Dr. Olaf Schermann FA f. ErbR

Keine Anfechtung einer „lenkenden Erbausschlagung“

Irrt sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung der Ausschlagung gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB.

Anmerkung für die Praxis:

Die Ausschlagung wird häufig als Reparaturinstrument bei unterbliebener Erbfolgeplanung eingesetzt. Nicht selten übersieht man jedoch, dass bei einer Ausschlagung durch die Kinder des Erblassers nicht nur der überlebende Ehegatte allein, sondern daneben auch die Verwandten zweiter Ordnung als nachrückende gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen (§§ 1953 Abs. 2, 1925, 1931 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Irrtum hierüber zur Anfechtung der missglückten Ausschlagung berechtigt, war bislang äußerst umstritten. Die wohl h.M. ging davon aus, dass lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt, weil sich der Ausschlagende nicht über die unmittelbare Rechtsfolge, also den Verlust seiner Erbenstellung, geirrt hat (so OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 905; OLG Schleswig, ZEV 2005, 526; OLG München, NJW 2010, 687; OLG Hamm, FGPrax 2011, 236; KG, ZEV 2020, 152; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 1954 Rn. 5). Nach der vordringenden a.A. handelt es sich dagegen um einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum, weil die Ausschlagung eine wesentlich andere als die beabsichtigte Wirkung erzeugt (so OLG Frankfurt, ZEV 2017, 515; OLG Düsseldorf, ZEV 2018, 85; OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 1466; OLG Frankfurt, FamRZ 2021, 1751; OLG Brandenburg, ZEV 2022, 716; Staudinger/Otte, BGB, § 1954 Rn. 6; MüKo/Leipold, BGB, § 1954 Rn. 7).

Der BGH hat sich nun der bislang h.M. angeschlossen. Wer als nachrückender Erbe berufen ist, sei nicht in § 1953 BGB geregelt. Dementsprechend sei ein Irrtum über die nachrückende Person kein Irrtum über eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung. Dass der Ausschlagende den Anfall der Erbschaft an eine bestimmte Person als primäres Ziel seiner Ausschlagung ansieht, ändere hieran nichts, denn eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung werde nicht dadurch zu einer unmittelbaren, dass sie der Hauptgrund für die Ausschlagung war. Auch im Interesse der Rechtssicherheit sei eine Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten erforderlich, um möglichst schnell Klarheit über die Erbfolge herzustellen und Schwebezustände zu vermeiden.

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12.07.2023

Informationen

BGH
Urteil/Beschluss vom 22.03.2023
Aktenzeichen: IV ZB 12/22

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