Dr. Simon Weiler Notar
Eine Genossenschaft stimmte in einer präsenzlosen, virtuellen Vertreterversammlung einer Verschmelzung zu. Der Versammlungsniederschrift war kein Teilnehmerverzeichnis beigefügt. Erst im Beschwerdeverfahren wurde zur Niederschrift über die Versammlung ein Verzeichnis der Mitglieder nachgereicht, die bei der Beschlussfassung mitgewirkt hatten, mit dem Vermerk der Art der jeweiligen Stimmabgabe. Das OLG Karlsruhe lehnte die Eintragung ab, da für Genossenschaften nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrechts zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19- Pandemie[9] ein Verschmelzungsbeschluss in einer präsenzlosen, virtuellen Versammlung nicht vorgesehen sei.[10] Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, ob für die Mitglieder zumindest ein Stimmrechtsvertreter im Raum anwesend war, in dem sich Vorstand und Aufsichtsrat befanden und ob ein Notar den Zustimmungsbeschluss beurkundet hatte. Aus dem Tatbestand der Entscheidung gehen leider die genaue Ausgestaltung der virtuellen Versammlung, der Zuschaltung der Mitglieder und die Art der Durchführung der Versammlung nicht hervor. Die Hauptargumentation des OLG Karlsruhe ging dahingehend, dass Beschlüsse nach § 13 UmwG vom COVID-19-Gesetz nicht erfasst sind. Zentrale Frage ist dabei, ob das gesetzliche Versammlungserfordernis in § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG eine virtuelle Gesellschafterversammlung – etwa im Rahmen eines Microsoft Teams–Meetings ausschließt.
Grundsätzlich gilt, dass die Gesellschafterversammlung jedes an einer Umwandlung beteiligten Rechtsträgers der Umwandlungsmaßnahme durch Beschluss zustimmen muss.[11] Nach der rechtsformübergreifenden Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG kann ein Verschmelzungsbeschluss nur in einer Versammlung der Anteilsinhaber gefasst werden. Damit ist eine Beschlussfassung im schriftlichen Beschlussverfahren ausgeschlossen,[12] nicht jedoch eine audiovisuelle Zuschaltung von Gesellschaftern zu einer Präsenzversammlung. Wer als Gesellschafter in dieser Weise mitwirkt, gibt seine Stimme in der Versammlung ab.[13] Insofern ist – nicht nur unter Geltung des zur Milderung der Folgen der COVID-19-Pandemie ergangenen MaßnG-GesR[14] – der Versammlungsbegriff neu zu diskutieren.
In diesem Sinne hat der BGH am 5.10.2021 im Revisionsverfahren entgegen dem OLG Karlsruhe entschieden, dass das Versammlungserfordernis des § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG einer Beschlussfassung in einer virtuellen Versammlung nicht entgegenstehe.[15] Die Vorschrift verlange nicht zwingend, dass die Anteilsinhaber bei der Versammlung physisch anwesend sind, sondern diese könne auch in anderer Form, dh auch virtuell durchgeführt werden, wenn dies nach dem Gesetz oder der Satzung für den jeweiligen Rechtsträger zulässig ist und die Möglichkeiten der Anteilsinhaber zum Meinungsaustausch mit den Gesellschaftsorganen und untereinander einer physischen Versammlung vergleichbar sind.
Die Vorschrift setze die Beschlussfassung in einer Versammlung, dh in einer Zusammenkunft der Anteilsinhaber voraus, ohne jedoch die Form dieser Zusammenkunft näher zu bestimmen. Nach herkömmlichem Verständnis dürfte mit dem Begriff der Versammlung zwar in erster Linie die körperliche Zusammenkunft der Teilnehmer gemeint sein. Aufgrund der Entwicklung der modernen Kommunikationstechniken können darunter nach allgemeinem Sprachgebrauch aber auch Zusammenkünfte beispielsweise in Telefon- und Videokonferenzen abgehalten werden, wenn eine Erörterung des Beschlussgegenstands gewährleistet ist.
