Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Klage auf Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers

Bleibt freilich auch im Zusammenhang mit Covid-Impfungen die Frage, wer angesichts der hiermit behafteten Prozessrisiken für die Kosten des Verfahrens aufkommt. Auch in einer auf Deckungszusage gerichteten Klage gegen den Rechtsschutzversicherer spielen die Vorschriften der §§ 84 ff. AMG erneut – nun unter dem Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten – eine zentrale Rolle.

 

Der Fall:


Der seinerzeit 14-jährige Kl. wurde 2021 und 2022 insgesamt drei Mal gegen Covid19 geimpft. Sein Bekl. Rechtsschutzversicherer verweigerte für eine auf Impfschäden gestützte Klage Deckungszusage mangels Erfolgsaussichten.

 

Die Entscheidung des Gerichts:


Diesen Standpunkt wies das LG Mainz gestützt auf §§ 84 ff. AMG zurück und bejahte stattdessen Erfolgsaussichten für eine auf § 84 I 2 Nr. 1 AMG gestützte Klage:


„(1) Der Kl. hat zunächst hinreichend dargelegt, dass bei ihm ein Impfschaden nach den Impfungen aufgetreten ist. […] Soweit die Bekl. die behaupteten Gesundheitsschäden und ihre zeitliche Entstehung nach den Impfungen bestreitet, wird hierüber im Haftungsprozess Sachverständigenbeweis zu erheben sein, dem die Erfolgsaussicht nicht von vornherein abgesprochen werden kann.“


(2) Für den Ursachenzusammenhang mit den Covid-Impfungen spreche die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG: „Die Regelung zur Kausalitätsvermutung in Abs. 2 beschreibt ein verschachteltes Regel-Ausnahme-Verhältnis, mit dem eine angemessene Verteilung der Beweislast zwischen Geschädigtem und pharmazeutischem Unternehmer – ohne Reduktion des Beweismaßes – erreicht werden soll. […] Die Kausalitätsvermutung gilt – was der Versicherer darzulegen und zu beweisen hat – nach Abs. 2 S. 3 nicht, wenn (mindestens) ein anderer Umstand ebenfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. D.h. die Kausalitätsvermutung ist nicht nur widerlegt, sie ‚gilt (erst gar) nicht‘“. Hier aber sei unstreitig, dass die Covid-Impfungen generell geeignet seien, die vom Kl. behaupteten Gesundheitsbeschwerden hervorzurufen. Etwaige Einzelfragen im Zusammenhang mit der Eignung seien durch Sachverständigenbeweis zu klären, dessen Ausgang offen ist. Dies gelte auch für die streitige Behauptung der Bekl., die Beschwerden des Kl. könnten auch auf eine Infektion mit dem E.-Barr-Virus zurückzuführen sein.


(3) Der Kl. könne auch mit hinreichender Erfolgsaussicht geltend machen, dass der Impfstoff gem. § 84 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AMG bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen habe, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgingen:
„Welches Risiko sich als vertretbar einstufen lässt, hängt von der Indikation des Arzneimittels sowie seiner therapeutischen Wirksamkeit ab. Je besser die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels und je gravierender die Indikation, desto schwerere schädliche Wirkungen können toleriert werden. Wird das Arzneimittel z. B. zur Behandlung einer Krankheit mit hoher Sterblichkeitsrate eingesetzt, sind unter Umständen auch besonders schwerwiegende und möglicherweise tödliche Nebenwirkungen hinzunehmen. Auch bei Arzneimitteln, die zur Behandlung sonstiger schwerer Krankheiten oder chronischer Krankheitszustände eingesetzt werden, können schwere und sogar tödliche Nebenwirkungen vertretbar sein, solange deren Eintrittswahrscheinlichkeit eher gering ist oder sich die Gefahr durch entsprechende Hinweise in der Arzneimittelinformation steuern lässt […].
Bei der Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses sollte nach Möglichkeit neben der absoluten Bewertung von Nutzen und Risiken auch eine relative Bewertung im Vergleich zu alternativen Therapien erfolgen. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Arzneimittels kann nicht isoliert betrachtet werden, wenn es andere Therapiemöglichkeiten gibt. Stehen für dieselbe Indikation andere Therapien zur Verfügung, die gleich wirksam sind, aber ein geringeres Risiko aufweisen, sind die schädlichen Wirkungen nicht mehr vertretbar […].
Gemäß Abs. 1 S. 2 Nr. 1 richtet sich die Prüfung der Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen allein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft. Andere Faktoren, etwa die wirtschaftlichen Interessen des pharmazeutischen Unternehmers oder die Interessen bzw. Erwartungen des Geschädigten, spielen keine Rolle. Entsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob die schädliche Wirkung als allgemeines Lebens- und Gesundheitsrisiko gesellschaftlich akzeptiert ist. Maßgeblich für die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses sind die gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ähnlich wie bei der Kausalitätsfeststellung ist das Gericht bei der Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses weitgehend an die Einschätzungen medizinischer Sachverständiger gebunden. Für diese Beurteilung ist die Entscheidung einer fachkundig besetzten Zulassungsbehörde ein gewichtiges Indiz. Verbleiben nach Auswertung des Sachverständigengutachtens Zweifel, kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass die schädliche Wirkung unvertretbar ist […].
Aus dem unter […] abrufbaren Informationen der Europäischen Arzneimittelbehörde veröffentlichen Produktinformationsblatt […] geht zwar hervor, dass dieselben oder vergleichbare physische und psychische Nebenwirkungen ihr als europäischer Zulassungsbehörde bekannt waren bzw. sind. Dies stellt aber nur ein Indiz für die Vertretbarkeit dar. Zwar wird die Vertretbarkeit angesichts der hohen Wirksamkeit der Covid-Impfstoffe in der Regel anzunehmen. Anders kann es sich aber verhalten, wenn ein Impfstoff bei vergleichbarer Wirksamkeit eine (deutlich) erhöhte Komplikationsrate gegenüber einem anderen tatsächlich verfügbaren Impfstoff aufweist. In einem solchen Fall kann diese Voraussetzung erfüllt sein […].“


Eine abschließende Beurteilung der Vertretbarkeit werde deshalb im Haftungsprozess nicht ohne Heranziehung eines Sachverständigen möglich sein. Dabei könne dem Kl. nach Auffassung der Kammer aufgrund der Neuartigkeit der mRNA-Impfstoffe auch kein weitergehender Vortrag über die eventuell mit der Anwendung einhergehenden Risiken abverlangt werden.
Das Ergebnis einer Haftungsklage sei deshalb offen.

 

 

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06.12.2024

Informationen

OLG LG Mönchengladbach
Urteil/Beschluss vom 03.09.2023
Aktenzeichen: 1 O 25/23

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