Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Eine nicht zufriedenstellende Preisaufklärung kann zum Angebotsausschluss führen

Eine Preisaufklärung ist nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz pflichtgemäßer Anstrengung des öffentlichen Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei angemessen und der Bieter sei in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß zu erfüllen. Dies entschied der Vergabesenat am OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 29.05.2020 (Verg 26/19).

 

 

 

Sachverhalt

 

Die Auftraggeberin schrieb europaweit im offenen Verfahren die Erbringung von Call-Center-Dienstleistungen mit einer Laufzeit von zwölf Monaten sowie einer dreimaligen Verlängerungsoption um jeweils ein Jahr aus. Im Zuge der Dienstleistungen sollten allgemeine Auskünfte über die Auftraggeberin sowie die Koordinierung der Erteilung konkreter Auskünfte über ein gesichertes E-Mail-Verfahren vom Auftragnehmer erteilt werden. Der Umfang der zu erbringenden Servicezeit belief sich auf 8.178 Stunden jährlich, die sich aus 300 flexibel zu jeder Uhrzeit abrufbaren und 7.878 festen Servicestunden zusammensetzten. In der Vergütung des Auftragnehmers war die Bearbeitung von jährlich 54.000 Anrufen als Pauschalpreis enthalten, wobei nach den Angaben der Auftraggeberin im Leistungsverzeichnis die geschätzte Bearbeitungsdauer je Anruf 2 Minuten und 30 Sekunden betrug. Über die in den monatlichen Pauschalen enthaltenen Anrufzahlen hinausgehende Anrufe sollten ebenfalls angenommen und vom Auftragnehmer bearbeitet werden. Nach den Besonderen Vertragsbedingungen sollten diese Anrufe nach Einzelpreisen vergütet werden. Als Zuschlagskriterien waren der Preis (70 %) und die Qualität (30 %), letztere bestehend aus vier Unterkriterien, vorgesehen. Fünf Bieterunternehmen, darunter die spätere Antragstellerin die spätere Beigeladene, reichten fristgerecht ein Angebot ein. Nach Abschluss der fachlichen Prüfung wurde das Konzept der Antragstellerin zum Unterkriterium „Mitarbeiterschulung“ mit null Punkten bewertet. Bei der Preisprüfung stellte die Auftraggeberin fest, dass der Angebotspreis der Antragstellerin erheblich sowohl vom nächstgünstigen Angebotspreis der Beigeladenen als auch von ihrer Auftragswertschätzung abwich. Sie forderte daraufhin die Antragstellerin auf, die Auskömmlichkeit ihres Preisangebots schriftlich zu bestätigen und konkret nachvollziehbar zu erläutern. Dieser Aufforderung kam die Antragstellerin fristgerecht nach. Im Vergabevermerk stellte die Auftraggeberin hierzu fest, dass die Begründungen der Antragstellerin zur Preiskalkulation die Zweifel hinsichtlich der Auskömmlichkeit des Preises nicht ausgeräumt hatten, weil mit den mitgeteilten Kalkulationsgrundlagen die geforderten Servicezeiten nicht abgedeckt werden konnten. Daher schloss die Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin aus diesem Grund und wegen der Bewertung des Qualität-Unterkriteriums „Mitarbeiterschulung“ aus und informierte die Antragstellerin, dass sie die Zuschlagserteilung auf das Angebot der Beigeladenen beabsichtige. Die Antragstellerin rügte daraufhin das Vorliegen diverser, sie als Mieterin benachteiligen der, jedoch bereits aus den Vergabeunterlagen hervorgehen der Umstände und auch, dass sie Angebot wegen vermeintlicher Unauskömmlichkeit ausgeschlossen werde. Da die Auftraggeberin der Rüge nicht abhalf, beantragte die Antragstellerin bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer wies die bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbaren Rügen als präkludiert und den Nachprüfungsantrag insoweit als unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurück . Hiergegen wandte sich die Antragstellerin an den Vergabesenat des OLG Düsseldorf mit der sofortigen Beschwerde.

 


Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig, im Übrigen jedoch unbegründet. Die Antragsgegnerin durfte das Angebot der Antragstellerin ausschließen, weil die geringe Höhe des angebotenen Preises nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden konnte. Nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV darf der öffentlichen Auftraggeber den Zuschlag auf ein Angebot ablehnen, wenn er nach Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und 2 VgV die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären konnte. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Angebot der Antragstellerin erscheint ungewöhnlich niedrig im Sinne von § 60 Abs. 1 VgV. Die Antragstellerin hat ihren Preis trotz ordnungsgemäßer Aufforderung der Antragsgegnerin auch nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist zufriedenstellend aufgeklärt. Die Ausschlussentscheidung der Antragsgegnerin ist dabei frei von Ermessensfehlern.

