Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Auswahl und Abschluss der Sachverständigen-Begutachtung: 1. Fachgebietsauswahl / a. Maßgebliches Fachgebiet des Sachverständigen bei Komplikationen

Maßgebliches Fachgebiet des Sachverständigen bei Komplikationen

  

Einerseits so einleuchtend, andererseits immer wieder einen Diskussionsplatz stellt der Umstand dar, dass der Sachverständige prinzipiell aus dem Fachgebiet zu ernennen ist, in der die angegriffene Behandlung fällt. Wie der folgende Fall zeigt, gilt dies grundsätzlich auch für fachgebietswechselnde Komplikationen.

  

Der Fall:

Bei der seinerzeit 61-jährigen Kl. wurden ein Geschwür der Magenschleimhaut und eine Sigmastenose (Verengung des unteren s-förmig geformten Teils des Dickdarms) festgestellt und die Indikation für eine laparoskopische Sigmaresektion gestellt, die kurze Zeit später durchgeführt wurde. Wegen akuter Schmerzen wurde am fünften postoperativen Tag eine Re-Laparotomie durchgeführt und bei der Spülung ein dünnes Rinnsal im Becken erkannt, woraus sich der Verdacht auf eine Verletzung des Harnleiters. Es wurde deshalb der Entschluss zur Schienung des linken Ureters gefasst. Eine Mini-Inzision (Schnitt) und die Platzierung des Katheters nach proximal gelangen, nach distal nicht. Die Kl. wurde in eine andere Klinik verlegt, wo ein Nierenfistelkatheter gelegt wurde und es im weiteren Verlauf kam zu einer Wundheilungsstörung kam. Die Kl. behauptet, dass es durch ein schuldhaft pflichtwidriges Vorgehen zu einer Harnleiterläsion links gekommen sei. Die Frage, ob die Läsion fachgerecht behandelt worden sei, sei letztlich offen geblieben. Denn das Landgericht habe entgegen den Empfehlungen des Sachverständigen kein fachurologisches Gutachten eingeholt.

    

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, dass ein fachurologisches Gutachten nicht erforderlich gewesen sei. Es komme hierfür auf den Standard eines Facharztes für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie an: „Grundsätzlich ist bei der Auswahl auf die Sachkunde in dem medizinischen Sachgebiet abzustellen, in das der Eingriff fällt […]. Die Kl. befand sich wegen der Sigmaresektion in gefäßchirurgischer Behandlung. Auch die Operation wegen der am fünften postoperativen Tag aufgetretenen Komplikation fiel in den Fachbereich eines Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgen. […] Die Behandlung der intraoperativ festgestellten Läsion des Harnleiters fiel daher ebenfalls in den Fachbereich des Operateurs, weshalb auch einem Facharzt für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie die Beurteilung obliegt, ob ein Behandlungsfehler vorliegt.“ Demgegenüber sei nicht auf einen urologischen Facharztstandard abzustellen: „Soweit der Sachverständige auf die Einholung eines urologischen Fachgutachtens verwiesen hat, bezog sich dies ersichtlich auf die konkrete Vorgehensweise bei der Schienung des Ureters. Der Sachverständige hat insofern eingeräumt, dass ein standardisiertes Vorgehen bei einer solchen Verletzung des Harnleiters in der chirurgischen Fachliteratur zwar nicht existiere, der Versuch einer Schienung aber ebenso standardgerecht gewesen sei wie der anschließende Abbruch der Manipulation. Generell sei die Schienung des Harnleiters das Verfahren der ersten Wahl zur Versorgung von Harnleiterverletzungen, die üblicherweise nicht durch Harnleiterinzision proximal der mutmaßlichen Verletzung, sondern durch Blasenspiegelung oder durch Eröffnen der Harnblase erfolge. Gleichwohl hat er auch den hier erfolgten Versuch einer Schienung nach Inzision als verständlich bezeichnet. Nachdem dies nicht gelungen sei, sei keine weitere Manipulation erfolgt, sondern die Inzision vernäht und eine zeitnahe Verlegung am Folgetag in eine Urologische Klinik veranlasst worden.“

  

Mehr aus diesem Rechtsgebiet lesen

22.02.2023

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 22.02.2022
Aktenzeichen: 4 U 2323/20

Fachlich verantwortlich

Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Seminare im Fokus

Unten finden Sie eine Auswahl von Fortbildungen zum Rechtsgebiet Medizinrecht. 

Alle Onlineseminare zu Medizinrecht finden Sie hier

ARBER-Info

Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung

FAQ

Fragen und Antworten