Armin Preussler FA f. Bau- u. ArchitektenR und VergR

Gebot der Losaufteilung

Die Berücksichtigung mittelständischer Interessen erfolgt grundsätzlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose. Eine Gesamtvergabe ist nur als Ausnahme aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen möglich. Die entsprechende Abwägung des Auftraggebers hat auch zu berücksichtigen, dass Wettbewerb in einem von früheren Monopolstrukturen geprägten Marktsegment im Zweifel nur durch eine Losbildung gefördert werden kann. Dies entschied das OLG Düsseldorf im Beschluss vom 30.09.2022 (Az. Verg 40/21).

 

Sachverhalt

Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin ist eine bundesweit tätige gesetzliche Krankenkasse. Sie schrieb im offenen Verfahren einen Rahmenvertrag über Postdienstleistungen, die die Abholung an ihrem Hauptsitz, die Beförderung und die Zustellung umfassen, mit einer Laufzeit von 48 Monaten EU-weit aus. Der Auftrag war in zwei Lose unterteilt. Los 1 umfasste bundesweit zuzustellende Standardbriefe mit maschineller Freimachung mit durchlaufender Nummerierung und einer aufsteigenden Sortierung nach Leitregionen. Los 2 betraf bundesweit zuzustellende Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefe mit maschineller Freimachung ohne durchlaufende Nummerierung, die ausschließlich nach Formaten sortiert sind.

 

Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit waren zwei vergleichbare Referenzaufträge mit mindestens zweijähriger Laufzeit und durchschnittlich mindestens 80 Prozent des im jeweiligen Los anfallenden Sendungsvolumens nachzuweisen. Nach der Leistungsbeschreibung mussten im Jahresdurchschnitt mindestens 80 Prozent der Sendungen an dem auf die Einlieferung folgenden Werktag und mindestens 95 Prozent bis zum zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag zugestellt sein; die Zustellung aller Sendungen musste spätestens vier Tage nach Einlieferung vollständig erfolgt sein. Neben dem mit 50 Prozent gewichteten Preis sollten auch qualitative Aspekte eines mit dem Angebot einzureichenden Konzepts wie Laufzeitquote, Umgang mit Zustellungshemmnissen und Reklamationen mit ebenfalls 50 Prozent in die Bewertung eingehen.

 

Die Antragstellerin ist ein mittelständischer Postdienstleister, der regional tätig ist. Für Zustellungen außerhalb des eigenen Tätigkeitsbereichs kooperiert sie mit Partnerunternehmen im gesamten Bundesgebiet. Die Antragstellerin rügte das Unterlassen einer Losbildung mit Blick auf Zustellregionen und das Unterlassen einer Sortierung nach Leitregionen als vergaberechtswidrig, da hierdurch regionale Postdienstleister wie sie benachteiligt würden. Die Ausschreibung sei auf die … zugeschnitten. Dies gelte auch für die Bewertung der Zustellzeiten und den Punktabzug für mehrfache Stempellungen. Die Antragsgegnerin wies diese Rügen zurück. Eine Losbildung nach Leitregionen sei nicht üblich. Bei 100 Leitregionen führe sie auch zu einer unwirtschaftlichen Bildung einer Vielzahl von Losen. Ein Zuschnitt von Gebietslosen auf bestimmte Unternehmen könne nicht verlangt werden. Sie sei auch weitgehend frei, welche Qualität der Leistung sie etwa im Hinblick auf Laufzeiten der Sendungen fordere.

 

Die Laufzeit habe auch nicht ein solches Gewicht, dass jedes eine Zustellquote von 85 und mehr nicht erreichendes Angebot chancenlos wäre. Die von ihr insoweit verlangten Laufzeitmessungen in der Vergangenheit dienten der Überprüfung der Bieterangaben. Nach einer nochmaligen Bekräftigung ihrer Rügen mit zwei Anwaltsschreiben reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag ein, zu dessen Begründung sie ihre vorgenannten Rügen wiederholte und vertiefte. Die Antragsgegnerin habe das Vergabeverfahren durch den Verzicht auf die Bildung von Teillosen für die einzelnen Postleitregionen und die Forderung von 80 Prozent Zustellungen am Folgetag auf die … zugeschnitten und hindere so kleinere und mittlere Wettbewerbsunternehmen wie sie an der Angebotsabgabe. Die 1. Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 15.07.2021 - VK 1-54/21) untersagte der Antragsgegnerin eine Zuschlagserteilung und gab ihr bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Wiederholung des Vergabeverfahrens auf. Gegen diese Entscheidung legte die Antragsgegnerin fristgerecht sofortige Beschwerde ein.

