171 Abs. 1 GWB statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Der Nachprüfungsantrag des Antragstellers ist nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB unzulässig. Der Senat macht auf der Grundlage des § 178 Satz 2 GWB von seinem Ermessen dahingehend Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Vergabekammer zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats über die Sache erneut zu entscheiden.
Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor der Einreichung des Antrages erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, weil der gerügte Verstoß in dem Ausschluss vom 26.09.2023 besteht, den der Antragsteller am 29.09.2023 gegenüber dem Antragsgegner gerügt hat.
Die Rüge des Antragstellers geht dahin, dass der Antragsgegner ihn von dem Vergabeverfahren und sein Angebot von der Wertung ausgeschlossen habe, obwohl die Voraussetzungen nach § 42 Abs. 1 VgV, 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB nicht gegeben seien. Es liege keine vorsätzliche Handlung seinerseits vor, die in Bezug genommene Täuschung sei wegen der zwischenzeitlich erlangten und damals bereits erwartbaren Genehmigung von Lagerkapazitäten und wegen des Zeitablaufes bis zum Ausschluss nicht als schwerwiegend anzusehen und sie spiele im vorliegenden Verfahren auch keine Rolle, da eine entsprechende Angabe hier nicht verlangt worden sei. Schließlich habe der Antragsteller eine Selbstreinigung nach § 125 GWB vorgenommen. Alles dies betrifft nicht die Anhörung vom 31.08.2023, sondern den Ausschluss vom 26.09.2023.
Für den Lauf der Präklusionsfrist ist nicht auf einen möglicherweise zu erwartenden Verstoß gegen Vergabevorschriften abzustellen, sondern auf den bereits eingetretenen oder vollzogenen Verstoß (Pünder - Nowak, Vergaberecht, 3. A., § 160 GWB, Rn. 51; Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht/Jaeger, 4. A., GWB § 160, Rn. 55).
Gegenstand einer Rüge nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB ist der Rechtsverstoß, der in einer dem Antragsteller zur Kenntnis gelangten Vergabeentscheidung des Auftraggebers oder in der Auftragsvergabe zum Ausdruck kommt. Wenn die Rügeobliegenheit daneben auch auf Zwischenentscheidungen und Vorbereitungshandlungen des öffentlichen Auftraggebers Anwendung finden soll, muss dies aus den Vorschriften, mittels derer die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Rechtsmittelrichtlinie umgesetzt haben, klar und eindeutig hervorgehen (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - C-456/08 -). § 160 Abs. 3 S. 1 GWB kann mit zureichender Deutlichkeit entnommen werden, dass sich die Rügeobliegenheit auch auf Zwischenentscheidungen (Vorfestlegungen) des Auftraggebers erstreckt. Die Rügeobliegenheit wird im Gesetz durch einen vom Antragsteller erkannten Verstoß gegen Vergabevorschriften begründet, und zwar einschränkungslos durch jeden realisierten Rechtsverstoß. Da Rechtsverstöße auch bei Zwischenentscheidungen vorkommen können, begründen diese bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Obliegenheit zur Rüge. Zwischenentscheidungen des Auftraggebers können z. B. liegen in der Auftragsbekanntmachung, in der Bekanntgabe der Vergabeunterlagen nebst Leistungsbeschreibung und Leistungsverzeichnis (einschließlich deren Änderung im laufenden Vergabeverfahren) oder in der dem Antragsteller vor einer Bieterinformation mitgeteilten Verfügung, seinen Teilnahmeantrag oder sein Angebot von der Wertung auszuschließen. Wesensmerkmal ist, dass es sich dabei um Entscheidungen des Auftraggebers handelt, die geeignet sind, mit Blick auf die Auftragschancen der Bewerber oder Bieter Rechtswirkungen zu entfalten. Diese Eigenschaft fehlt den eine Entscheidung lediglich vorbereitenden Akten des Auftraggebers. Diese unterliegen keiner Rügeobliegenheit. Es darf vielmehr abgewartet werden, ob sie sich denn in einem Vergaberechtsverstoß realisieren. Der Antragsteller ist nicht gehalten, ein künftig mögliches Fehlverhalten des Auftraggebers vorsorglich und gewissermaßen "auf Vorrat" zu rügen (Ziekow/Völlink/Dicks, 4. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 41); lediglich vorbereitende Handlungen des Auftraggebers unterfallen nicht der Rügeobliegenheit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. November 2012 - VII-Verg 11/12 -).
So liegt der Fall hier, denn das Anhörungsschreiben vom 31.08.2023 enthielt noch keine Vergabeentscheidung und auch keine Vorfestlegung, sondern sollte die noch zu treffende Entscheidung über den Ausschluss des Beschwerdeführers erst vorbereiten (vgl. a. Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. Juli 2009 - 1 Verg 2/09 -, zum Aufklärungsersuchen).
Fazit
Ebenso wenig wie einen vorsorglichen Nachprüfungsantrag gibt es eine Obliegenheit zu einer vorsorglichen Rüge, die zur Verhinderung bevorstehender Vergabeverstöße anzubringen wäre (Burgi/Dreher/Opitz/Vavra/Willner, Beck‘scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 47; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. September 2003 - 1 Verg 4/03 -). Für den Lauf der Präklusionsfrist des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB ist nicht schon ein zu erwartender Verstoß des Auftraggebers gegen Vergabevorschriften maßgebend, sondern erst der tatsächliche vollzogene oder eingetretene Verstoß.
Fazit
Entscheidungen wir diese (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22. Dezember 2021 - Verg 16/21) sind stets Einzelfallentscheidungen, die eine Abwägung der Vorgaben als Ganzes durch die Vergabeinstanz erfordern. Anders als bei der Beschaffung von Bauleistungen (vgl. § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A) fehlt es den Vergabeordnungen für Lieferungen und Leistungen an einer Regel für ungewöhnliche Wagnisse, deren Überbürdung auf den Bieter bei Bauleistungsvergaben unzulässig ist. Daher werden die Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB angewandt.
Entgegen der Ansicht der Vergabekammer Südbayern bestand nicht die Möglichkeit, das Risiko im Rahmen der Kalkulation des Zu- oder Abschlags auf das Gesamthonorar der Grundleistungen zu berücksichtigen. Würde die beschränkte Kalkulationsfreiheit bei den Stundenhonorarsätzen durch einen Risikozuschlag auf das Gesamthonorar der Grundleistungen ausgeglichen, führte dies zu einer vergaberechtlich unzulässigen Mischkalkulation (vgl. BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004, X ZB 7/04), denn nach dem Vertrag sind die zu erbringenden Grundleistungen kostenbasiert zu vergüten. Der geforderte oder gewährte Zu- oder Abschlag auf diesen Teil des Honorars betrifft die Vergütung für die nach dem Vertrag zu erbringenden Grundleistungen, nicht aber für zusätzlich zu erbringende und nach Stundensätzen zu vergütende Leistungen.
Neben den Orientierungssätzen des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr existieren noch weitere Orientierungshilfen für Stundensatzhonorare, beispielsweise von der Architektenkammer Berlin. Diese scheinen die Kostenstrukturen kleinerer Architektur- und Ingenieurbüros aktuell zutreffend zu berücksichtigen, sind aber bei langjähriger Bindung an heutige Stundensätze mit dem Risiko der Unterdeckung behaftet.
Mehr aus diesem Rechtsgebiet lesen
Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR
Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR
Unten finden Sie eine Auswahl von Fortbildungen zum Rechtsgebiet Vergaberecht.
Alle Onlineseminare zu Vergaberecht finden Sie hier
Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung
Fragen und Antworten