Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR
Über die Notwendigkeit der Beiziehung eines Rechtsbeistands in einem Vergabenachprüfungsverfahren wird nicht schematisch, sondern im Einzelfall entschieden. Die Behandlung lediglich auftragsbezogener Sach- und Rechtsfragen, die der Auftraggeber ohnehin in seinem originären Aufgabenkreis organisieren muss, spricht gegen die Notwendigkeit der Beiziehung eines Rechtsbeistands durch ihn. So entschied das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 07.08.2023 - Verg 6/23.
Sachverhalt
Die spätere Antragsgegnerin schrieb im offenen Verfahren den Abschluss eines Rahmenvertrages über Reinigungsleistungen im Bundesverwaltungsgericht für den Zeitraum vom 1. April 2023 bis zum 31. März 2027 europaweit aus. Der Auftrag war in zwei Lose unterteilt. Vorliegend streitgegenständlich war Los 1, Unterhaltsreinigung. Neben dem Preis mit 40 Prozent sollten die qualitativen Kriterien Verweildauer je Quadratmeter mit 20 Prozent, unproduktive Stunden mit 10 Prozent und das Umsetzungskonzept mit 30 Prozent gewertet werden. Neben der späteren Antragstellerin und der späteren Beigeladenen gaben noch weitere Bieter Angebote ab. Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin nach § 134 GWB, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei, und beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen am 17. Januar 2023 zu erteilen. Nach Nachfragen zu ihrer Bewertung rügte die Antragstellerin am 12. Januar 2023 die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene, die Wertung ihres Angebots sei fehlerhaft. Mit Antwortschreiben vom 13. Januar 2023 wies die Antragsgegnerin die Rügen zurück und erteilte der Beigeladenen am 16. Januar 2023 um 15:03 Uhr den Zuschlag.
Ebenfalls am 16. Januar 2023 hatte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag eingereicht, der der Antragsgegnerin allerdings erst um 15.22 Uhr übermittelt worden war. Nach Mitteilung von der Zuschlagserteilung hat die Antragstellerin ihr Begehren geändert und Feststellung der Unwirksamkeit des Vertragsschlusses nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB beantragt, weil im Vorabinformationsschreiben der früheste Zeitpunkt des Zuschlags mit 17. Januar 2023 angegeben gewesen sei. Zur Bewertung hat sie ausgeführt, dass die Erläuterung der Bewertungsformel in Bezug auf die unproduktiven Stunden widersprüchlich und auch die Wertung ihres Angebots nicht frei von Fehlern sei. So sei eine Bedarfsposition nur mit 30 Prozent berücksichtigt worden. Hinsichtlich der Verweildauer seien alle Räume und nicht nur die als wertungsrelevant definierten in die Wertung eingeflossen. Dem sind die Antragsgegnerin und die Beigeladene entgegengetreten. Der Antrag sei bereits unzulässig. Der Zuschlag sei wirksam erteilt, die zehntägige Frist nach § 134 GWB sei abgelaufen gewesen. Zudem sei das Angebot der Antragstellerin aufgrund seines hohen Preises ohnehin chancenlos gewesen. Auch sei sie mit ihren Rügen präkludiert, da sie nicht bis zur Angebotsabgabe angebracht worden seien. In der Sache, so die Antragsgegnerin, habe die Bewertung der Bedarfsposition mit 30 Prozent keinen Einfluss auf die Platzierung. Die bei der Verweildauer mitberücksichtigten Flurflächen gehörten untrennbar zu den wertungsrelevanten Treppenhäusern.
Mit Beschluss vom 23. Februar 2023 hat die Vergabekammer unter hälftiger Teilung der Kosten die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses mit der Beigeladenen festgestellt und der Antragsgegnerin die Wiederholung der Wertung aufgegeben. Dabei hat sie die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin - anders als bei der Antragstellerin und der Beigeladenen - verneint. Der erteilte Auftrag sei unwirksam, da die im Informationsschreiben nach § 134 GWB mitgeteilte Wartefrist nicht eingehalten worden sei. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei die dort mitgeteilte Frist auch dann einzuhalten, wenn sie länger als die gesetzliche Mindestfrist sei. Soweit die Antragstellerin die Wertung ihres Angebots beanstande, sei ihr Nachprüfungsantrag zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin habe den Preis nicht gemäß den bekanntgemachten Maßstäben ermittelt und auch bei Bewertung der Verweildauer sowie der unproduktiven Stunden nicht die bekanntgemachten Maßstäbe angewandt. Soweit die Antragstellerin die Grundlagen der Ausschreibung rüge, sei sie damit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Die von ihr begehrte Rückversetzung in den Zeitpunkt vor Angebotsabgabe sei daher nicht veranlasst Von daher sei es auch billig, den Beteiligten die Kosten zu je 50 Prozent aufzuerlegen. Dabei sei allerdings nur die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und der Beigeladenen notwendig gewesen. Die konkrete Anwendung der von ihr vorgegebenen Wertungskriterien gehöre zum originären Aufgabenkreis der Antragsgegnerin und sei daher von ihr selbst zu leisten. Das gelte auch für die Beurteilung der Rügeobliegenheit und Einhaltung der Vorgaben des § 134 GWB.