 

Entscheidung

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt und mit ihrer von der Vergabekammer beschiedenen Rüge auch nicht präkludiert. Die in Süddeutschland ansässige Antragstellerin hat in ihrem Rügeschreiben ihr Interesse an der Übernahme der Postzustellung im süddeutschen Raum bekundet, was ihr jedoch im Hinblick auf die unterbliebene Bildung von Teillosen mit Blick auf die Zustellgebiete verwehrt sei, zumal noch eine schnelle Zustellung gefordert sei, die ihr nur im süddeutschen Raum möglich sei. Dieses Vorbringen ist plausibel. Ein regional tätiger Postdienstleister kann selbst naturgemäß nur in seiner Region Postzustellungen erbringen und wird daher durch eine nicht in Gebietslose unterteilte Ausschreibung für bundesweit zu erbringende Postdienstleistungen an der Abgabe eines Angebots gehindert.

 

Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber auf die Werbung der Antragstellerin mit einem bundesweiten Zustellnetz verweist, beruht dieses auf der Kooperation mit 120 Partnern. Auf eine solche Möglichkeit einer Abwicklung überwiegender Teile des Auftrags über "Nachunternehmer" und Teilleistungs- oder Konsolidierungsaufträge kann ein interessiertes Unternehmen aber nicht verwiesen werden, weil ihm dann kaum noch ein praktisch wirksamer wettbewerblicher Spielraum bleibt (OLG Schleswig, Beschlüsse vom 25. Januar 2013, 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395, 398, und vom selben Tage, 1 Verg 8/12, ZfBR 2013, 294, 295). Unmittelbar beeinflussen kann die Antragstellerin nur die von ihr selbst in Süddeutschland zu erbringenden Zustellleistungen, deren Anteil bei einer anzunehmend gleichmäßigen Verteilung des Sendungsvolumens über das Bundesgebiet hinter dem über ihre Kooperationspartner zu erbringenden zurücktritt, weshalb ihr Vorbringen, durch die unterbliebene Gebietslosaufteilung an einem Angebot gehindert zu sein, auch insoweit plausibel bleibt.

 

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragsgegnerin hat gegen das Gebot der Berücksichtigung mittelständischer Interessen durch Aufteilung der Menge in Teillose gemäß § 97 Abs. 4 GWB verstoßen, indem sie es unterlassenen hat, auf Zustellgebiete bezogene Gebietslose zu bilden. Die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, sind durch die Losbildung auszugleichen (BT-Drs. 16/10117 Seite 15). Kann die benötigte Leistung auch in Form einer Losvergabe erbracht werden, hat die Teil- und/oder Fachlosvergabe im Sinne eines an den öffentlichen Auftraggeber gerichteten bieterschützenden und justiziablen vergaberechtlichen Gebots die Regel zu sein (Senatsbeschluss vom 25. Juni 2014, Verg 38/13, BeckRS 2014, 15908 Rn. 41), während eine Gesamt- oder zusammenfassende Vergabe nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen stattfinden darf, weil wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern (OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2008, Verg W 15/08, NZBau 2009, 337, 340; Thüringer OLG, Beschluss vom 6. Juni 2007, 9 Verg 3/07NZBau 2007, 730, 731; Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016, Verg 6/16, BeckRS 2016, 13257 Rn. 34; BT-Drs. 16/10117 Seite 15).

 

Kommt eine solche Ausnahme aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen in Betracht, hat sich der Auftraggeber allerdings in besonderer Weise mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und dagegensprechenden Gründen auseinanderzusetzen (Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016, Verg 6/16, BeckRS 2016, 13257 Rn. 34). Bei der Abwägung der für und gegen eine Losvergabe sprechenden Gesichtspunkte darf sich der Auftraggeber für eine Gesamtvergabe entscheiden, wenn dafür anerkennenswerte wirtschaftliche oder technische Gründe bestehen. Sie rechtfertigen eine Gesamtvergabe, wenn die damit für den Auftraggeber verbundenen Vorteile bei vertretbarer prognostischer und auf den Vertragszeitraum bezogener Sicht und Abwägung der beteiligten Belange überwiegen (Senatsbeschluss vom 25. Juni 2014, Verg 38/13, BeckRS 2014, 15908 Rn. 41). Im Rahmen der dem Auftraggeber obliegenden Entscheidung bedarf es folglich einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründe nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen (Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 2016, Verg 6/16, BeckRS 2016, 13257 Rn. 34 und vom 23. März 2011, Verg 63/10, NZBau 2011, 369). Handelt es sich zudem um ein immer noch von früheren Monopolstrukturen geprägtes Marktsegment, ist bei der Abwägung auch zu berücksichtigen, dass Wettbewerb in diesen Bereichen im Zweifel nur im Wege der Bildung von Losen gefördert werden kann (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 Rn. 51 - Abellio Rail).