Auch mit Sinn und Zweck von § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG ist die Beschlussfassung in einer virtuellen Versammlung vereinbar. Der Versammlungszwang soll den Anteilseignern ermöglichen, die Umwandlung vor der Beschlussfassung untereinander und mit den Gesellschaftsorganen zu erörtern.[16] Auf diesem Weg soll sowohl die Information der Anteilseigner als auch die Diskussion unter ihnen und damit eine gründliche und gemeinsame Meinungsbildung der Anteilseigner sichergestellt werden.[17] Dieser Zweck kann nach Auffassung des BGH mit den heute bestehenden Möglichkeiten der Kommunikation beispielsweise über Telefon oder Video ebenso erreicht werden wie mit einer physischen Zusammenkunft der Anteilsinhaber, wenn die konkrete Ausgestaltung der Kommunikation eine vergleichbare Teilnahme der Anteilsinhaber und Durchführung der Versammlung wie bei einer physischen Präsenzveranstaltung ermöglicht.[18]
Schließlich erfordert auch die nach § 13 Abs. 3 Satz 1 UmwG vorgeschriebene notarielle Beurkundung des Verschmelzungsbeschlusses keine physische Versammlung. Das Beurkundungserfordernis kann bei einer rein virtuellen Versammlung dadurch gewahrt werden, dass der Notar für die Beurkundung am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters zugegen ist, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens überzeugt und sodann die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das zuständige Gesellschaftsorgan beurkundet.[19]
Exkurs: Rechtslage im GmbH-Recht
Gesellschafterversammlungen sind nach dem in § 48 Abs. 1 S. 1 GmbHG verankerten Leitbild aus dem 19. Jahrhundert grundsätzlich in Präsenz abzuhalten. Alternativ erlaubt es der mit Wirkung zum 1. August 2022 neu geschaffene § 48 Abs. 1 S. 2 GmbHG, Versammlungen auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation, dh virtuell abzuhalten, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.[20]
Nachdem diese gesetzlichen Vorschriften zur Gesellschafterversammlung gemäß § 45 Abs. 2 GmbHG dispositiv sind, besteht Einigkeit darüber, dass die Satzung hiervon abweichen kann, wobei die nachträgliche Einführung erleichternder Regelungen nur im Einvernehmen aller Gesellschafter möglich ist.[21] Eine Grenze besteht dann, wenn die Regelungen zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Individualrechte von Gesellschaftern auf Information und Teilhabe an der Willensbildung führen.[22] Viel diskutiert wird in diesem Zusammenhang spätestens seit Beginn der COVID-19-Pandemie, ob eine Gesellschafterversammlung entgegen § 48 Abs. 1 S. 2 GmbHG auch ohne Zustimmung aller Gesellschafter hybrid[23] oder virtuell abgehalten werden kann.[24] In diesem Kontext ist die vorstehend geschilderte BGH–Entscheidung anlässlich der Verschmelzung zweier Genossenschaften von Bedeutung, wonach das Versammlungserfordernis des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG einer Beschlussfassung in einer rein virtuellen Versammlung nicht entgegensteht.[25]
Die Vorschrift verlangt laut BGH nicht zwingend, dass die Anteilsinhaber bei der Versammlung physisch anwesend sind, diese könne vielmehr auch in anderer Form, dh auch virtuell durchgeführt werden, wenn dies nach dem Gesetz oder der Satzung für den jeweiligen Rechtsträger zulässig ist und die Möglichkeiten der Anteilsinhaber zum Meinungsaustausch mit den Gesellschaftsorganen und untereinander einer physischen Versammlung vergleichbar sind (sog. Funktionsäquivalenz). Voraussetzung ist jedoch, dass eine virtuelle oder hybride Versammlung nach Gesetz oder Satzung zulässig ist.[26] Daher empfiehlt sich eine entsprechende Satzungsermächtigung, die insbesondere das Verfahren der Einberufung, Abhaltung und Beschlussfassung regeln sollte.[27] Nach hM besteht ein weitreichender Spielraum für derartige erleichternde Satzungsbestimmungen.[28]
Formulierungsbeispiel GmbH-Satzung § 11 Gesellschafterversammlung und -beschlüsse
1. In jedem Geschäftsjahr findet eine ordentliche Gesellschafterversammlung statt. Außerordentliche Gesellschafterversammlungen werden nach Bedarf einberufen.
