Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Kann im Wege des Nachprüfungsverfahrens der Zuschlag aufgehoben werden?

Der Vergaberechtsschutz kann nur in einem bereits begonnenen und noch laufenden Vergabeverfahren gewährt werden. Ein wirksam erteilter Zuschlag kann von der Nachprüfungsinstanz nicht aufgehoben werden. Die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer de-facto-Vergabe setzt die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB voraus. Dies entschied das OLG Naumburg im Beschluss vom 11.10.2024 –(6 Verg 2/24).

 

 

Sachverhalt:


Der spätere Antragsgegner, eine Mittelbehörde des Landes, leitete ein Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb zur Vergabe von Rahmenvereinbarungen über Ingenieurleistungen, betreffend die baufachlichen Prüfungen bei Zuwendungen für Baumaßnahmen im Land Sachsen-Anhalt gemäß den baufachlichen Ergänzungsbestimmungen zu den Verwaltungsvorschriften zu § 44 LHO (ZBau) ein. Der Auftrag mit einer geschätzten Netto-Auftragssumme von 9,6 Millionen Euro war in drei Lose unterteilt; dabei beinhaltete das Los 1 den Bereich der Wasserversorgungsanlagen, das Los 2 den Bereich der Abwasseranlagen und das Los 3 den Bereich der Energieanlagen. Die Rahmenvereinbarungen sollten jeweils eine Laufzeit vom jeweils von drei Jahren haben, wobei jeweils eine Verlängerungsoption für ein Jahr vorgesehen war. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. In der Bekanntmachung (in Abschnitt IV.1.3) war aufgeführt, dass sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern betraf. Jeder Bieter konnte ohne Limitierung auf ein, mehrere oder alle Lose anbieten. Ein Entwurf der Rahmenvereinbarung war den Vergabeunterlagen beigefügt.


Innerhalb der Teilnahmefrist gingen zwei Teilnahmeanträge ein, von der späteren Antragstellerin und von der späteren Beigeladenen, die beide vom Antragsgegner als geeignet angesehen und zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wurden. Der Antragsgegner führte jeweils ein Gespräch mit den beiden Bewerbern; nach dem Inhalt seiner gefertigten Niederschriften zu diesen Gesprächen wies der Antragsgegner die Antragstellerin bzw. die Beigeladene jeweils darauf hin, dass es allgemein und auch durch mehrere Vertragspartner zu Interessenkonflikten kommen könne, welche vom jeweils beliehenen Dritten zu beachten seien; insoweit solle eine "Befangenheitsklausel" in der Rahmenvereinbarung nachgetragen werden. Es sei eine Prüfung notwendig, ob durch mögliche Befangenheit des Erstplatzierten ggf. ein zweiter beliehener Dritter gefunden werden sollte, um bei Befangenheit des Erstplatzierten reagieren zu können. Beide Teilnehmer beteiligten sich jeweils mit einem Hauptangebot für jedes Los. Die Hauptangebote der Beigeladenen waren dabei jeweils preisgünstiger als die Hauptangebote der Antragstellerin. In seinem Vergabevermerk "Entscheidung über den Zuschlag" gab der Antragsgegner an, dass der Auftrag für sämtliche Lose jeweils sowohl auf das Hauptangebot der Beigeladenen als auch auf das Hauptangebot der Antragstellerin erteilt werden solle. Der Antragsgegner informierte jeden der beiden Bieter darüber, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf seine Hauptangebote zu erteilen. Aus den Vorabinformationsschreiben ging nicht hervor, dass der Zuschlag auf die Hauptangebote zweier Bieter je Los erteilt werden sollte und in welchem Rangverhältnis die bezuschlagten Hauptangebote zueinander standen. Der Antragsgegner übersandte sodann beiden Bieter ein gleichlautendes Zuschlagsschreiben, bezogen auf die Hauptangebote zu allen drei Losen. Das Zuschlagsschreiben enthielt Anlagen, darunter eine „finale Rahmenvereinbarung mit Änderungen zum Entwurf", welche sich auf den Auftrag zu Los 1 bezog. In der Rahmenvereinbarung wurde der Gegenstand der Vereinbarung neu beschrieben: statt "für Investitionsvorhaben, welche mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) sowie des Just Transition Fund (JTF) gefördert werden ..." lautete es nunmehr "für Investitionsvorhaben, welche mit Mitteln des Lan-des gefördert werden ...". Weitere Änderungen betrafen die Modalitäten zur Abrechnung der Einzelaufträge, den zu gewährleistenden Datenschutz sowie Prüfungsrechte des Landesrechnungshofes. Außerdem wurde zusätzlich eine Regelung für den Umgang mit Interessenkonflikten des Auftragnehmers aufgenommen. Das Zuschlagsschreiben enthielt keine Information darüber, dass der Zuschlag jeweils auf zwei Hauptangebote unterschiedlicher Bieter erteilt wurde. Weil die Antragstellerin noch Aufklärungsbedarf hinsichtlich der neuen Anlagen hatte, unterzeichneten zunächst der Antragsgegner und die Beigeladene die drei Rahmenvereinbarungen und schloss die Beigeladene mit dem Land einen Beleihungsvertrag. Später erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen zwei Einzelaufträge.