 

Dies gilt erst recht, wenn zugleich Qualitätskriterien einen hohen Einfluss auf die Zuschlagsentscheidung haben, weil auch dies namentlich dem ressourcenstarken früheren Inhaber eines Monopols mehr als anderen Bewerbern entgegenkommt (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 37). Gerade bei einem noch im "Aufwuchs" befindlichen Markt wie dem für Postdienstleistungen ist eine Auftragsgestaltung zu vermeiden, die entweder nur vom vormaligen Monopolisten oder von wenigen großen Dienstleistungsunternehmen bedient werden kann, weil die Mehrzahl der "neuen" Marktteilnehmer die geforderten Dienstleistungen nur regional selbst erbringt (OLG Schleswig, Beschluss vom 25. Januar 2013, 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395, 397). Für diese mittelständische Unternehmen müssen die zu bildenden Lose zu bewältigen sein, ohne überwiegende Teile des Auftrags über "Nachunternehmer" und Teilleistungs- oder Konsolidierungsaufträge in Form von Kooperationen mit anderen regionalen Unternehmen oder mit großen, überregional tätigen Unternehmen abwickeln zu müssen (OLG Schleswig, Beschluss vom 25. Januar 2013, 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395, 398), weil ihnen ansonsten kein praktisch wirksamer wettbewerblicher Spielraum bleibt (OLG Schleswig, Beschluss vom 25. Januar 2013, 1 Verg 8/12, ZfBR 2013, 294, 295).

 

Die Antragsgegnerin hat in ihrem Vergabevermerk hierzu ausgeführt, dass Alternative Zustelldienste (AZD´s) fast ausschließlich regional tätig seien, sie jedoch in den letzten Jahren ihr Leistungsspektrum erweitert und ihre Postdienstleistungen insbesondere durch Bildung von Kooperationen mit anderen AZD`s ausgebaut hätten. Hierdurch sei es ihnen möglich, Postverträge für regionale und auch deutschlandweite Sendungen anzubieten bzw. abzuschließen. Der erfolgte Zuschnitt der Lose 1 und 2 ermögliche es den AZD´s daher, sich an der Ausschreibung zu Los 1 und 2 jeweils in hinsichtlich der Übergabe unfrankierter und nicht vorsortierter Briefe zu beteiligen und am Wettbewerb teilzunehmen. Weiter führt die Antragsgegnerin im Vergabevermerk aus, dass es bei der Teillosbildung allein darauf ankomme, ob die gebildeten Lose für mittelständische Unternehmen zu bewältigen seien, ohne überwiegende Teile des Auftrags über Nachunternehmer und Teilleistungs- und Konsolidierungsaufträge abwickeln zu können.

 

Diese Ausführungen genügen den Anforderungen an die erforderliche Abwägung nicht. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin eine Gesamtabwägung zwischen den Vorteilen eines bundesweiten Gebietsloses für die zu beschaffenden Briefpostdienstleistungen und den Interessen der grundsätzlich regional tätigen AZD´s an einer weiteren Unterteilung in regionale Gebietslose nicht vorgenommen hat, fehlt es aber auch an anerkennenswerten wirtschaftlichen und/oder technischen Gründen, die ein Abweichen von dem Grundsatz der losweisen Vergabe tragen. Soweit die Antragsgegnerin auf die Notwendigkeit der Vermeidung einer unwirtschaftlichen Zersplitterung abstellt, wird dies von ihr lediglich teilweise mit Zahlen unterlegt. Die gebotene Aufteilung der Postdienstleistungen in regionale Gebietslose erfordert allerdings weder eine Aufteilung nach den durch die ersten beiden Ziffern der Postleitzahl definierten Zustellregionen noch einen am Tätigkeitsraum der Antragstellerin ausgerichteten Zuschnitt des für diese interessanten Gebietsloses. Die Gebietslose haben sich vielmehr an den typischen Tätigkeitsräumen der Mehrzahl der regional tätigen mittelständischen Postdienstleister zu orientieren.

 

Fazit

Die Antragsgegnerin scheiterte hier an der fehlenden Abwägung zwischen den technischen oder wirtschaftlichen Gründen für eine Gesamtvergabe bzw. der Unterlassung einer weiteren Aufteilung in Lose und dem Gebot der Losaufteilung zur Förderung des Mittelstands. Sie scheiterte aber auch an der lückenhaften Dokumentation dieser Abwägung. Interessant ist der Hinweis des Vergabesenats auf die Berücksichtigung eines von früheren Monopolstrukturen geprägten Marktsegment; hier sollen die Anforderungen an die Abwägung zugunsten einer (weiteren) Losbildung noch höher sein, weil nur durch eine Losbildung auf die Besonderheit des früheren Monopols der Deutschen Bundespost eingehend der Wettbewerb gefördert werden könne. Es scheint daneben keine entscheidende Rolle zu spielen, ob ein bundesweit tätiger öffentlicher Auftraggeber bundeseinheitliche Standards der Leistungserbringung nach seinem Leistungsbestimmungsrecht fordern kann.

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04.12.2023

Informationen

OLG Düsseldorf
Urteil/Beschluss vom 30.09.2022
Aktenzeichen: Az. Verg 40/21

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