2. Gesellschafterversammlungen finden grundsätzlich in physischer Präsenz am Sitz der Gesellschaft statt. Vorbehaltlich zwingender gesetzlicher Bestimmungen können Gesellschafterversammlungen auch virtuell, d. h. fernmündlich und/oder audiovisuell oder in Kombination verschiedener Verfahren abgehalten werden, wenn die konkrete Ausgestaltung eine vergleichbare Teilnahme der Gesellschafter und Durchführung der Versammlung wie bei einer Präsenzversammlung ermöglicht.
3. Die Gesellschafterversammlung wird durch die Geschäftsführung unter Angabe von Art, Ort, Tag und Zeit der Versammlung und der Tagesordnung einberufen; es genügt die Einberufung durch einen Geschäftsführer.
4. Alle Gesellschafter sind durch Einschreiben, Übergabe der Ladung gegen Empfangsbekenntnis oder E-Mail zu laden. Die Ladung erfolgt mit einer Frist von zwei Wochen; bei Eilbedürftigkeit kann die Frist bis auf eine Woche verkürzt werden. Bei der Fristberechnung werden der Tag der Absendung und der Tag der Versammlung nicht mitgezählt.
5. Ein Gesellschafter kann sich nur von einem anderen Gesellschafter oder von einem zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Dritten in der Gesellschafterversammlung vertreten oder begleiten lassen. Die Vollmacht zur Vertretung und Ausübung des Stimmrechts ist in Textform zu erteilen.
6. Die Gesellschafterversammlung wählt aus ihrem Kreis einen Vorsitzenden. Dieser bestimmt nach Maßgabe der Tagesordnung den Ablauf, über welchen eine Niederschrift anzufertigen und in Abschrift an jeden Gesellschafter zu übersenden ist.
7. Gesellschafterbeschlüsse werden grundsätzlich in Gesellschafterversammlungen gefasst. Mit Zustimmung aller Gesellschafter können Beschlüsse auch in Textform oder mittels sonstiger Kommunikationswege oder in einer Kombination dieser Verfahren mit einer virtuellen oder in Präsenz abgehaltenen Versammlung gefasst werden.
8. Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens 75 % des Stammkapitals vertreten sind. Fehlt es daran, ist unverzüglich eine neue Versammlung mit gleicher Tagesordnung einzuberufen, die in jedem Fall beschlussfähig ist, sofern hierauf in der Ladung hingewiesen wird.
9. Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht Satzung oder Gesetz zwingend eine andere Mehrheit vorschreiben. Jeder Euro eines Geschäftsanteils gewährt eine Stimme. Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.
10. Gesellschafterbeschlüsse können nur binnen zwei Monaten nach Kenntniserlangung angefochten werden.
[9] Vgl. BGBl. I 2020, 569.
[10] OLG Karlsruhe v. 26.3.2021, 1 W 4/21, NZG 2021, 696 mit abl. Anm. Holthaus, NZG 2021, 699.
[11] Vgl. §§°13, 125 S. 1, 193 f. UmwG.
[12] Siehe ua Lutter/Drygala §°13 Rn. 9; Schmitt/Hörtnagl/Winter §°13 UmwG Rn. 14; Semler/Stengel/Leonhard/Gehling §°13 Rn. 14.