Die Antragstellerin rügte, dass der Zuschlag auf gegenüber den Vergabeunterlagen modifizierten - Rahmenvereinbarungen eine vergaberechtswidrige de facto-Vergabe darstelle. Das Vergabeverfahren sei intransparent geführt worden, weil der Antragsgegner nicht offengelegt habe, dass er den Abschluss von Rahmenvereinbarungen jeweils mit mehreren Auftragnehmern anstrebe. Es liege außerdem nahe, dass eine mangelhafte Dokumentation des Vergabeverfahrens vorliege und der Antragsgegner gegen das Vertraulichkeitsgebot verstoßen habe. Nach ergebnislosen Gesprächen mit dem Antragsgegner und dessen Zurückweisung der Rüge  beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie beantragte u.a. hilfsweise die Feststellung der Unwirksamkeit der Verträge für den Fall, „dass die Antragsgegnerin den Zuschlag erneut erteilt habe“.


Die VK Sachsen -Anhalt wies den Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung als ins-gesamt unzulässig zurück. Bereits erteilte Zuschläge könne sie als Vergabekammer nicht auf-heben. Im Hinblick auf den vorgenannten Antrag sei der Vertrag nicht mit dem Zuschlag der Antragsgegnerin, sondern erst mit Annahme des im Zuschlag liegenden geänderten Angebots durch die Beigeladene zustande gekommen. Hiergegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde zum Vergabesenat des OLG Naumburg u.a. mit dem Antrag ein, den mit der Bei-geladenen geschlossenen Beleihungsvertrag als de-facto-Vergabe für unwirksam zu erklären, ein.