 


Die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, in eine Preisaufklärung einzutreten, kann sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten aber auch aus Erfahrungswerten, insbesondere aus Erkenntnissen aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen oder aus einem Vergleich mit der eigenen Auftragswertschätzung des Auftraggebers ergeben. Der Antragsgegnerin hat die gebotene Preisaufklärung auch ordnungsgemäß durchgeführt. Der öffentliche Auftraggeber hat mittels der in § 60 Abs. 2 VgV vorgeschriebenen Aufklärung dem betroffenen Bieter die Möglichkeit zu geben, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften oder beachtliche Gründe aufzuzeigen, dass sein Angebot annahmefähig ist. Dafür hat er an den Bieter eine eindeutig formulierte Anforderung zu richten, mit der Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlangt werden und Gelegenheit gegeben wird, die „Seriosität“ des Angebots nachzuweisen. Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin genüge getan. Ihre Aufforderung zur Preisaufklärung an die Antragstellerin war unmissverständlich darauf gerichtet, die Auskömmlichkeit deren Angebots zu bestätigen und durch Vorlage nachvollziehbarer Angaben zur Kalkulation zu erläutern. Aus dieser Aufforderung war für die Antragstellerin unzweifelhaft erkennbar, dass es der Antragsgegnerin auf die Darlegung der Kalkulationsgrundlagen einschließlich der für die Auftragsausführung eingesetzten personellen Ressourcen ankam. Das Ergebnis der Preisaufklärung, dass Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin bestehen, kam beurteilungsfehlerfrei zustande. Eine Aufklärung ist dann nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz pflichtgemäßer Anstrengung des öffentlichen Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei angemessen und der Bieter sei in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Dadurch soll im Interesse des öffentlichen Auftragsgebers vermieden werden, dass solche Bieter den Zuschlag erhalten, die wegen des niedrig kalkulierten Preises nicht in der Lage sind, den Vertrag zu Ende zu führen. Die Notwendigkeit der Begründung eines ungewöhnlich niedrigen Preises zielt im Kern darauf ab, Zweifel an der vertragskonformen Zuverlässigkeit des Bieters auszuräumen. Neben rechnerischen Unklarheiten betrifft die Preisaufklärung auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots. Auch auf Unterkostenangebote kann der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag erteilen, wenn der Bieter mit der Preisbildung wettbewerbskonforme Ziele verfolgt und nachweisen kann, trotz unauskömmlich kalkulierten Preises den Auftrag zu erfüllen. Die Entscheidung darüber prognostiziert der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse, wobei ihm ein dem Beurteilungsspielraum rechtsähnlicher „Wertungsspielraum“ zukommt, der von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüfbar ist, ob der Auftraggeber seiner Entscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat und aufgrund sachgemäßer und sachlich nachvollziehbarer Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Bieter nicht zuverlässig wird leisten können. Daran gemessen hat die Antragsgegnerin die Erläuterungen der Antragstellerin beurteilungsfehlerfrei als nicht zufriedenstellend angesehen. Der Antragstellerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, wie sie mit den von ihr eingesetzten Mitarbeiterinnen die in der Leistungsbeschreibung geforderte jährliche Servicezeit abdecken könne. Zwar die Antragstellerin nachvollziehbar erläutert, dass für die Bearbeitung des geschätzten jährlichen Anrufaufkommens die von ihr genannten Vollbeschäftigungseinheiten auskömmlich sind; sie hat aber nicht nachgewiesen, dass sie mit den von ihr kalkulierten Mitarbeiterinnen bei der in ihrer Kalkulation zugrunde gelegten Arbeitswoche von 40 Stunden, einem Jahresurlaub von mehr als 20 Tagen und einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von mehreren Tagen pro Mitarbeiterin die in der Leistungsbeschreibung geforderten Servicezeiten abdecken könne. Es ergab sich vielmehr lediglich eine Abdeckungsquote von ca. 90 %. Damit beruht die Prognose der Antragsgegnerin, die Antragstellerin werde mit den eingesetzten Personalressourcen zur ordnungsgemäßen Auftragsdurchführung nicht in der Lage sein, nicht auf einer falschen Tatsachenbasis. Damit hat die Antragsgegnerin ihr Ausschlussermessen fehlerfrei ausgeübt.

 


Fazit

Dem öffentlichen Auftraggeber ist bei der Entscheidung über den Angebotsausschluss ein Ermessen eingeräumt. Die Ablehnung des Zuschlags ist grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Warum die Antragsgegnerin ihre Prognoseentscheidung über die Ordnungsgemäßheit der Auftragserfüllung trotz unterdeckt kalkulierten Preises allerdings zulasten der Antragstellerin fällte, geht aus den Entscheidungsgründen nicht hervor. Möglicherweise fehlte der Antragsgegnerin der Eindruck, bei der Antragstellerin handele es sich um ein beispielsweise ausreichend großes oder in einen Konzern eingebundenes Unternehmen, das auch mit unterdeckt kalkulierten Preisen einen solchen Auftrag abwickeln können und wolle, um etwa eine Referenz dieses öffentlichen Auftraggebers zu erhalten.

 

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31.08.2021

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