Hiergegen wendete sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde zum OLG Düsseldorf, soweit die Notwendigkeit der Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten verneint worden ist. Sie trägt vor, aufgrund der bestehenden Vertretungsregelung sei das Bundesverwaltungsgerichts gezwungen gewesen, entweder aus sich selbst heraus eine Vertretung ihrer Interessen zu versuchen oder sich fachanwaltlich vertreten zu lassen. Beim Bundesverwaltungsgericht seien aber lediglich zwei Mitarbeitende des gehobenen Dienstes im Referat Haushalt und Beschaffungen für Vergabeverfahren zuständig. Auch außerhalb dieses Referats seien im Bundesverwaltungsgericht keine tiefergreifenden vergaberechtlichen Kenntnisse vorhanden. Generell sei das Vergaberecht eine schwierig gelagerte, komplexe Rechtsmaterie, bei der erst die große Erfahrung und hohe Spezialisierung von Fachanwälten eine optimale Rechtsverteidigung garantiere. Auch vorliegend habe es sich um nicht ganz einfach gelagerte verfahrenstechnische und rügetechnische Fragen gehandelt, wie etwa, ob ein wirksamer Vertragsschluss erfolgt und ob die Antragstellerin mit ihren Rügen präkludiert sei. Auch die Frage der Bewertung der unproduktiven Stunden sei rechtlich schwierig gewesen. Nicht umsonst sei die Sitzung für eine Zwischenberatung der Verfahrensbeteiligten unterbrochen worden, in der sich für sie schwierige prozesstechnische Fragen gestellt hätten und Risiken abzuwägen gewesen seien.
Entscheidung
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, weil sich die Beschwerde nur gegen eine Nebenentscheidung der Vergabekammer richtet (OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. Januar 2019, 19 Verg 5/18, BeckRS 2019, 129 Rn. 11; Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013, Verg 40/12, BeckRS 2014, 3553), ist zulässig, aber unbegründet. Die Vergabekammer hat die Notwendigkeit einer Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu Recht verneint. Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG sind auch die Gebühren und Auslagen des Verfahrensbevollmächtigten des Beigeladenen erstattungsfähig, wenn dessen Hinzuziehung im Verfahren vor der Vergabekammer in Anbetracht der dort aufgetretenen Schwierigkeiten im Ergebnis notwendig war. Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 - Polizeianzüge; Senatsbeschlüsse vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34 und vom 15. Mai 2018, VII-Verg 58/17; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen, wobei neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein können (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 - Polizeianzüge). Für den Bereich des Vergaberechts ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass für den öffentlichen Auftraggeber als Antragsgegner bei der Klärung von rein auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen oftmals keine Notwendigkeit der anwaltlichen Beratung besteht (BT-Drs. 16/10117, S. 25). Sofern im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen stehen, spricht im Allgemeinen mehr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis ohnehin organisieren muss und daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten bedarf (OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). In seinem originären Aufgabenbereich muss er sich die für ein Nachprüfungsverfahren notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse grundsätzlich selbst verschaffen; er kann dies nicht auf einen Rechtsanwalt abwälzen (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2019, VII-Verg 9/18, BeckRS 2019, 40267 Rn. 20). Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen war die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin nicht notwendig.
Fazit
Die Vergabestelle war hier der oberste Gerichtshof des Bundes für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, der über hochqualifizierte Juristen verfügt. Zudem gehört die Vergabestelle zum Fachbereich des Bundesministeriums der Justiz, welches über ein zentrales Vergabemanagement verfügt. Verfahrensgegenständlich waren hier solche Fragen der Anwendung des Vergaberechts, die zum originären Aufgabenkreis der Vergabestelle gehören. Dass eine selbstgesetzte Frist einzuhalten ist, bedarf keiner anwaltlichen Beratung. Auch Antragsbefugnis und Rügeobliegenheiten sind vergaberechtlicher Standard, ebenso die Auslegung der Vergabeunterlagen und die Bewertung der Angebote. Die Beteiligung eines Rechtsanwalts kann notwendig sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren nicht einfach gelagerte Rechtsfragen, insbesondere verfahrensrechtlicher oder solcher Art stellen, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeordnungen zu entscheiden sind. Dann erst kann berücksichtigt werden, inwieweit die Vergabestelle über geschultes Personal und Erfahrung mit Vergabeverfahren verfügt, da verwaltungsinterne Möglichkeiten der Rechtsberatung genutzt werden müssen. Schließlich kann dann auch der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit in die Notwendigkeitsprüfung einfließen.
Mehr aus diesem Rechtsgebiet lesen
Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR
Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR
Unten finden Sie eine Auswahl von Fortbildungen zum Rechtsgebiet Vergaberecht.
Alle Onlineseminare zu Vergaberecht finden Sie hier
Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung
Fragen und Antworten