Entscheidung


Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Antrag, mit dem sich die Antragstellerin gegen die Wirksamkeit der Beleihungsverträge wende, ist nicht statthaft. Grundsätzlich kann der Primärrechtsschutz nur bis zur Zuschlagserteilung geltend gemacht werden; ein wirksam erteilter Zuschlag beendet das Vergabeverfahren und ist irreversibel. Mit der Vorschrift des § 135 GWB hat der Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit eröffnet, eine Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 1 bis 4 GWB - nicht etwa nur eines Zuschlags - dann, wenn die Voraussetzungen einer der Alternativen des § 135 GWB erfüllt sind, in einem Vergabenachprüfungsverfahren festzustellen zu lassen. Im Fal-le einer Feststellung der Unwirksamkeit des durch Zuschlag oder in anderer Weise zustande gekommenen öffentlichen Auftrags erhält der Antragsteller eine sog. "zweite Chance" auf den Zuschlag, weil der Antragsgegner bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein neues Vergabeverfahren einleiten muss (vgl. zusammenfassend auch: Maimann in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 135 Rn. 1). Diese Vorschrift ist entsprechend auf den Abschluss einer Rahmenvereinbarung i.S.v. § 103 Abs. 5 GWB anwendbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.08.2021 - VII-Verg 52/20 - VergabeR 2022, 554; vgl. auch Glahs in: Reidt/ Stickler/Glahs, GWB, § 134 Rn. 11). Soweit die Antragstellerin sich auch gegen die Wirksamkeit des zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossenen Beleihungsvertrages wendet, ist der Nachprüfungsantrag nicht statthaft. Denn der Beleihungsvertrag ist nicht im Rahmen des Vergabeverfahrens geschlossen worden; er diente bereits der Umsetzung und Abwicklung der drei zuvor geschlossenen Rahmenvereinbarungen. In Bezug auf das Vergabeverfahren kam ihm keine - etwa verfahrensbeendende - Wirkung zu. Der Abschluss des Beleihungsvertrages erfolgte auch nicht etwa als eine de facto-Vergabe, denn sein Gegenstand ist die Übertragung von hoheitlichen Befugnissen und nicht die Beauftragung mit entgeltlichen Dienstleistungen. Hinsichtlich der Geltendmachung der Unwirksamkeit der drei mit der Beigeladenen geschlossenen Rahmenverträge fehlt es der Antragstellerin an der Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB. Der Zugang zum Nachprüfungsverfahren mit dem Antragsziel des § 135 GWB ist in persönlicher Hinsicht, wie jedes andere Nachprüfungsverfahren, beschränkt durch das Erfordernis der Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB (vgl. Kühnen in: Byok/Jaeger, GWB, 4. Aufl. 2018, § 135 Rn. 24 ff. m.w.N.; Maimann, a.a.O., § 135 Rn. 22 ff. m.w.N.). Nach § 160 Abs. 2 GWB hat der jeweilige Antragsteller neben seinem Interesse am Auftrag und dem Vorliegen von Rechtsverletzungen bieterschützender Vergaberechtsnormen jedoch weiter darzulegen, dass ihm durch den behaupteten Vergabeverstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, wobei der Schaden i.S. dieser Rechtsvorschrift in einer möglichen Verschlechterung seiner Zuschlagsaussichten besteht. Hat der gerügte Verstoß, ggf. gemeinsam mit weiteren, ebenfalls gerügten Vergabeverstößen, die Chancen des jeweiligen Antragstellers nicht beeinträchtigt und ist er damit folgenlos geblieben, ist der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis unzulässig (vgl. Maimann, a.a.O., § 135 Rn. 26 f. und 14; Glahs, a.a.O., § 135 Rn. 20). Eine zumindest drohende Verschlechterung der Zuschlagsaussichten ist hier nach dem Vorbringen der Antragstellerin auszuschließen. Eine Beeinträchtigung der Zuschlagschance der Antragstellerin durch die fehlende Auftragsbekanntmachung ist wegen ihrer Beteiligung am Vergabeverfahren ausgeschlossen.
 

 

Fazit


Der Vergabesenat hat seine Entscheidung auch auf folgenden Gedanken gestützt: Der Vergabeverstoß mache weder den Vertragsschluss zivilrechtlich unwirksam noch habe er wegen § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB vergaberechtlich die Unwirksamkeit zur Folge. Für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge normiere § 18 EU Abs. 2 VOB/A ausdrücklich, dass ein solcher Vertragsabschluss als Beendigung des Vergabeverfahrens in Betracht kommt. Für den Abschluss eines Dienstleistungs- bzw. Liefervertrages könne nichts Anderes gelten. Schließlich sei der aus dem Zivilrecht entlehnte Rechtsgedanke des wirksamen Abschlusses einer Vertragsverhandlung durch die Annahme eines modifizierten Angebots auch auf die Beendigung des Vergabeverfahrens betreffend Rahmenvereinbarungen über Dienstleistungen durch die Annahme eines modifizierten Zuschlags ohne weiteres übertragbar (ebenso Mentzinis in: Pünder/Schellenberg, VergabeR, 3. Aufl. 2019, § 135 Rn. 15). Hiergegen hat die 2. VK Bund (Beschluss vom 06.05.2003 - Az.: VK 2 - 28/03) bereits vor längerer Zeit klargestellt, dass die Norm des § 18 EU Abs. 2 VOB/A allein zum Schutz des Zuschlagsempfängers vor den Änderungen seines Angebots im Zuschlagsschreiben diene und ihr kein weitergehender Regelungsgehalt, wie etwa das Änderungsrecht des Auftraggebers an den Vergabeunterlagen am Schluss des Vergabeverfahrens zukomme.


Im Ergebnis scheiterte das Nachprüfungsverfahren unter Bezugnahme auf eine de-facto-Vergabe daran, dass die Antragstellerin am Vergabeverfahren teilgenommen hat und ohne die vom Vergabesenat wohl als marginal angesehenen Änderungen ihre Chance auf den Zuschlag nicht hätte verbessern können.

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16.04.2025

Informationen

OLG Naumburg
Urteil/Beschluss vom 11.10.2024
Aktenzeichen: 6 Verg 2/24

Fachlich verantwortlich

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