[14] Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (MaßnG-GesR) als Teil des sog. Covid-19-Gesetz vom 27.3.2020, BGBl. I 2020, S. 569 f. Danach können etwa bei der GmbH abweichend von §°48 Abs. 2 GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden (§°2 MaßnG-GesR). Siehe insoweit OLG München v. 28.7.2021, 7 AktG 4/21, NZG 2021, 1594, wonach die im MaßnG-GesR vorgesehene Befugnis des Vorstands, auch ohne satzungsmäßige Grundlage eine virtuelle Hauptversammlung (zur Sicherung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft in Pandemiezeiten) einzuberufen, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet und dem Vorstand insofern ein Entscheidungsermessen in Bezug auf die Wahl der Durchführung einer virtuellen oder Präsenzhauptversammlung zusteht.
[15] BGH v. 5.10.2021, II ZB 7/21, NZG 2021, 1562 = DNotZ 2022, 754 mAnm Knaier; dazu ua Zabel NZG 2021, 1544.
[16] Siehe nur Lutter/Drygala §°13 Rn. 10; Semler/Stengel/Leonhard/Gehling §°13 Rn. 14; MHdB GesR VIII/Ghassemi-Tabar §°11 Rn. 13.
[17] Widmann/Mayer/Weiler §°193 Rn. 17; Schöne/Arens WM 2012, 381, 382; Priester ZGR 1990, 420, 436.
[18] Ob die virtuelle Versammlung nach dem MaßnG-GesR, die den Anteilsinhabern nur das Recht einräumt, vorher Fragen einzureichen, diesen Anforderungen genügt, bezweifelt ua Vossius, Widmann/Mayer aktuell November 2021, zu Recht. Der BGH spricht von „Austausch“. Das setzt einen zweiseitigen Kommunikationsweg voraus. Für die virtuelle Teilnahme an der Hauptversammlung sieht dies §°118 Abs. 1 S. 2 AktG so vor, nicht aber die Regelungen zur Versammlung nach dem MaßnG-GesR.
[19] Vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/30516, S. 73.
[20] Kritisch dazu ua Bochmann NZG 2022, 531.
[21] Vgl. MüKoGmbHG/Liebscher GmbHG §°48 Rn. 175.
[22] Zutr. Scholz/K. Schmidt/Seibt GmbHG §°48 Rn. 64.
[23] Zur audiovisuellen Zuschaltung verhinderter Gesellschafter zu einer Präsenzversammlung vgl. Habersack/Casper/Löbbe/Hüffer/Schäfer GmbHG §°48 Rn. 16a; Noack/Servatius/Haas/Noack GmbHG §°48 Rn. 42.
[24] Vgl. hierzu Bayer/Möller GmbHR 2021, 461; Heckschen/Hilser ZIP 2022, 461; Schindler /Schaffner, Virtuelle Beschlussfassung in Kapitalgesellschaften und Vereinen, 2021; Stelzhammer GmbHR 2022, 187; Wicke DStR 2022, 498; Zabel NZG 2021, 1544. Beurkundungsrechtlich erscheint dabei in Anlehnung an die gesetzlichen Regeln zur virtuellen Hauptversammlung bei Aktiengesellschaften ein Verfahren denkbar, bei dem der Notar seine Feststellungen in Gegenwart des Versammlungsleiters trifft, während die Gesellschafter audiovisuell zugeschaltet sind, vgl. Hitzel NZG 2020, 1174, 1178; BeckOK/Boor, 15.9.2022, BeurkG §°36 Rn. 46.
[25] BGH NZG 2021, 1562.
[26] So auch Heckschen/Hilser ZIP 2022, 461 (470 f.); Wicke DStR 2022, 498, 499 f. Zur zweckmäßigen Ausgestaltung der Satzungsklausel vgl. ferner Schindler/Schaffner Rn. 495 ff.
[27] Zu den Anforderungen an eine rechtswirksame und zweckmäßige Satzungsermächtigung siehe Schindler/Schaffner, 2021, Rn. 495 ff. (für die GmbH) und Rn. 653 ff. (für den Verein).
[28] Vgl. nur Wicke DStR 2022, 498, 500 f. mwN.
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